Schopenhauer Kleine Philosophische Reihe Biographie
Werner Woschnak
(Herausgeber), Maria Woschnak
(Herausgeber), Kuno Fischer (Autor)
Gebundene Ausgabe mit
Schutzumschlag: 608 Seiten – Verlag: marix
Verlag ein Imprint von Verlagshaus Römerweg; Auflage: 1 (21. September 2010) - Sprache: Deutsch - Format: 20,3 x 13,8
x 4,3
Arthur Schopenhauer (1788 – 1860) ist eines der
eindrucksvollsten Beispiele dafür, dass sich Philosophie nicht auf Universitätsphilosophie
beschränken lässt. Im Anschluss an Kant, für dessen einzig legitimen Thronerben
er sich hält, legt er als Dreißigjähriger sein Hauptwerk vor: „Die Welt als
Wille und Vorstellung“, um den Rest seines Lebens an dessen Erweiterung,
Vertiefung und Kommentierung zu arbeiten. Erkenntnistheorie, Metaphysik, Ethik
und Ästhetik sind die thematischen Schwerpunkte dieses systematischen
Entwurfes, der als ein organisches Ganzes aus der Explikation des einen
Grundgedankens hervorgeht: die Welt ist die Selbsterkenntnis des Willens.
Über den Autor und
weitere Mitwirkende
Kuno Fischer (1824 – 1907) legt in seinem
Schopenhauer-Buch, das hier um eine Einführung und aktuelle Literaturhinweise
erweitert, erneut vorgelegt wird, „die Geschichte des jüngsten und letzten
Philosophen“ der großen, unmittelbar von Kant ausgehenden Periode des Denkens
vor. Wer Schopenhauer als Philosophen begegnen will, wird in Fischers
Gesamtdarstellung, in der detailreichen, gelehrten und anschaulichen
Nachzeichnung des Lebens, der Werke und der Lehren des Philosophen den
Schlüssel und roten Faden zu ihrer Bewältigung finden.
Dr. Werner Woschnak, Lehrbeauftragter an der Fakultät für
Philosophie und Bildungswissenschaft der Universität Wien,
Forschungsschwerpunkte: Praktische Philosophie, Ethik, pädagogische
Anthropologie, philosophische Probleme der Biologie, Förderungspreis für
Wissenschaft des Landes Kärnten 1990.
Dr. Maria Woschnak, Lehrbeauftragte an der
Veterinärmedizinischen Universität Wien, Forschungsschwerpunkte: Tierethik,
praktische Philosophie, Naturphilosophie, Wissenschaftstheorie. …………………………………………………………………………………………………………
Arthur Schopenhauer (* 22. Februar 1788 in Danzig; † 21.
September 1860 in Frankfurt am Main) war ein deutscher Philosoph, Autor und
Hochschullehrer.
Schopenhauer entwarf eine Lehre, die gleichermaßen
Erkenntnistheorie, Metaphysik, Ästhetik und Ethik umfasst. Er sah sich selbst
als Schüler und Vollender Immanuel Kants, dessen Philosophie er als
Vorbereitung seiner eigenen Lehre auffasste. Weitere Anregungen bezog er aus
der Ideenlehre Platons und aus Vorstellungen östlicher Philosophien. Innerhalb
der Philosophie des 19. Jahrhunderts entwickelte er eine eigene Position des
Subjektiven Idealismus und vertrat als einer der ersten Philosophen im
deutschsprachigen Raum die Überzeugung, dass der Welt ein irrationales Prinzip
zugrunde liegt.
Arthur Schopenhauer wurde am 22. Februar 1788 in Danzig
geboren. Sein Vater Heinrich Floris Schopenhauer (1747–1805), der einer
angesehenen Danziger Kaufmannsdynastie[1] entstammte, war 19 Jahre älter als
die Mutter Johanna Schopenhauer, geb. Trosiner (1766–1838); sie wurde später
eine bekannte Schriftstellerin und führte einen literarischen Salon, in dem
auch Goethe verkehrte.
Die Familie Schopenhauer siedelte 1793 in die Freie Hansestadt
Hamburg über, als Danzig infolge der Zweiten Polnischen Teilung zu Preußen kam
und so seine seit dem 15. Jahrhundert unter der polnischen Oberhoheit
garantierte Autonomie verlor. Heinrich Schopenhauer gründete im Neuen Wandrahm
92 in der heutigen Speicherstadt ein Handelshaus, in dem die Familie bis 1805
wohnte.
Hinwendung zur
Philosophie
Er brach seine Lehre ab und wurde im Juni 1807 auf
Ratschlag Carl Ludwig Fernows Schüler des Gymnasialdirektors Doering am
Gymnasium Illustre in Gotha. Noch im selben Jahr übersiedelte er wie zuvor
seine Familie nach Weimar, wo sein wichtigster Lehrer Franz Passow wurde. Der
junge Schopenhauer pflegte Umgang mit Johannes Daniel Falk und Zacharias
Werner. 1809 verliebte er sich unglücklich in die elf Jahre ältere 32-jährige
Schauspielerin und Opernsängerin Karoline Jagemann, seinerzeit die Geliebte des
Herzogs Carl August. Er schrieb für sie sein einziges überliefertes
Liebesgedicht.
Volljährig geworden bekam Schopenhauer seinen Anteil am
väterlichen Erbe ausgezahlt. Durch diesen ansehnlichen Geldbetrag wurde er
vermögend und frei von finanziellen Sorgen. 1809 begann er an der Universität
Göttingen ein Studium der Medizin, das er jedoch bald zugunsten der Philosophie
aufgab. Den Doktortitel der Philosophie an der Universität Jena erhielt
Schopenhauer am 2. Oktober 1813 (magna cum laude) für seine Schrift Ueber die
vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, welche er während seines
Aufenthaltes im Gasthof „Zum Ritter“ in der Residenzstadt Rudolstadt im Sommer
desselben Jahres vollendet hatte.[3]
Zu den ersten Lesern seines Werks gehörte Johann Wolfgang
Goethe. Goethe war bereits vorher über seinen Kontakt zur Mutter Schopenhauers,
die in Weimar einen literarischen Salon unterhielt, auf ihn aufmerksam geworden.
Häufigere Begegnungen mit Goethe folgten, der in dieser Zeit seine Farbenlehre
ausformulierte. Schopenhauer bewunderte Goethe, äußerte aber bald Zweifel an
der den Aussagen Newtons widersprechenden Theorie, wodurch sich das enge
Verhältnis allmählich löste.
Durch Friedrich Majer wurde Schopenhauer mit der
altindischen Philosophie des Brahmanismus bekannt gemacht.[4] 1814 überwarf er
sich mit seiner Mutter und ging nach Dresden, wo er in Literatenkreisen
verkehrte und Studien in den reichen Sammlungen und Bibliotheken der Stadt
trieb. 1815 veröffentlichte Schopenhauer eine eigene Farbenlehre mit dem Titel
Ueber das Sehn und die Farben. Diese entstand in Korrespondenz mit Goethe und
erschien 1816 im Druck.
Auseinandersetzung mit dem Verleger
Anschließend entwarf Schopenhauer sein Hauptwerk Die Welt
als Wille und Vorstellung, das Anfang 1819 im Bibliographischen Institut F.A.
Brockhaus erschien und später noch erheblich erweitert werden sollte. Der
Philosoph war schon zu diesem Zeitpunkt von der geistesgeschichtlichen
Bedeutung seiner Arbeit überzeugt, obwohl sie wirtschaftlich gesehen kein
Erfolg werden sollte. Die erste Auflage war erst nach dreißig Jahren
vergriffen.
Der Briefwechsel zwischen Schopenhauer und seinem
Verleger ist ein aufschlussreiches Zeitdokument. Modern war an Schopenhauer
seine Auffassung von der Philosophie als einer speziellen Art von
Schriftstellerei. Sein langer Kampf gegen Setzfehler passte zu seiner
väterlichen Prägung vom penibel kalkulierenden Kaufmann und zu dem Bewusstsein,
eine bedeutende Schrift verfasst zu haben. Diese Penibilität und eine gewisse
Rechthaberei äußerten sich u.a. darin, dass er in einem Anhang zu seinem
Hauptwerk, in welchem er die Kant’sche Philosophie kritisierte, sehr
detailliert alle Auflagen der Kant’schen Werke nach begrifflichen Abweichungen
untersuchte. Dies geschah vor dem Hintergrund, dass nach seiner Auffassung die
erste Auflage, nicht aber die späteren mit seiner eigenen Philosophie
verträglich sei.
Schopenhauer verstand sich aber auch als Bewahrer der deutschen Sprache und verbot nicht
nur zur Bewahrung der Schärfe philosophischer Formulierungen, sondern auch aus
sprachlichen Gründen sämtliche Änderungen seines Manuskripts, vor allem
Anpassungen an den zeitgenössischen Sprachgebrauch. Dadurch verzögerte sich die
Herausgabe, so dass es nicht pünktlich zur Leipziger Buchmesse im September
1818 erscheinen konnte. War er anfangs noch ganz geschmeidig und höflich („…
Euer Wohlgeboren …“) mit Friedrich Arnold Brockhaus umgegangen, änderte sich
dies schnell, nachdem der Kontrakt unterzeichnet war und erste Abweichungen
auftauchten. Er sah sich als herausragenden, aber schlecht bezahlten Autor und
beklagte sich:
„Ich habe nicht
des Honorars wegen geschrieben, wie die Unbedeutsamkeit desselben von selbst
beweist; sondern um ein lange durchdachtes und mühsam ausgearbeitetes Werk, die
Frucht vieler Jahre, ja eigentlich meines ganzen Lebens, durch den Druck zur
Aufbewahrung und Mitteilung zu bringen. Woraus folgt, daß Sie nicht etwa mich
anzusehen und zu behandeln haben wie Ihre Konversationslexikons-Autoren und
ähnliche schlechte Skribler, mit denen ich gar nichts gemein habe als den
zufälligen Gebrauch von Tinte und Feder.“[5]
In einem weiteren Brief an Brockhaus schreibt
Schopenhauer: „Es liegt am Tage, daß bei Ihnen Wort und That, Versprechen und
Halten, zwei sehr verschiedene Dinge sind.“[6] Brockhaus’ Erwiderung fiel
scharf aus. Er sprach Schopenhauer ab, ein Ehrenmann zu sein, und weigerte
sich, „etwaige Briefe“ seines Autors anzunehmen, „die ohnehin in ihrer göttlichen
Grobheit und Rusticität eher auf einen Vetturino [einen Lohnkutscher], als
einen Philosophen schließen lassen möchten […] Ich hoffe nur, daß meine
Befürchtung, an Ihrem Werke bloß Makulatur zu drucken, nicht in Erfüllung gehen
werde.“[7]
Reisen und Berliner
Jahre
Außerdem kamen finanzielle Belastungen aus der
Marqet-Affäre hinzu. Caroline Louise Marqet, eine 47-jährige Näherin, hatte
Schopenhauer durch ihr lautes Gespräch mit zwei anderen Frauen im Vorzimmer
seiner Wohnung derartig in Rage gebracht, dass er sie schließlich unsanft aus
dem Haus geworfen hatte. Die derart Behandelte klagte daraufhin gegen
Schopenhauer, weil sie von seiner rohen Behandlung ein andauerndes Zittern des
Armes zurückbehalten habe. Sie bekam vor dem Kammergericht Recht,[8] und ihr
wurde eine Vierteljahresrente von 15 Talern zugesprochen, bis das Zittern
wieder verschwunden sei. Zum Urteilsspruch bemerkte
Schopenhauer sarkastisch, dass „sie wohl so klug sein wird, das Zittern des
Arms nicht einzustellen“. Er sollte damit Recht behalten. Zu ihrem Tod 20 Jahre
später notierte Schopenhauer lakonisch: „Obit
anus, abit onus“ (Die Alte stirbt, die Last vergeht).[9]
Seine finanziell prekäre Situation veranlasste ihn, sich
um eine Dozentur an der Universität Berlin zu bewerben. 1820 begann
Schopenhauer die Lehrtätigkeit an der noch jungen Berliner Universität. Dabei
kam es zu dem berühmten Streit mit Hegel. Schopenhauer setzte seine Vorlesungen
zeitgleich mit denen Hegels an, hatte aber nur wenige Zuhörer, da die Studenten
Hegel bevorzugten. Bald begann er, die Universitätsphilosophie zu verachten.
Als das Handelshaus Muhl 1821 seine Forderungen beglich, verließ er die
Universität und setzte seine Italienreise fort.
Ab 1821 unterhielt er mehrere Jahre lang ein Verhältnis
mit der damals 19-jährigen Opernsängerin
Caroline Medon, er misstraute jedoch ihrem Gesundheitszustand und ihren
möglichen Absichten, sodass es nie zu einer Heirat kam. Nach längeren zum Teil
krankheitsbedingten Aufenthalten in München, Bad Gastein und Dresden kehrte er
erst im April 1825 nach Berlin zurück und unternahm einen erneuten Versuch,
eine universitäre Laufbahn einzuschlagen. Trotz einer rühmenden Besprechung der
Welt als Wille und Vorstellung von Jean Paul erzeugten seine Ideen noch keine
Resonanz.
Während seiner Aufenthalte in Berlin von 1820 bis 1831
wohnte Schopenhauer in der heutigen Dorotheenstraße 34 bzw. 30 in Berlin-Mitte.
Bei Ausbruch einer Choleraepidemie in Berlin floh Schopenhauer 1831 – anders
als Hegel, der ihr vermutlich zum Opfer fiel[10] – nach Frankfurt am Main, wo
er den Winter verbrachte. Die immer noch mit ihm liierte Medon ging nicht mit
ihm aus Berlin fort, da er verlangte, dass sie ihren außerehelichen damals im
neunten Lebensjahr stehenden Sohn Carl Ludwig Gustav Medon (1823–1905)[11] zurücklassen
solle; dies führte zum Bruch. Im Alter von 43 Jahren interessierte er sich
nochmals für ein junges Mädchen, nämlich die 17-jährige Flora Weiss, die den
wesentlich älteren Verehrer jedoch abwies. Nach einem Aufenthalt in Mannheim
vom Juli 1832 bis Juni 1833 ließ er sich am 6. Juli 1833 endgültig in Frankfurt
nieder.
Frankfurter Jahre
Schopenhauer (Daguerreotypie aus dem Jahr 1852)
Nach langem Schweigen meldete
sich Schopenhauer 1836 mit seinem Werk Ueber den Willen in der Natur wieder zu Wort. 1837 griff er in die
Gestaltung der Gesamtausgabe der Schriften Immanuel Kants ein, indem er erfolgreich für die Aufnahme der
ersten Fassung der Kritik der reinen Vernunft anstatt der zweiten Fassung plädierte.
1838 starb Schopenhauers Mutter.
Im folgenden Jahr krönte die Königlich Norwegische Societät der
Wissenschaften seine Preisschrift Ueber die Freiheit des
menschlichen Willens. 1841 erschien sie zusammen mit
einer anderen, nicht gekrönten Preisschrift, Ueber das Fundament der Moral,
unter dem zusammenfassenden Titel Die beiden Grundprobleme der Ethik.
Als bedeutendster einer Reihe von
„Aposteln und Evangelisten“ Schopenhauers war 1840 Julius
Frauenstädt aufgetreten,
weshalb Schopenhauer ihn "Erzevangelist" nannte. Zuvor hatte schon Friedrich Dorguth (von Schopenhauer daher "Urevangelist"
genannt) auf Schopenhauer aufmerksam gemacht. 1843 nannte er in seiner Schrift Die
falsche Wurzel des Idealrealismus den immer noch wenig bekannten
Schopenhauer einen Denker von weltgeschichtlicher Bedeutung.
Mit 55 Jahren bezog der
Philosoph, der bis dahin meist zur Untermiete gewohnt hatte, am Mainufer, an
der Schönen Aussicht 17, eine eigene Wohnung, die er 16 Jahre lang
behielt. Als das Schopenhauerhaus aber ist die Nachbaradresse in die
Geschichte eingegangen, das riesige Palais Schöne Aussicht 16, sein
Sterbehaus.
1843 hatte Schopenhauer den zweiten
Band seines Hauptwerkes vollendet und wandte sich erneut an den Verlag, der
inzwischen von Heinrich
Brockhaus geleitet wurde,
mit der Bitte um Veröffentlichung. Nach einem Briefwechsel, der von
gegenseitigem Respekt zeugt, erschien 1844 die ergänzte und überarbeitete 2. Auflage
von Die Welt als Wille und Vorstellung.
Arthur
Schopenhauer, 1859
1851 kamen die Parerga und Paralipomena (2 Bände) mit den Aphorismen zur Lebensweisheit heraus.
Richard Wagner ließ dem von ihm verehrten Schopenhauer seine
Dichtung Der
Ring des Nibelungen
überreichen. Julius Frauenstädts Brief über die Schopenhauer’sche
Philosophie erschien. Eine Serie von Schopenhauer-Porträts von Jules
Lunteschütz und anderen
Künstlern entstand. Im Mai 1857 besuchte Friedrich Hebbel Schopenhauer.
Im Sommer des Jahres 1859 rettete
der häufig als Misanthrop bezeichnete Schopenhauer – er nannte
seinen Hund immer dann „Mensch“, wenn er sich über ihn ärgerte – den
neunjährigen Julius Frank vor dem Ertrinken.
Die ihm erst spät angetragene
Mitgliedschaft in der Königlichen Akademie der Wissenschaften in Berlin lehnte Schopenhauer ab.
Am 9. September 1860 erkrankte er
an einer Lungenentzündung. Nach monatelangen „Atmungsbeschwerden
mit starkem Herzklopfen im Gehen“ starb Schopenhauer am 21. September 1860 in
der Schönen Aussicht 16 in Frankfurt am Main. Am 26. September wurde er
auf dem Frankfurter
Hauptfriedhof beigesetzt.
Erst nach seinem Tod wurde 1864
seine Schrift Eristische
Dialektik (Technik
des Diskutierens) veröffentlicht. Schopenhauer formuliert darin 38
rhetorische Kunstgriffe, die es ermöglichen sollen, aus Streitgesprächen
als Sieger hervorzugehen, sogar wenn Tatsachen gegen die eingenommene Position
sprechen. Die polemisch gegen den Diskussionsstil seiner Zeitgenossen
gerichteten Kunstgriffe liefern Beispiele für rabulistische Argumentation und bieten Hinweise auf die durch sie
verursachten Fehlschlüsse.
Schopenhauers Persönlichkeit
Arthur
Schopenhauer, gesehen von Wilhelm Busch
Arthur Schopenhauer war ein
Einzelgänger. In Frankfurt war der Gelehrte nach Einschätzung von Chronisten
ein „verkannter Niemand“.
Er hielt sich zeitlebens einen Pudel. Dessen Name war immer Atman, nach dem Sanskrit-Wort für Lebenshauch,
Atem, in der Tradition der Upanishaden die Essenz des Selbst bzw. die Einzelseele als
Teil des Brahman, der „Weltseele“. Wenn ein Hund starb, was etwa alle zehn Jahre
vorkam, erwarb er jeweils einen ähnlich aussehenden Pudel. Schopenhauer war der
philosophischen Auffassung, dass jeder Hund gleichzeitig jeden anderen Hund
enthalte. „Des Pudels Kern“ (Goethe) ging also nie verloren. Für Menschen galt
ihm sinngemäß das Gleiche. Wie er gestikulierend im Selbstgespräch mit seinem
Pudel am Mainufer spazierte, hat unter anderem der Lokaldichter Friedrich Stoltze bespöttelt.
Schopenhauers Tagesablauf war
strukturiert: morgens die Arbeit am Schreibtisch, Flötespielen regelmäßig vor
dem Mittagessen. Die Mahlzeiten soll Schopenhauer nach der Überlieferung seiner
Biographen stets in Gasthäusern eingenommen haben, bevor er einen zweistündigen
Spaziergang mit seinem jeweils aktuellen Pudel machte.[12]
Über „die Frauen“ äußerte
Schopenhauer sich häufig negativ:
„Sie sind sexus sequior, das in
jedem Betracht zurückstehende, zweite Geschlecht, dessen Schwäche man demnach
schonen soll, aber welchem Ehrfurcht zu bezeugen über die Maßen lächerlich ist
und uns in ihren eigenen Augen herabsetzt. […] Mit mehr Fug, als das schöne, könnte
man das weibliche Geschlecht das unästhetische nennen. Weder für Musik, noch
Poesie, noch bildende Künste haben sie wirklich und wahrhaftig Sinn und
Empfänglichkeit; sondern bloße Aefferei, zum Behuf ihrer Gefallsucht, ist es,
wenn sie solche affektiren und vorgeben.“
– Essay „Über die
Weiber“ (1851)
Schopenhauer zufolge sind über
sexuelle Leidenschaft hinausgehende Liebesbeziehungen zwischen Männern und
Frauen nicht möglich:
„Alle Verliebtheit, wie ätherisch
[fein, geistig] sie sich auch gebärden mag, wurzelt allein im
Geschlechtstriebe.“
Das Heiraten verwarf er stets –
wohl auch gegründet in verunsichernden Erfahrungen in seinem Elternhaus:
„Heiraten heißt das Mögliche
thun, einander zum Ekel zu werden. […] seine Rechte zu halbieren und seine
Pflichten zu verdoppeln. […] Heiraten heißt, mit verbundenen Augen in einen
Sack greifen und hoffen, dass man einen Aal aus einem Haufen Schlangen
herausfinde.“
Über den jüdischen
Glauben äußerte sich
Schopenhauer eher abschätzig, z. B. bezeichnete er ihn (in Die Welt als
Wille und Vorstellung und Parerga und Paralipomena) als „roh“ und
„barbarisch“. Er hielt ihn angesichts seiner eigenen pessimistischen Weltsicht
für zu optimistisch und machte ihm eine angebliche Unempfindsamkeit gegenüber
Tieren zum Vorwurf. Unabhängig davon hatte er im Alltag Kontakte zu einigen
Juden.[13]
Philosophie
Unter dem Einfluss Platons und Kants vertrat Schopenhauer in seiner Erkenntnistheorie die Position des Idealismus, beschritt jedoch innerhalb dieser
Grundauffassung einen eigenen, subjektivistischen Weg („subjektiver Idealismus“).
Was Schopenhauer von den Solipsisten trennt, ist sein Beharren auf ein alles
verbindendes und bedingendes Etwas. Dieses ist für Schopenhauer der blinde, zum
Dasein drängende Wille, Sanskrit: Tat twam asi („Das bist du“).
Schopenhauer lehnte die
Philosophie Hegels ab, die er
selbst abwertend als „Hegelei“ bezeichnete. Er verfasste drastische Polemiken gegen Hegel, Schelling, Fichte und den zunächst von ihm verehrten Schleiermacher.
Die Welt
als Vorstellung
Ähnlich wie George Berkeley vertritt Schopenhauer die Auffassung, dass sich
die Frage nach einer von ihrer Wahrnehmung unabhängig gegebenen Außenwelt nicht
stelle. Er argumentiert bezüglich der Existenz einer Außenwelt sowohl gegen den
Dogmatismus, der seiner Darstellung nach in Realismus und Idealismus zerfalle, als auch gegen
skeptizistische Argumente, da sich die Welt dem Subjekt gegenüber ohnehin nur als Vorstellung
zeige – die jedoch nicht als Imagination zu verstehen sei – und die Wahrnehmung unseren
einzigen Zugang zur objektiven Welt darstelle.
Gegen den philosophischen Skeptizismus bringt er vor, jener bedürfe eher einer
„Therapie“ oder „Kur“ als einer ernsthaften Diskussion. Nach seiner Konzeption
ist uns als Subjekt die objektive Welt immer nur im Modus der Vorstellung
gegeben, d. h., dass Objekte nur als eine Seite der vorstellenden
Relation von Subjekt und Objekt ihre Existenz besitzen. Trotzdem kommt bei
Schopenhauer der Welt eine Wirklichkeit zu, die über die reiner imaginativer
Vorstellung hinausgeht. Demnach wäre es falsch, die Welt lediglich als
Imagination des menschlichen Bewusstseins zu verstehen. Wesentlich in der
Terminologie Schopenhauers ist vielmehr die Unterscheidung zwischen der in
Subjekt und Objekt zerfallenden Vorstellung einerseits und bloßer Imagination
oder Fantasie, die damit nicht in Verbindung stehen,
andererseits.
Schopenhauer widersprach der
Überzeugung Kants, dass das Ding an sich jenseits aller Erfahrung liegt
und deshalb nicht erkannt werden könne. Kants Ding an sich war für ihn zwar auch unerkennbar (wir
sehen immer nur das, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen), jedoch nicht unerfahrbar.
Durch eine Selbstbeobachtung unserer Person können wir uns dessen gewiss werden, was wir letzten Endes sind: Wir
erfahren in uns den Willen. Er ist das Ding an sich und damit
nicht nur die Triebfeder allen Handelns von Mensch und Tier, sondern auch die
metaphysische Erklärung der Naturgesetze. Die Welt ist letztlich blinder,
vernunftloser Wille (vgl. Triebtheorie). Schopenhauer ist somit der klassische Philosoph
und Hauptvertreter des metaphysischen Voluntarismus.
Doch die Welt ist nicht
nur Wille, sondern erscheint auch als Vorstellung. Sie ist die durch Raum und Zeit sowie Kausalität, die den a priori gegebenen Erkenntnismodus von uns Verstandeswesen bilden,
individuierte und verknüpfte Erscheinung des einen Willens. „Die Welt ist meine
Vorstellung“ ist der erste Hauptsatz seiner Philosophie. Was uns als Welt
erscheint, ist nur für uns, nicht an sich. Es gibt für
Schopenhauer nichts Beobachtetes ohne Beobachter, kein Objekt ohne ein Subjekt.
Die Welt, als Vorstellung betrachtet, zerfällt in Subjekte und Objekte, die
sowohl untrennbar als auch radikal voneinander verschieden, jedoch letzten
Endes beide nur Erscheinungen des Willens sind. Dieser ist nach Schopenhauer
das Wesen der Welt, das sich, in Subjekt und Objekt erscheinend, gleichsam selbst betrachtet.
Die Welt
als Wille
Der Vorstellungswelt liegt der
Wille zugrunde, den Schopenhauer als grundlosen Drang versteht. Er stuft den
Willen nach den Gegebenheiten seines Wirkens ab, spricht von Ursachen, wenn die
Wirkung ihnen gemäß ist, wie z. B. beim elastischen Stoß, von Reizen, wenn
die Wirkung ein Energiepotential entlädt, und von Motiven, wenn die Wirkung als
Umsetzung bestimmter Absichten berechnet wurde.
„Ich nenne nämlich Ursach,
im engsten Sinne des Worts, denjenigen Zustand der Materie, der, indem er einen
andern mit Nothwendigkeit herbeiführt, selbst eine ebenso große Veränderung
erleidet, wie die ist, welche er verursacht […] Ich nenne dagegen Reiz
diejenige Ursach, die selbst keine ihr angemessene Gegenwirkung erleidet […]
Der Reiz hält das Mittel, macht den Übergang zwischen dem Motiv, welches die
durch das Erkennen hindurchgegangene Kausalität ist, und der Ursach im engsten Sinn.“[14]
In diesen Formen also bestimmt
der Wille alle Vorgänge der organischen und anorganischen Natur. Er
objektiviert sich in der Erscheinungswelt als Wille zum Leben und zur
Fortpflanzung. Diese Lehre vom „Primat des Willens“ bildet die zentrale Idee
der schopenhauerschen Philosophie, sie hatte weitreichenden Einfluss und
begründet die Aktualität von Schopenhauers Werk.
Willensfreiheit kennt Schopenhauer, der sich wiederholt
mit unterschiedlichem Resultat mit Augustinus auseinandersetzte, nur gemäß seiner berühmt
gewordenen These: „Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht
wollen, was er will.“ Jeglichem Handeln liegt immer und stets der Wille, das
heißt das Wollen zu Grunde. In der streng kausal geordneten empirischen Welt, der Welt der Vorstellung, ist kein
Platz für einen ohne rein-empirische Ursache handelnden Menschen, und zwar
nicht nur in dem Sinne, dass dies unserer Denkweise widerspräche, sondern in
dem tieferen Sinne, dass der Wille sich in allen seinen Teilen gemäß dem Gesetz
der Kausalität manifestiert.
Im Gegensatz zu Berkeley sieht
Schopenhauer in der Kausalität kein bloßes gedankliches Konzept, sondern den
Willen selbst, welchen zu deuten das Werk des Verstandes ist. Frei ist der
Wille nur insofern, als ihm nichts vorschreibt zu sein, was er ist (d. h.,
dass die Naturgesetze zwar alles bestimmen, was passiert, selbst aber durch
kein Gesetz so sind, wie sie sind). Diese Freiheit hat der so verstandene Wille
demnach nur vor seiner Manifestation, welche selbst nichts weiter als sein
wirksam gewordener Ausdruck ist. Im Falle des Menschen ist dessen wirkendes
Wollen durch seinen „Charakter“ – als angeboren und unveränderlich gedacht –
bestimmt, welcher willkürlich ist, also aus keinem tieferen Grund existiert.
Nur diesem Charakter gemäß kann man wollen.
Dennoch spricht Schopenhauer von
einer intelligiblen Willensfreiheit: Wenn das Subjekt den
zugrunde liegenden Willen erkennt, kann es ihn in bestimmten Momenten der Kontemplation, beispielsweise durch intensiven Kunstgenuss,
verneinen. Dies bezeichnet Schopenhauer als Zustand der Melancholie.
Verstand
und Vernunft
Schopenhauer unterscheidet zwei
intellektuelle Vermögen, den Verstand und die Vernunft. Der Verstand äußert sich in
unmittelbaren Urteilen über das Angeschaute, beispielsweise zu erkennen, wie
stark oder schnell jemand ist, welche Ursache ein Geräusch hat oder in welchem
Winkel und mit welcher Kraft ein Speer geworfen werden muss, um sein Ziel zu
treffen. Die Vernunft hingegen ist die Fähigkeit, begrifflich zu denken, also Anschauungen
unter Begriffe zusammenzufassen, sich Begriffe vorzustellen, den Inhalt von
Begriffen miteinander zu vergleichen usw. Diese Lehre vom Denken (Dianoiologie) unterscheidet Schopenhauer von der Lehre vom
Sein (Ontologie).
Während der Verstand allen Tieren
gemein ist, ist die Vernunft das herausragende Merkmal des Menschen. Das
menschliche Vernunftvermögen beschrieb Schopenhauer allerdings deutlich
skeptischer als etwa Kant oder die reinen Idealisten.
Pessimismus und Erlösung
Grabanlage von
Arthur Schopenhauer auf dem Frankfurter Hauptfriedhof im Gewann A 24
Arthur
Schopenhauers Grabstein
Schopenhauer begründete ein
System des empirischen und metaphysischen Pessimismus. Der blinde, vernunftlose Weltwille ist für ihn
die absolute Urkraft und somit das Wesen der Welt. Die Vernunft ist nur
Dienerin dieses irrationalen Weltwillens. Die Welt – als Erzeugnis dieses
grundlosen Willens – ist durch und durch schlecht, etwas, das nicht sein
sollte, eine Schuld.[15] Eine schlechtere Welt kann es überhaupt nicht
geben.
„Nun ist diese Welt so
eingerichtet, wie sie sein mußte, um mit genauer Not bestehen zu können. Wäre
sie aber noch ein wenig schlechter, so könnte sie schon nicht mehr bestehen.“[16]
Die Welt ist ein „Jammertal“,
voller Leiden. Alles Glück ist Illusion, alle Lust nur negativ. Der rastlos
strebende Wille wird durch nichts endgültig befriedigt.[17]
„Denn alles Streben entspringt
aus Mangel, aus Unzufriedenheit mit seinem Zustande, ist also Leiden, solange
es nicht befriedigt ist. Keine Befriedigung aber ist dauernd, vielmehr ist sie
stets nur der Anfangspunkt eines neuen Strebens. Das Streben sehen wir überall
vielfach gehemmt, überall kämpfend. Solange also immer als Leiden: kein letztes
Ziel des Strebens, also kein Maß und Ziel des Leidens.[18]“
Die Basis allen Wollens ist
Bedürftigkeit, Mangel, also Schmerz.[19] Das Leben „schwingt also, gleich einem Pendel,
hin und her zwischen dem Schmerz und der Langeweile“.[18] Schon seiner Anlage nach ist das Menschenleben
keiner wahren Glückseligkeit fähig. Jede Lebensgeschichte ist eine
Leidensgeschichte, eine fortgesetzte Reihe großer und kleiner Unfälle.[20]
Mächtigster Ausdruck des Willens
ist der nicht dauerhaft zu befriedigende Geschlechtstrieb.
Im „Jammertal“ des Diesseits hält
Schopenhauer den Tod für besser als das Leben. Es ist jedoch ein weit
verbreiteter Irrtum, daraus eine Aufforderung zur Selbsttötung abzuleiten. Der Suizid stellt keine Lösung dar, weil der metaphysische Wille umgehend eine neue
Form findet und so das Lebensrad aufs Neue in Gang bringt. Der Mensch ist
jedoch als höchstes irdisches Wesen in der Lage, den Willen für sich zu
negieren.
„Erkenntnis der Einheit aller
Wesen und Askese, Verneinung des Willens zum Leben allein kann uns
erlösen, nicht der Selbstmord, der nur die individuelle Erscheinung des
Allwillens vernichtet.“[21]
Auch die Kunst, vor allem die Musik und die Moral tragen dazu bei, das frustrierende und
schmerzvolle Dasein zu überwinden und ins Nirwana einzugehen.
Ästhetik
Die Kunst wirkt als zeitweiliges
„Quietiv [Beruhigungsmittel] des Willens“. Diese Ästhetik erreicht in der Weltverneinung ihren Höhepunkt.
Dem Menschen – als höchster Form des sich in der Erscheinungswelt
objektivierenden Willens – ist die Möglichkeit gegeben, den Willen und das
Leiden aufzuheben und so in einen Zustand des „Nichtseins“ (eine Art Nirwana) zu gelangen. Das „wahre Kunstwerk“ hilft ihm dabei, indem es das „innere
Wesen“ einer Sache, seine Idee, bewusst macht und dem Betrachter auf
diese Weise zu einer objektiven Sichtweise verhilft, die ihn aus seiner
Subjektivität, seinem „Wollen“, emporhebt. Unter der Gewahrung einer Idee
versteht Schopenhauer dabei die Antizipation eines Anschaulichen, seine Ahnung, welche
durch das Kunstwerk gereizt wird.
„Daß wir Alle die menschliche
Schönheit erkennen […], im ächten Künstler aber dies mit solcher Klarheit
geschieht, daß er sie zeigt, wie er sie nie gesehen hat […]; dies ist nur
dadurch möglich, daß der Wille, dessen adäquate Objektivation, auf ihrer
höchsten Stufe, hier beurtheilt und gefunden werden soll, ja wir selbst
sind. Dadurch allein haben wir in der Tat eine Anticipation Dessen, was die
Natur […] darzustellen sich bemüht; welche Anticipation im ächten Genius von dem Grade der Besonnenheit begleitet ist, daß er, indem er im
einzelnen Dinge dessen Idee erkennt, gleichsam die Natur auf halbem
Worte versteht und nun rein ausspricht, was sie nur stammelt.“[22]
Die Musik nimmt eine besondere
Stellung ein, da sie nach Schopenhauer ein objektives Abbild allen Wollens
dieser Welt zu geben vermag, wobei der Tonlage die Schlüsselrolle für die
Unterscheidung der unterschiedlichen Willensformen zukommt – je tiefer, desto
näher an den Gesetzen der Materie, je höher, desto näher an den Beweggründen
des Menschen:
„Ich erkenne in den tiefsten
Tönen der Harmonie, im Grundbaß, die niedrigsten Stufen der Objektivation des
Willens wieder, die unorganische Natur, die Masse des Planeten. Alle die hohen
Töne, leicht beweglich und schneller verklingend, sind bekanntlich anzusehen
als entstanden durch die Nebenschwingungen des tiefen Grundtones […] Dieses ist
nun dem analog, daß die gesammten Körper und
Organisationen der Natur angesehen werden müssen als entstanden durch die
stufenweise Entwickelung aus der Masse des Planeten: diese ist, wie ihr Träger,
so ihre Quelle: und das selbe Verhältniß haben die höheren Töne zum Grundbaß.
[…] Nun ferner in den gesammten die Harmonie hervorbringenden Ripienstimmen,
zwischen dem Basse und der leitenden, die Melodie singenden Stimme, erkenne ich
die gesammte Stufenfolge der Ideen wieder, in denen der Wille sich objektivirt.
Die dem Baß näher stehenden sind die niedrigeren jener Stufen, die noch
unorganisch, aber schon mehrfach sich äußernden Körper: die höher liegenden
repräsentieren mir die Pflanzen- und die Thierwelt. […] Endlich in der Melodie,
in der hohen, singenden, das Ganze leitenden und mit ungebundener Willkür in
ununterbrochenem, bedeutungsvollem Zusammenhange eines Gedankens von
Anfang bis zum Ende fortschreitenden, ein Ganzes darstellenden Hauptstimme,
erkenne ich die höchste Stufe der Objektivation des Willens wieder, das
besonnene Leben und Streben des Menschen.“[23]
Ethik
Moralphilosophisch formuliert Schopenhauer im Unterschied zu Kant
eine Mitleidsethik. Der einzige Grund, uneigennützig zu handeln, ist die
Erkenntnis des Eigenen im Anderen – das ist Mitleid (wobei der Begriff anders als der heutige
Sprachgebrauch ein Mitempfinden bedeutet). Schopenhauer verhandelt
die Mitleidsethik im vierten Buch von Die Welt als Wille und Vorstellung
und vor allem – konkretisierend – in der Preisschrift Ueber die Grundlage
der Moral (oder auch Ueber das Fundament der Moral). Im ersten geht
es ihm vor allem um die metaphysische Begründung, im letzten um die empirische
Nachweisbarkeit (als Gegenprogramm zu Kant) der Mitleidsethik.
Jeder Mensch gilt bei
Schopenhauer als Objektivation des Willens. Der einzelne Mensch ist als Subjekt
eine Individuation des Willens. Da der Wille bei Schopenhauer als allmächtig
gilt, aus ihm alles hervorgeht, hält nun jedes Individuum sich als
Individuation des Willens für den Angelpunkt nicht seiner, sondern der Welt
überhaupt. Diese Sichtweise resultiert aus der falschen Identifikation der
Vorstellungen als Tatsachen, wobei der Nicht-Künstler dabei nicht das „Ding an
sich“ (den Willen) hinter den Vorstellungen erkennt und deshalb seine
individuellen Vorstellungen als „Dinge an sich“ identifiziert.
Im Gegenüber, im anderen
Menschen, erkennt nun der Mensch (der individuierte Willen) denselben Willen.
Der durch den Willen zur absoluten Bejahung des individuierten Willens
strebende Mensch (Egoismus) erkennt nun in seinem Gegenüber, dass
nur die absolute Verneinung des Willens des Gegenübers einer absoluten Bejahung
des eigenen Willens entspricht. So bemerkt der vom blinden Willen getriebene
Mensch, dass in allen anderen Lebewesen derselbe blinde Wille haust und sie
ebenso leiden lässt wie ihn. Durch das Mitleid wird der Egoismus überwunden, der Mensch identifiziert sich mit dem Anderen durch die
Einsicht in das Leiden der Welt. Nur dadurch kann der Wille, die treibende
Kraft nach Schopenhauer, sich selbst am Leben erhalten.
Hieraus folgt ein im Vergleich zu
Kant radikal anderer „Imperativ“:
„Neminem laede; imo omnes,
quantum potes, juva.“
„Verletze niemanden, vielmehr
hilf allen, soweit du kannst.“
– Das Prinzip
aller Moral
Seine Ethik schließt den Schutz der Tiere ein:
„Mitleid mit den Tieren hängt mit
der Güte des Charakters so genau zusammen, daß man zuversichtlich behaupten darf,
wer gegen Tiere grausam ist, könne kein guter Mensch sein.“[24]
Da er die Welt als Manifestation
eines metaphysischen Willens betrachtet, der Mensch und Tier verbinde, wisse er
kein schöneres Gebet als das: „Mögen alle lebenden Wesen von Schmerzen frei
bleiben.“ Dementsprechend mahnt er Respekt vor der Einzigartigkeit des Lebens
an:
„Jeder dumme Junge kann einen
Käfer zertreten. Aber alle Professoren der Welt können keinen herstellen.“[25]
Politische
Ansichten
Im Zusammenhang mit der Revolution 1848 äußerte sich Schopenhauer zur Rolle des Staates: In der Natur herrsche Gewalt, auch zwischen den Menschen, was die „Masse“ in Vorteil bringe; aber da das Volk ein
„ewig unmündiger Souverain“ sei, „unwissend, dumm und unrechtlich“, so müsse
dessen „physische Gewalt der Intelligenz, der geistigen Überlegenheit“ unterworfen werden.
Zweck des Staates sei es, dass „möglichst wenig Unrecht im Gemeinwesen“
herrsche, zugunsten des Gemeinwohls dürfe der Staat auch Unrechtes tun.
Schopenhauer bevorzugte einen aufgeklärten monarchischen Absolutismus, weil sich nur so die Menschen zügeln und
regieren ließen. Er sprach von einem „monarchischen Instinkt im Menschen“. Republiken hingegen seien „widernatürlich, künstlich gemacht
und aus der Reflexion entsprungen […] überall muß Ein
Wille der leitende seyn.“
Im Gegensatz zu Hegel hatte er
demzufolge keine wesentliche politische Nachwirkung.
Bronzebüste nach einem Entwurf von Friedrich
Schierholz in den Frankfurter Wallanlagen
Wirkung
und Rezeption
Kaum ein deutscher Philosoph der Neuzeit hat trotzdem posthum sowohl breite Leserschichten als auch zahlreiche Berühmtheiten
aus Kunst und Wissenschaft so unmittelbar erreicht wie Schopenhauer.
Literatur
Leo Tolstoi, Richard Wagner, Wilhelm Busch, Thomas Hardy, Friedrich
Nietzsche, Henri Bergson, Thomas Mann, Bruno Frank, Hermann Hesse, Albert Einstein, Kurt Tucholsky, Samuel Beckett, Thomas Bernhard und viele andere gaben ihrer Verehrung für den
Literaten und Philosophen Schopenhauer Ausdruck.
Tolstoi brachte Ende August 1869
einen regelrechten Schopenhauer-Panegyrikus zu Papier:
„Wissen Sie, was der diesjährige
Sommer für mich bedeutet hat? Ununterbrochene Begeisterung für Schopenhauer und
eine Reihe geistiger Genüsse, die ich niemals zuvor erfahren habe. […] Ich weiß
nicht, ob ich meine Meinung einmal ändern werde, jetzt jedenfalls bin ich
überzeugt, dass Schopenhauer der genialste aller Menschen ist […] Wenn ich ihn
lese, ist mir unbegreiflich, weshalb sein Name unbekannt bleiben konnte. Es
gibt höchstens eine Erklärung, eben jene, die er selber so oft wiederholt,
nämlich dass es auf dieser Welt fast nur Idioten gibt.“[26]
Schopenhauers Einfluss auf die
moderne deutsche
Literatur ist kaum zu
überschätzen. Dies zeigt sich nicht nur in den zahlreichen Anhängern unter den
Literaten, sondern auch in seinem Beitrag zur Erneuerung der deutschen
Schriftsprache. Insbesondere wegen seiner besonderen Beziehung zur Ästhetik
beriefen sich viele Künstler und Schriftsteller auf die Lehre Schopenhauers.
Ein Beispiel für Schopenhauers Bedeutung hinsichtlich seiner Haltung zur
Sexualität ist der Roman Wettlauf zum Tod von Édouard Rod aus dem Jahr 1885.
Philosophie
und Religion
Friedrich
Nietzsche stellte seine 3.
Unzeitgemäße Betrachtung unter den Titel Schopenhauer als Erzieher:
„Ich gehöre zu den Lesern Schopenhauers, welche, nachdem sie die erste Seite
von ihm gelesen haben, mit Bestimmtheit wissen, daß sie alle Seiten lesen und
auf jedes Wort hören werden, das er überhaupt gesagt hat … Das kräftige
Wohlgefühl des Sprechenden umfängt uns beim ersten Ton seiner Stimme; es geht
uns ähnlich wie beim Eintritt in den Hochwald, wir atmen tief und fühlen uns
auf einmal wiederum wohl … Ich ahnte in ihm jenen Erzieher und Philosophen
gefunden zu haben, den ich so lange suchte. Zwar nur als Buch: und das war ein
großer Mangel.“ Später freilich verwarf Nietzsche Schopenhauers Philosophie und
kehrte dessen Pessimismus in einen radikal-optimistischen Vitalismus um. Dabei bleibt Schopenhauer offensichtlich eine
Referenz.
Der Philosoph Eduard von Hartmann
dagegen kritisierte schon sehr früh an Schopenhauers Lehre die „Verneinung der
Welt“ als „feige persönliche Entsagung“. Der Theosoph Johannes
Maria Verweyen lehnte die
negative Grundhaltung ab: „einer Vorherrschaft der Unlust und des
Lebensschmerzes, denen gegenüber dann Lust und Glücksgefühl nicht so richtig
aufzukommen vermögen (…)“[27]
Ferdinand
Tönnies’ Willenstheorie
als Axiomatik der Soziologie in Gemeinschaft und Gesellschaft (1887) weist starke Einflüsse Schopenhauers auf.
Hermann
Graf Keyserling verhöhnte
das Artistentum Schopenhauers, dem es innerlich wie
äußerlich stets um bloße Darstellung gegangen sei.[28]
Max Scheler bezeichnete Schopenhauer als Auslöser der
wissenschaftlichen Lebensphilosophie: „[Er ist] Vorgänger des Pragmatismus – nicht als Philosophie, sondern als Methodologie
der Wissenschaft […] insofern er den Intellekt als eine bloße Waffe des blinden
Lebenswillens im Kampf ums Dasein ansieht […] ist er der Vorgänger Bergsons.“[29]
Max Horkheimers Denken war stark von Schopenhauers Pessimismus
beeinflusst: „Daß alles Leben der Macht gehorcht und aus dem Zauberkreis des
Egoismus gerade noch die Hingabe an die Sache, die Identifikation mit dem, was
nicht ich bin, herauszuführen und ins Nichts hineinzuführen scheint – und das
ist ein Mythos – hat Schopenhauer gesehen und war der Welt böse dafür.“[30]
Arnold Gehlen sah Schopenhauers Mitleidsethik als
„Teilwahrheit“ im Rahmen seines eigenen Konzepts einer pluralistischen Ethik
an und wies in diesem Zusammenhang auf die isolierte Lebenssituation des
Philosophen hin: Das Mitleidsmotiv sei „verständlich als Stimme eines Mannes,
der familienlos, staatenlos und berufslos, als zugereister Frankfurter und
Rentier Mühe gehabt hätte, andere Antriebe zu Verpflichtungen in sich zu
finden“.[31]
Die Verbreitung des Buddhismus
in Deutschland lässt sich
auch auf Schopenhauers Wirken zurückführen. Er sah in dieser Religion einen Gegenentwurf zur abendländischen Metaphysik und deutete deren Erkenntnisstreben als Mittel,
die geistige Isolierung des Individuums zu durchbrechen. Schopenhauer fand zahlreiche
Verbindungen zwischen seiner eigenen Philosophie und der buddhistischen Lehre,
etwa den Atheismus. Die Indien-Begeisterung vieler damaliger
Intellektueller wie auch die ersten Übersetzungen asiatischer Texte wurden
durch seine Schriften angeregt.
Psychologie
Auch die Psychoanalyse Sigmund Freuds setzt unmittelbar bei Schopenhauers Lehre vom
Willen und seiner Negierung an, indem sie die Schäden untersucht, die durch
(willentliche oder unfreiwillige) Triebunterdrückung entstehen. Freuds Ansatz kann als Versuch der
Re-Rationalisierung des menschlichen Lebens eingeordnet werden, da er eine
Methode zur Analyse des schopenhauerschen Begriffs des Willens erarbeitet, mit
dem Ziel, diesen kontrollierbar zu machen. „Wo ES war, soll ICH werden.“
Zudem knüpfte Carl Gustav Jung, Hauptvertreter der Analytischen
Psychologie, mit seinem
Konzept des kollektiven
Unbewussten an
Schopenhauer an.
Der Begründer der
Individualpsychologie Alfred Adler deutete den schopenhauerschen Ansatz der
Leidensüberwindung als fundamental positiven Aspekt in der menschlichen
Entwicklung auf dem Weg von seiner Unmündigkeit bei der Geburt zur
individuellen Vollkommenheit. Der bei Schopenhauer auf einen Weltwillen
zielende Entwurf wird als schöpferisches Element in jedem Lebewesen
interpretiert.[32] Adler sieht Schopenhauers Ansatz zur Verneinung
des Lebens vorbereitet in einer feindlichen Beziehung zur Mutter.[33]
Weiteres
Gedenkmarke der Deutschen
Bundespost zum 200.
Geburtstag von Schopenhauer
1911 gründete Paul Deussen die Schopenhauer-Gesellschaft, wurde ihr erster Präsident und begann mi
|