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Er hat als „Goldener Reiter“ längst einen Platz im
kollektiven Gedächtnis inne, landete 1998 mit „Die Flut“ einen
der ungewöhnlichsten Tophits der deutschen Musikgeschichte und
überraschte 2012 mit „Gloria“, einem der ergreifendsten Songs
über Liebe und Verlust überhaupt: Wenn sich einer wie Joachim
Witt anschickt, im Jahr 2014 ein Album voller Electro-Hymnen
unters Volk zu bringen, darf man eines nicht erwarten:
Kompromisse. „Nein, ich verlier‘ meine Träume
nicht“, singt Witt im Schlüsselsong „Aufstehen“. Es sind die
Träume von ewiger Erneuerung, von den Kämpfen gegen den Teufel
Stillstand, die Joachim Witt antreiben; die ihn dazu bewegt
haben, sein Album „Neumond“ zu nennen – nach jenem
kosmischen Phänomen, das immer und immer wieder passiert und
niemals seine Faszination verliert. Zusammen mit Martin Engler
– hauptberuflich Frontmann der Band Mono Inc. – hat Witt eine
gute Dreiviertelstunde dieser finsteren Mondphase beleuchtet.
Jetzt leuchtet sie, und wie. Kaum zwei Jahre
nach „Dom“, seinem erhabenen Meisterwerk der Besinnlichkeit,
feuert der Herbergsvater alles Neuen Deutschen nun aus
sämtlichen elektronischen Rohren. Die Sequenzer arbeiten am
Limit, die Bassdrum zwingt zur Bewegung, satte Powerchords
lassen die Refrains erstrahlen. Die gewagte Zeile „Weil wir
eisern sind“ ist bei einem wie Witt, der einst Wagners
„Bayreuth“ mit einem Drei-Alben-Zyklus aus der rechten Ecke
befreite, keine leere Phrase. Witt steht noch immer unter
Starkstrom – und er lässt uns auf „Neumond“ an dieser
unbändigen Energie teilhaben. Wie oft schon hat
Witt einen radikalen Wandel vollzogen? Sich neu interpretiert
und unbekanntes Terrain erobert? „Neumond“ ist Studioalbum
Nummer 14, und genau so oft hat Witt im Laufe seiner Karriere
Grenzen durchbrochen – sei es in Sachen Musik, Inhalt oder
Genre: Sein Debüt „Silberblick“ war noch kunstversessener
Gitarrenpop, der Nachfolger „Edelweiß“ brachte düsteren
Elektro, gefolgt von gepflegtem Hochglanzpop auf
„Märchenblau“. Und das waren nur die ersten drei Platten… Im
Laufe der Jahre folgten mal kristallklarer Synthiepop,
dann wieder brachialer Industrial-Funk, sogar Ausflüge in den
Schlager waren manchmal kein Tabu. Später wurde Witt von Jahr
zu Jahr härter, im dritten Teil seiner „Bayreuth“-Reihe gar
unerbittlich. Eines aber hatten all seine Werke gemeinsam: Sie
waren in dem, was sie ausmachte, immer absolut kompromisslos.
Und so ist es auch jetzt bei „Neumond“. Dass
viele seiner Songs autobiographische Züge tragen, daraus hat
Joachim Witt nie einen Hehl gemacht. Diesmal ist es der
Titelsong, der aus dem Leben des Interpreten erzählt. „Wer
fügt sich schwer dem Herdentrieb?“ fragt Witt zu sphärischen
Klangteppichen, um am Ende anzudeuten, dass er sich selbst
meint, den „Schüchternen mit Seelenqual.“ Doch dieser
Schüchterne hat es auch geschafft, sich auf „Neumond“ einen
musikalischen Traum zu erfüllen: Ein Duett mit Lisa Gerrard,
der weiblichen Seite des Duos Dead Can Dance, zu finden auf
der Bonus-CD des Albums. Die Frage, warum dieses
Kleinod nicht auf dem eigentlichen Album enthalten ist, ist
einfach zu beantworten: Es hätte nicht in das Gesamtbild der
Platte gepasst, es wäre ein Kompromiss gewesen. Und eben
solche macht ein Joachim Witt
nicht. |