Pierre Claude, Patriotismus gegen bar
Straßburg, kurz vor dem II. Weltkrieg... Der Brauereibesitzer Philipp
Steinbrod glaubte endlich die höchste Sprosse der sozialen Leiter
erklommen zu haben, hatte doch der Träger eines der vornehmsten Namen
eingewilligt, sich neben ihn zu stellen. Die Verlobung seines Sohnes
Robert mit einer Erbin von Zolleskind galt ihm als Echtheitsstempel auf
seinem persönlichen Adelsschild.
Die grellen Sonnenstrahlen des Spätfrühlings verfingen sich in den
dichten Gardinen. Wie ein durchsichtiger Schleier legte sich der
Schatten auf die antiken Möbelstücke, die das Arbeitszimmer des
Bierbrauers zierten. Die fein ziselierten Kupferbeschläge des alten
Schreibtisches glänzten in vornehmer Einfachheit. Philipp Steinbrod sah
zu den Bildern seiner Eltern hinüber, die ihm zuzunicken schienen.
Darauf warf er einen prüfenden Blick in den von einem vergoldeten Rahmen
eingefaßten Spiegel, den sein Großvater selbst angefertigt hatte. Der
Bierbrauer zupfte seine schwerseidene, mit einer erbsengroßen Perle
geschmückte Krawatte zurecht. Sein bereits stark ergrautes Haar hielt er
in diesem Augenblick fast für eine Silberkrone, seine gedrungene
Gestalt kam ihm größer vor als sonst. Sein derbes Bauerngesicht, das in
seiner Ursprünglichkeit Selbstbewußtsein und Stolz ausdrückte, und das
eine verfeinerte Lebensart nicht hatte entstellen können, gefiel ihm
heute ausnahmsweise gut. Er fühlte den Puls und stellte zu seiner
Zufriedenheit fest, daß er sich 75mal in der Minute meldete und nicht zu
kräftig schlug. Eine sedentäre, jeder körperlichen Anstrengung bare
Lebensweise hatte dem für das Zeitalter des Sports zu spät Gekommenen
das Gebrechen beschleunigter Herztätigkeit und erhöhten Blutdrucks
eingebracht. Philipp Steinbrod pfiff vor sich hin, was er nur tat, wenn
er feststellte, daß das Geschehen um ihn herum an das Ufer seiner
Wünsche schäumte. Ein Klopfen an der Tür riß ihn aus seinem wachen
Träumen. Das Dienstmädchen meldete, daß der Kaffee im Salon aufgetragen
war.
Frau Lucie, die frische Rosen in die Sèvrevase steckte, trug ein
einfaches Modellkleid, das ihre 46 Jahre jugendlich umhüllte. Ihre trotz
Massage und leichtem Sport ein wenig zur Fülle neigende Gestalt schien
schlanker als sonst. Von ihrem Gesicht, in dem haselnußbraune Augen
glänzten, hatte die sorgsame, fachgemäße Pflege 10 Jahre Alter
weggewischt. „Sie ist immer noch schön“, stellte ihr Gatte mit
Wohlgefallen fest. Robert verschwand fast in einem hohen Sessel...
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