Amerikanische Wechselba¨der: Beobachtungen und Kommentare aus vier Jahrzehnten (German Edition)  – January 1, 1988
by MARION GRÄFIN. DÖNHOFF (Author)

Über vier Jahrzehnte lang hat Marion Dönhoff die wechselvollen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik beobachtet, beschrieben und kommentiert.

Kampf um Macht und Ideologie
Deutschland liegt in der Mitte Europas, an der Nahtstelle zur östlichen Welt. Es hat mehr Nachbarn als irgendein anderes Land und mithin mehr potentielle Feinde als irgendein anderes. Seine geopolitische Lage ist daher grundsätzlich anders als die des Kontinents Amerika. Ferner: Deutschland ist ein geteiltes Land und muß bei seinen außenpolitischen Entscheidungen stets das Schicksal der anderen Hälfte der Nation, die sich unter kommunistischer Herrschaft befindet, mitbedenken. Schließlich: Die europäische Geschichte reicht mehr als 2000 Jahre zurück – das Geschichtsbewußtsein der Amerikaner braucht nur ein wenig mehr als 200 Jahre zu bewältigen. Die Verschieaenartigkeit dieser geographischen und historischen Fakten bestimmt letzten Endes den Unterschied der Weltanschauung beider Völker.

Für die Vereinigten Staaten ist die Sowjetunion in dem unversöhnlichen Kampf um Macht und Ideologie ein globaler Gegner – ein Gegner, der, wo immer er auftritt, eine Herausforderung darstellt in einem Kampf, der keine Neutralität duldet. Dulles postulierte: "Wer nicht für mich ist, ist wider mich." Und Reagan sieht die Welt auch wieder unter dem Raster des Freund-Feind-Verhältnisses.

Für die Bundesrepublik – eine Regionalmacht – ist das russische Imperium ein unbequemer Nachbar von Sorgen bereitender Dimension, mit dem man sich aus pragmatischen Gründen arrangieren muß – schließlich gehört Rußland seit Jahrhunderten zum politischen System Europas. Wir haben neben kriegerischen Zeiten lange Phasen freundschaftlicher Koexistenz gemeinsam durchlebt. Zweifellos liegt in dieser historischen Perspektive ein wichtiger Grund für die Verschiedenheit der amerikanischen und der deutschen Sicht.

Dunkle Schatten liegen vor uns. Nicht, daß man sich einen Krieg in Europa vorstellen müßte, aber auf wachsende Ängste und Aggressionen muß man gefaßt sein, auf Polarisation und bittere Feindschaft, auch auf weitere Verschwendung von Kapital und Ressourcen. Dabei könnte heute ein im positiven Sinne historisches Moment sein, weil im Grunde beide Supermächte sich neue Belastungen ihrer Wirtschaft nicht leisten können, weil die Sehnsucht ihrer Völker – aller Völker – nach Frieden sturmartig gewachsen ist, weil zudem jedem der beiden entscheidenden Männer in Washington und Moskau nur mehr wenige Jahre bleiben, um etwas Vernünftiges zu vollbringen.

Marion Hedda Ilse Gräfin von Dönhoff (2 December 1909 – 11 March 2002) was a German journalist and publisher who participated in the resistance against Nazism, along with Helmuth James Graf von Moltke, Peter Yorck von Wartenburg, and Claus Schenk Graf von Stauffenberg. After the war, she became one of Germany's leading journalists and intellectuals, working for over 55 years as an editor and later publisher of the Hamburg-based weekly newspaper Die Zeit.

Broschiert
Verlag: DTV Deutscher Taschenbuch; Auflage: Ungekürzte Ausgabe (November 1988)
Sprache: Deutsch