Michael Strobel:
Die Schussenrieder Siedlung Taubried I - Bad Buchau, Kreis Biberach.
Ein Beitrag zu den Siedlungsstrukturen und zur Chronologie des frühen und mittleren Jungneolithikums in Oberschwaben.
Hrsg. vom Landesdenkmalamt Baden-Württemberg.
Theiss Verlag, 2000, Leinen geb. m. SU, 30x21cm, 596 Seiten mit 384
Textabb. und 119 Tafeln sowie eine Beilage in Rückentasche, minimal bestossen,
neuwertiger Zustand.
Während sich bei einem Großteil der Ergebnisse der
Federseemoor-Ausgrabungen der Jahre 1919 bis 1937 nicht mehr klären
lässt, welche Rolle die tatsächlichen Befunde im Verhältnis zu
vorgefassten Meinungen der Forscher spielen, existiert von den Befunden
der Siedlung Taubenried I eine so detaillierte Dokumentation, dass der
Autor eine Auswertung bzw. kritische Neubewertung nach modernen
Gesichtspunkten vorgelegen kann, die zu Erkenntnissen sowohl auf der
Mikroebene der Geschichte einzelner Hausplätze als auch auf der
Makroebene der Einbindung in ein weiträumiges Beziehungsgefüge vom
Maasgebiet bis in die Vogesen führt, sowie Aufschlüsse über die
ideologische Wissenschaftsgeschichte enthält.
Was im Herbst 1919 verheißungsvoll begonnen hatte und der
Siedlungsarchäologie in Deutschland zahlreiche neue Impulse verlieh,
ging 1937 im Zeichen einer von den Nationalsozialisten propagandistisch
mißbrauchten Fachtagung zu Ende: die Ausgrabung vollständiger
jungsteinzeitlicher Siedlungen im südlichen Federseemoor. Unter der
Leitung von H. Reinerth wurde die Schussenrieder Dorfanlage Taubried I
in jenem Jahr nahezu komplett untersucht. Diese Ausgrabungen sind das
letzte Kapitel einer spannungsreichen Forschungsgeschichte, durch die
sich wie ein roter Faden die Auseinandersetzung zwischen dem
Urgeschichtlichen Institut der Universität Tübingen (UFI) und dem
Staatlichen Denkmalamt in Stuttgart zieht.
Vom UFI wurden in den zwanziger Jahren drei junsteinzeitliche
Dorfanlagen (Aichbühl, Riedschachen I und II) fast restlos freigelegt.
Bis heute muß sich die Forschung auf publizierte Siedlungspläne stützen,
die mehr am Schreibtisch nach vorgefaßten Meinungen der Ausgräber als
nach Beobachtungen im Gelände gefertigt wurden, wie eine kritische
Auswertung alter Unterlagen ergab. Je großflächiger die Ausgräber
vorgingen, desto oberflächlicher wurden die Aufzeichnungen.
Von den Befunden der Siedlung Taubried I existiert jedoch eine so
detaillierte Dokumentation, daß nicht nur Fehlinterpretationen
korrigiert, sondern auch die Geschichte einzelner Hausplätze verfolgt
und das Wachstum des Dorfes beschrieben werden können. Viele Details wie
Feuerstellen und Reparaturmaßnahmen lassen sich an den Häusern dieser
Zeit (4300 - 3800 v. Chr.) auch auf mineralischen Standorten beobachten.
Die Entwicklung leichter und kleiner zweiräumiger Rechteckhäuser, die
sich von den tiefgegründeten Pfostenbauten des Alt- und
Mittelneolithikums grundlegend unterscheiden, dürfte die Erschließung
der Feuchtgebiete überhaupt erst ermöglicht haben. Weil sich die
Kulturentwicklung im süddeutschen Raum und in den angrenzenden Gebieten
nur ungenügend parallelisieren läßt, ist jedoch unklar, ob die Anstöße
dazu tatsächlich von Kulturgruppen in Niederösterreich, der Slowakei
oder dem Karpatenbecken ausgingen. Eine große Mobilität bei kurzer
Verweildauer an einem Ort scheint in allen Gebieten gleichermaßen
besonders typisch für die jungneolithischen Gemeinschaften um 4000 v.
Chr. gewesen zu sein. Die Feuchtgebiete Oberschwabens wurden nach
Ausweis von Dendrodaten immer nur schubweise für kurze Zeitspannen von
maximal 100 Jahren aufgesucht. Dazwischen liegen lange
Siedlungsunterbrechungen.
Durch den Vergleich mit absolut datierten Stationen am Bodensee läßt
sich die Siedlung Taubried I in die erste Hälfte des 39. Jhs. v. Chr.
datieren. Bislang ist die 'oberschwäbische Gruppe' der Schussenrieder
Kultur vor allem aus den Moorgebieten bekannt und wohl überwiegend
jünger als die 'Neckargruppe' im Raum Stuttgart, die im Laufe des 40.
Jhs. v. Chr. verschwand und der Michelsberger Kultur Platz machte. Ob
dieser Vorgang auf eine 'Expansion' der Michelsberger Kultur oder die
Intensivierung bestehender Kontakte zurückzuführen ist, bleibt immer
noch rätselhaft. Das nichtkeramische Sachgut aus den Moorsiedlungen
zeigt jedenfalls, daß die Schussenrieder Kultur in Oberschwaben in ein
weiträumiges Beziehungsgefüge eingebunden war, das sich vom Maasgebiet
bis in die Vogesen erstreckt und damit die keramisch definierten
Kulturgrenzen des frühen Jungneolithikums sprengt.