DEUTSCHE POST BERLIN EINZELMARKE zum Gedenken an den Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953. Gebraucht, gestempelt, ohne Falz, mit einem Katalogwert von ca. 45,00 Euro. Lesen Sie bitte mehr darüber weiter unten.
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Aufstand
in der DDR vom 17. Juni 1953
Als
Aufstand vom 17. Juni 1953 (auch Volks- oder Arbeiteraufstand) werden die
Vorkommnisse in der DDR bezeichnet, in deren Verlauf es in den Tagen um den 17.
Juni 1953 zu einer Welle von Streiks, Massen-Demonstrationen und politischen
Protesten kam. Ausgelöst durch verschiedene Ursachen, vornehmlich der für viele
Bürger zum Teil brutal und rücksichtlos geführte Aufbau des Sozialismus sowie
repressive Maßnahmen des SED-Regimes, erstreckte sich der antistalinistische
Aufstand über weite Teile des noch jungen Staates. In einem Flächenbrand wurden
politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Forderungen gestellt,
darunter Rücktritt der Regierung, Freie Wahlen und Freilassung aller
politischen Gefangenen.
Insgesamt
beteiligten sich mehr als eine Million Menschen an dem Aufstand, der für den
Historiker Hubertus Knabe „in die Reihe der großen revolutionären Erhebungen in
Deutschland“ gehört. In über 700 Städten der DDR kam es zu Streiks,
Demonstrationen und zum Teil blutigen Auseinandersetzungen mit den
Sicherheitskräften. An seinem Höhepunkt am 17. Juni wurden alle Großstädte, die
meisten Bezirkshauptstädte und weite Teile der kleineren Städte und Ortschaften
erfasst. In Ost-Berlin, Merseburg und Halle (Saale) fanden die zahlenmäßig
größten Proteste und Unruhen statt. Im Bezirk Halle und den Industriestädten um
Leuna und Wolfen streikten und demonstrierten mehr als 100.000 Menschen. Die
Demonstranten kamen aus allen sozialen Schichten und Altersgruppen. Teilweise
wirkten die Menschen „beschwingt, als gingen sie auf ein Freudenfest“. In den
Bezirken Halle, Dresden und Magdeburg erfolgten große, erfolgreiche
Gefangenenbefreiungen aus DDR-Gefängnissen.
Die
sowjetische Besatzungsmacht beendete den Aufstand gewaltsam durch Truppen der
Sowjetarmee unter Beteiligung von Polizeikräften des DDR-Regimes. Die
Niederschlagung war „einer der größten Militäreinsätze in der europäischen
Nachkriegsgeschichte“. Über 50 Aufständische wurden von sowjetischen Soldaten
bzw. den DDR-Sicherheitsorganen getötet oder von der sowjetischen bzw. der
DDR-Justiz zum Tode verurteilt. Außerdem wurden mindestens fünf Angehörige der
DDR-Sicherheitsorgane getötet. Das SED-Regime inhaftierte in der Folge mehr als
15.000 Bürger und verurteilte Tausende von unschuldigen DDR-Bürgern zum Teil zu
mehrjährigen Haftstrafen. Als Reaktion auf den Aufstand erfolgte zudem der
massive Aufbau der DDR-Staatssicherheit.
Der
Aufstand des 17. Juni wirkte auch als politisches Signal auf die Bevölkerung in
den Ostblockstaaten.
Der 17.
Juni war von 1954 bis zur deutschen Wiedervereinigung 1990 als „Tag der
deutschen Einheit“ der Nationalfeiertag der Bundesrepublik Deutschland; er ist
weiterhin Gedenktag.
Hintergrund
Vom 9.
bis 12. Juli 1952 fand in der Werner-Seelenbinder-Halle in Ost-Berlin die 2.
Parteikonferenz der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) statt.
Unter der von Walter Ulbricht geprägten Formulierung des „planmäßigen Aufbaus
des Sozialismus“ fand eine „Sowjetisierung“ der Gesellschaft und eine Stärkung
der Staatsmacht nach sowjetischem Vorbild statt. Die fünf Länder wurden neu in
14 Bezirke eingeteilt, wobei Ost-Berlin als 15. Verwaltungseinheit mit
einbezogen wurde. Die im Aufbau befindliche Kasernierte Volkspolizei (KVP)
sollte zu „nationalen Streitkräften“ werden, zu einer „Volksarmee“. Die
verbliebene Mittelschicht der DDR wurde stärker drangsaliert, insbesondere
Bauern und kleine Handels- und Gewerbebetriebe sollten durch erhöhte Abgaben
zur Aufgabe ihrer Selbstständigkeit gezwungen werden. Sie wurden zudem für die
wirtschaftlichen Probleme verantwortlich gemacht.
Die
Lage des Staatshaushaltes war im Frühjahr 1953 sehr angespannt: Ausgaben von
1,1 Milliarden Mark waren nicht durch Einnahmen gedeckt. Der Aufbau der KVP
hatte die Militärausgaben der DDR im Jahr 1952 auf 3,3 Milliarden Mark (8,4 %
des Etats) anwachsen lassen. Durch die Ausgaben für Aufrüstung,
Besatzungskosten und Reparationsleistungen (einschließlich der Kosten für die
SAGs) war ein großer Teil des Staatshaushaltes gebunden. Aufrüstungs- und
Kriegsfolgekosten für die DDR beliefen sich 1952 auf 22 % und 1953 auf über 18
% des gesamten Staatshaushalts.
Die
Wirtschaftspolitik der SED hatte die Investitionen vorwiegend in die
Schwerindustrie gelenkt, die in der DDR bislang keine Basis hatte. Damit
fehlten dringend benötigte Mittel für die Lebensmittel- und
Konsumgüterindustrie, und die Versorgung der Bevölkerung war beeinträchtigt.
Bei Einbruch der Dunkelheit gab es Stromabschaltungen, um in Spitzenzeiten den
Bedarf der Industrie zu decken. Die schwache Wirtschaftsentwicklung der
verstaatlichten Volkswirtschaft – immerhin wurden zwei Drittel der Industrieproduktion
von staatlichen Betrieben erwirtschaftet – hatte Anfang der 1950er Jahre zu
einem enormen Kaufkraftüberhang in der DDR geführt. Fehlentwicklungen der
Planwirtschaft sollten durch höhere Steuern und Abgaben, Gehalts- und
Prämienkürzungen und später durch einen „Neuen Kurs“ korrigiert werden.
Im
Zusammenhang mit der beschriebenen Wirtschaftspolitik stand auch die fast
vollständige Beseitigung privater Urlaubsorganisation bzw. privater
Ferienvermietung zugunsten des Feriendienstes des FDGB (Februar 1953: „Aktion
Rose“).
Im
Frühjahr 1953 war die Existenz der jungen DDR in der Tat durch eine ernste
Ernährungskrise bedroht. Enteignungen und die Bodenreform hatten bereits Mitte
der 1940er Jahre zum Verlassen von Höfen geführt. Die Parzellierung nach der
Bodenreform und vor allem der Mangel an landwirtschaftlichen Geräten vieler
Neubauern machten ein wirtschaftliches Arbeiten kaum möglich. Die
Kollektivierungspolitik der SED Anfang der 1950er Jahre sollte zu einer
effizienteren Bewirtschaftung und steigenden Erträgen führen. Das eigentliche
Ziel der Kollektivierung war aber die Auflösung des selbstständigen
Bauernstandes und hier besonders die Zerschlagung der rentableren Großbetriebe.
Die Abgabenerhöhungen für Bauern und ihr Ausschluss – sowie der von
Handwerkern, Selbständigen und Einzelhändlern – vom Bezugsscheinsystem für
Lebensmittel, Bekleidung und Hausbrand sorgte für weiteren Unmut. Im Herbst
1952 wurden zudem sehr unterdurchschnittliche Ernten eingefahren. Den
DDR-Bürgern stand nur die halbe Menge an Fleisch und Fett der Vorkriegszeit zur
Verfügung. Selbst Gemüse und Obst wurden nicht ausreichend produziert. Vor den
Geschäften entstanden lange Schlangen. In den Geschäften der staatlichen
Handelsorganisation (HO), in denen ohne Bezugsschein eingekauft werden konnte,
lagen die Preise deutlich über dem Niveau der Bundesrepublik, so kostete
beispielsweise eine Tafel Schokolade im Westen 50 Pfennig, im Osten acht Mark.
Das Wohlstandsgefälle zu Westdeutschland vergrößerte sich durch die Mängel der
Zentralverwaltungswirtschaft. Da die DDR die Hilfe des Marshallplans nicht
hatte annehmen dürfen sowie höhere Reparationen leisten musste, befand sie sich
in einer wirtschaftlich schlechteren Ausgangsposition. Auch die Unterstützung
der Sowjetunion zur Stabilisierung der DDR reichte nicht aus, die Folgen von
Reparationen und Planwirtschaft zu kompensieren.
Das
dramatische Anwachsen der ohnehin seit DDR-Staatsgründung konstant großen
Abwanderungsbewegung („Abstimmung mit den Füßen“) im ersten Halbjahr 1953
stellte ein ökonomisches wie auch ein soziales Problem dar. Ein weiterer
Faktor, der zu einer Belastung der politischen Lage führte, war die hohe Zahl
von Strafgefangenen in der DDR: Bereits im Frühjahr waren die Gefängnisse der
DDR gefüllt mit zu Unrecht inhaftierten Häftlingen. Dies ist der Grund, dass
zahlreiche Haftanstalten in der DDR am 17. Juni von Demonstranten belagert
wurden.
Eine
große Rolle spielte die Repression gegen die als zentrale Jugendorganisation
der Evangelischen Kirche bezeichnete und bekämpfte „illegale Organisation Junge
Gemeinde“. Zahlreiche Studentenpfarrer und Jugendwarte saßen in Haft (Johannes
Hamel, Fritz Hoffman, Gerhard Potrafke). Kirchliche Freizeitheime wurden
geschlossen und von der Freien Deutschen Jugend (FDJ) übernommen (Schloss
Mansfeld, Huberhaus Wernigerode). Oberschüler, die sich zur Kirche bekannten,
wurden häufig von der Schule verwiesen, mitunter kurz vor dem Abitur. An den
Universitäten wurden die Evangelischen Studentengemeinden (ESG) diffamiert und
zahlreiche ihrer Mitglieder exmatrikuliert.
Mehrere
repressive Maßnahmen des SED-Regimes führten bereits im Mai und Anfang Juni
1953 zu Streiks in zahlreichen Betrieben der DDR.
Normenerhöhung
Vor
diesem krisenhaften gesamtstaatlichen Hintergrund wurde die Erhöhung der
Arbeitsnormen (also die für den Lohn zu erbringende Arbeitsleistung) als
Provokation und absehbare Verschlechterung der Lebensbedingungen der
Arbeiterschaft empfunden. Mit der Erhöhung der Arbeitsnormen um zehn Prozent
bis zum 30. Juni, dem 60. Geburtstag Walter Ulbrichts, wollte das ZK den
wirtschaftlichen Schwierigkeiten begegnen. Als Empfehlung herausgegeben,
handelte es sich aber faktisch um eine Anweisung, die in allen Volkseigenen
Betrieben durchgeführt werden sollte und letztlich auf eine Lohnsenkung
hinausgelaufen wäre. Die Normerhöhung hatte das Zentralkomitee der SED am 13.
und 14. Mai 1953 beschlossen und der Ministerrat am 28. Mai bestätigt.
Neuer
Kurs
Währenddessen
hatte sich die Führung der Sowjetunion ihre eigenen Gedanken zur Lage in der
DDR gemacht und konzipierte Ende Mai die Maßnahmen zur Gesundung der
politischen Lage in der DDR, die einer nach Moskau bestellten SED-Delegation am
2. Juni 1953 mitgeteilt wurden. Bitten von SED-Politikern um einen
vorsichtigeren und langsameren Kurswechsel wurden etwa vom neuen Hohen
Kommissar Wladimir Semjonow – dem ranghöchsten sowjetischen Vertreter in der
DDR, der der DDR-Führung faktisch übergeordnet war – mit dem Satz „In 14 Tagen
werden Sie vielleicht schon keinen Staat mehr haben“ abgelehnt.
Am 11.
Juni wurde der „Neue Kurs“ des Politbüros schließlich im SED-Zentralorgan Neues
Deutschland verkündet: Darin war durchaus Selbstkritik enthalten. Einige
Maßnahmen zum Aufbau des Sozialismus wurden zurückgenommen. So sollten Steuer-
und Preiserhöhungen aufgehoben werden. Handwerker, Einzelhändler und private
Industriebetriebe konnten die Rückgabe ihrer Geschäfte und Betriebe beantragen.
Mittelbauern bekamen ihre zuvor konfiszierten Landmaschinen zurück. Alle
Verhaftungen und Urteile sollten überprüft werden. Abschaltungen des
elektrischen Stromes erfolgten nicht mehr.
Der
Kampf gegen die Junge Gemeinde wurde eingestellt. Pastoren und kirchliche
Mitarbeiter wurden aus der Haft entlassen, konfiszierte Gebäude zurückgegeben.
Wegen ihres kirchlichen Bekenntnisses von der Oberschule verwiesene Schüler
mussten wieder aufgenommen und zum Abitur zugelassen werden. Zu dem kurz danach
in Hamburg stattfindenden 5. Deutschen Evangelischen Kirchentag wurden
großzügig Interzonenpässe vergeben und sogar Sonderzüge eingesetzt.
Vor
allem die verbliebenen bürgerlichen Mittelschichten sowie die Bauern würden vom
„Neuen Kurs“ profitieren. Die Arbeitsnormenerhöhung blieb bestehen, was zu
ersten Unmutsäußerungen bei den Arbeitern führte. Der Bevölkerung in den
Dörfern wurde mitgeteilt, dass enteignete Bauern ihr Land zurückbekämen,
Inhaftierte aus den Gefängnissen entlassen würden und DDR-Flüchtlinge straffrei
zurückkehren könnten. Des Weiteren sollte die einseitige Förderung der
Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften beendet werden und unrentable
LPGs sollten wieder aufgelöst werden. Die Bevölkerung verstand diesen
Kurswechsel als Eingeständnis der Unfähigkeit der Regierung.
Am 14.
Juni erschien im Neuen Deutschland der Artikel Es ist Zeit, den Holzhammer
beiseite zu legen, der die Durchsetzung der Normenerhöhung anhand einer
Reportage über das Baugewerbe kritisch beleuchtete, ohne sie dabei allerdings
generell in Frage zu stellen. Dieser Artikel, besonders auch der letztgenannte
Umstand, wurde sehr stark beachtet und wirkte in Verbindung mit einem zwei Tage
später in der Gewerkschaftszeitung Tribüne erschienenen Artikel, der die
zehnprozentige Normenerhöhung als „in vollem Umfang richtig“ rechtfertigte, als
Auslöser von Protesten.
Verlauf
Ab
Freitag, 12. Juni 1953
Vor den
Unruhen in den Städten kam es schon ab dem 12. Juni in vielen Dörfern zu
Widerstandsaktionen. In mehr als 300 Gemeinden mit weniger als 2000 Einwohnern
kam es zu spontanen Protesten, bei denen beispielsweise Fahnen verbrannt und
die Bürgermeister und andere SED-Funktionäre abgesetzt, verprügelt und in
Einzelfällen auch in Jauchegruben geworfen wurden. Bauern organisierten auch
Proteste in verschiedenen Kreisstädten wie Jessen und Mühlhausen und nahmen an
den Demonstrationen in den Zentren unter anderem auch in Berlin teil. Das
Ministerium für Staatssicherheit notierte später, dass „der faschistische
Putschversuch am 17. Juni 1953 gezeigt [hat], dass der Klassengegner seine
Kräfte auf das Land konzentriert“.
Dienstag,
16. Juni 1953
Am
Dienstag, dem 16. Juni, kam es an zwei Berliner Großbaustellen, dem Block 40 in
der Stalinallee und dem Krankenhausneubau in Friedrichshain, zu den ersten
Arbeitsniederlegungen, die in den Vortagen informell abgesprochen worden waren.
Von beiden Baustellen aus formierte sich ein zunächst kleiner Protestzug, der
sich auf dem Weg zum Haus der Gewerkschaften des Freien Deutschen
Gewerkschaftsbundes (FDGB) und weiter zum Regierungssitz in der Leipziger
Straße schnell – vor allem um weitere Bauarbeiter – vergrößerte.
Nachdem
die Gewerkschaftsführer sich geweigert hatten, die Arbeiter anzuhören, wurde
dem Demonstrationszug vor dem Regierungsgebäude die vom Politbüro am Mittag
beschlossene Rücknahme der Normenerhöhung mitgeteilt. Inzwischen bewegten sich
die Forderungen der Menge allerdings über diesen konkreten Anlass zum Protest
weit hinaus.
In
einer zunehmenden Politisierung der Losungen wurden unter anderem der Rücktritt
der Regierung und freie Wahlen gefordert. Anschließend zog die Menge in einem
ständig anwachsenden Demonstrationszug durch die Innenstadt zurück zu den
Baustellen der Stalinallee, wobei unterwegs durch Sprechchöre und über einen
erbeuteten Lautsprecherwagen der Generalstreik ausgerufen und die Bevölkerung
für den folgenden Tag um 7 Uhr am Strausberger Platz zu einer
Protestversammlung aufgerufen wurde.
Bereits
am Abend des 15. Juni hatte der RIAS detailliert über Streiks in der
Ost-Berliner Stalinallee berichtet. Seit dem Mittag des 16. Juni berichtete er
ausführlich über die Streiks und Proteste. Vertreter der Streikbewegung gingen
zum Sender und sprachen direkt mit dem damaligen Chefredakteur Egon Bahr, um
den Generalstreik über das Radio auszurufen. Der Sender RIAS verwehrte
allerdings den Streikenden diese Möglichkeit. Am 17. Juni rief dann der
Berliner DGB-Vorsitzende Ernst Scharnowski über den RIAS erstmals dazu auf, die
Ostdeutschen sollten ihre „Strausberger Plätze überall“ aufsuchen. Trotz einer
relativ zurückhaltenden Darstellung der Ereignisse im Radio kann man davon
ausgehen, dass die Berichte entscheidend dazu beigetragen haben, dass sich die
Kunde von den Protesten in der Hauptstadt äußerst schnell in der ganzen DDR
ausbreitete.
Mittwoch,
17. Juni 1953
Am
Morgen des 17. Juni brach im gesamten Gebiet der DDR etwas aus, was später als
Aufstand des 17. Juni in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Die
Belegschaften vor allem großer Betriebe traten mit Beginn der Frühschicht in
den Streik und formierten sich zu Demonstrationszügen, die sich in die Zentren
der größeren Städte richteten. In den Tagen des Aufstandes war den westlichen
Medien und wahrscheinlich auch den meisten Protestierenden die nationale
Dimension der Proteste noch nicht bewusst. Der RIAS etwa berichtete fast
ausschließlich aus Berlin. Tatsächlich kam es neueren Forschungen zufolge in
weit über 500 Orten in der DDR zu Streiks, Kundgebungen oder Gewalttätigkeiten
gegen offizielle Personen oder Einrichtungen.
Die
Aufständischen besetzten 11 Kreisratsgebäude, 14 Bürgermeistereien, 7
Kreisleitungen und eine Bezirksleitung der SED. Weiterhin wurden neun
Gefängnisse und zwei Dienstgebäude des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS)
sowie acht Polizeireviere, vier Volkspolizei-Kreisämter (VPKA) und eine
Dienststelle der Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei (BDVP) erstürmt.
Mehr als doppelt so viele Einrichtungen wurden bedrängt, die Besetzung gelang
jedoch nicht.
Schwerpunkte
lagen in Berlin und den traditionellen Industrieregionen, etwa dem
„Chemiedreieck“ um Halle, aber auch in den Bezirkshauptstädten Magdeburg,
Leipzig und Dresden. Die Zahl der am Protest Beteiligten lässt sich nicht genau
bestimmen, Angaben schwanken zwischen 400.000 und 1,5 Millionen Menschen. Die
vielfältigen Proteste fanden durchgehend sehr spontan statt, es gab praktisch
weder eine über den Tag hinausgehende Zielplanung noch echte Führungskräfte,
die den Aufstand überregional dirigiert hätten. Neben Arbeitsniederlegungen und
Demonstrationen kam es an mehreren Orten auch zu Erstürmungen von Haftanstalten
und Befreiung von Häftlingen. In Gera kam es zur Stürmung der
Stasiuntersuchungshaftanstalt Amthordurchgang, wobei Inhaftierte freigelassen
wurden. Ungefähr 20.000 Menschen demonstrierten im Zentrum der Stadt mit
Unterstützung von Bergleuten aus den Wismut-Revieren. In Berlin kam es zu
Brandstiftungen, am spektakulärsten waren dabei die Brände des
Vorzeige-HO-Kaufhauses Columbushaus und des Restaurantbetriebes Haus Vaterland
am Potsdamer Platz in Berlin. Allein in Berlin gab es 46 verletzte Polizisten,
davon 14 schwer, sowie Zerstörungen im Gesamtwert von über 500.000 Mark.
Die
Polizei war mit dem Ausmaß der Ereignisse überfordert, teilweise liefen
Volkspolizisten zu den Demonstranten über. Es kam vor allem in Ost-Berlin auch
zu blutigen Zusammenstößen zwischen Demonstrierenden und der Polizei. In
Rathenow verprügelten aufgebrachte Aufständische den Stasi-Spitzel Wilhelm
Hagedorn, der an den Folgen starb. In Niesky wurden Mitarbeiter der
Staatssicherheit in einem Hundezwinger eingesperrt und in Magdeburg zwangen die
Demonstranten eine Volkspolizistin, spärlich bekleidet ihren Zug anzuführen.
In den
Kreisen Görlitz und Niesky wurde für wenige Stunden das SED-Regime beseitigt.
Aufgrund der besonderen demografischen Struktur dieser Kreise eskalierte die
Protestbewegung zu einem politischen Aufstand, der zur kurzzeitigen Entmachtung
der lokalen Machthaber führte. Görlitz hatte als Grenzstadt einen hohen Anteil
Vertriebener zu integrieren. Die Stadt war nach Berlin und Leipzig das am
dichtesten besiedelte Gebiet in der DDR und es herrschte eine vor allem unter
Jugendlichen, Frauen und Schwerbehinderten hohe Arbeitslosigkeit, die von einer
weit über dem DDR-Durchschnitt liegenden Wohnungsnot begleitet wurde.
Zusätzlich wurde das Zusammenleben der Görlitzer durch die Teilung ihrer Stadt
und die Grenzsicherungsmaßnahmen der DDR gegenüber dem „polnischen Brudervolk“
erschwert. Ebenso akzeptierten die meisten Görlitzer die Oder-Neiße-Grenze
gemäß dem Vertrag vom 6. Juli 1950 nicht. Die nicht aus der Stadt stammende
politische Führung hatte seit 1952 eine radikale Enteignungswelle in Bewegung
gesetzt, die zum drastischen Rückgang der Selbstständigen geführt hatte. Ebenso
war seit Oktober 1952 die Anzahl der Republikflüchtigen gestiegen.
Die
DDR-Regierung flüchtete unter den Schutz der sowjetischen Behörden in die
Gebäude der früheren Festungspionierschule in Berlin-Karlshorst.
Um 14
Uhr wurde eine Erklärung des Ministerpräsidenten Otto Grotewohl im DDR-Rundfunk
ausgestrahlt: Darin wurde ausdrücklich noch einmal die Rücknahme der
Normenerhöhungen erklärt. Der Aufstand jedoch sei „das Werk von Provokateuren
und faschistischen Agenten ausländischer Mächte und ihrer Helfershelfer aus
deutschen kapitalistischen Monopolen“. Alle „Arbeiter und ehrlichen Bürger“
forderte er auf, mitzuhelfen, „die Provokateure zu ergreifen und den
Staatsorganen zu übergeben“. Diese Darstellung der Ereignisse als ein von außen
inszenierter, konterrevolutionärer Putschversuch entsprach schon der späteren
offiziellen Lesart des 17. Juni in der DDR-Geschichtsschreibung. Allerdings
hätte der Aufstand ohne äußere Einflüsse nach Ansicht einiger Historiker
tatsächlich so nicht stattfinden können. So resümierte 1996 der ehemalige
Mitarbeiter des RIAS, Egon Bahr:
„Gerade
weil es keine Organisation gegeben hatte, war unbestreitbar: Der RIAS war, ohne
es zu wollen, zum Katalysator des Aufstandes geworden. Ohne den RIAS hätte es
den Aufstand so nicht gegeben. Der Hass der SED auf den RIAS war verständlich.
Die Verschwörungstheorie, die Anschuldigungen, wir hätten das bewusst
herbeigeführt - Quatsch. Der Westen wurde, wie auch später in Ungarn und Polen,
selbst überrascht.
Niederschlagung
des Aufstands und Kriegsrecht
Die
sowjetischen Behörden reagierten mit der Verhängung des Ausnahmezustands für
167 der 217 Kreise der DDR. Gegen 13 Uhr wurde durch den Militärkommandanten
des Sowjetischen Sektors von Berlin, Generalmajor Pjotr Dibrowa, in Ost-Berlin
der Ausnahmezustand („военное положение“) verkündet, der erst am 11. Juli 1953
wieder aufgehoben wurde. Mit dieser Ausrufung des Kriegsrechts übernahm die
Sowjetunion offiziell wieder die Regierungsgewalt über die DDR. Die bereits ab
10 Uhr in Berlin, zeitversetzt gegen Mittag oder Nachmittag in den anderen
Teilen der DDR einrückenden sowjetischen Truppen demonstrierten vor allem
Präsenz, denn mit dem Eintreffen der Panzer verlor der Aufstand schnell an
Schwung; zu größeren Angriffen auf das Militär kam es nicht. Insgesamt waren 16
sowjetische Divisionen mit etwa 20.000 Soldaten sowie rund 8.000 Angehörige der
Kasernierten Volkspolizei (KVP) im Einsatz.
Obwohl
die sowjetischen Behörden die Situation schon am 17. Juni weitgehend unter
Kontrolle brachten, kam es auch in den darauffolgenden Tagen noch zu Protesten,
vor allem am 18. Juni. In einzelnen Betrieben dauerten sie bis in den Juli
hinein. So wurde am 10. und 11. Juli bei Carl Zeiss in Jena und am 16. und 17.
Juli im Buna-Werk Schkopau gestreikt. Die Stärke des 17. Juni 1953 wurde aber
nicht mehr annähernd erreicht.
In
einer ersten Verhaftungswelle verhafteten Polizei, MfS und Sowjetarmee vor
allem sogenannte „Provokateure“.
Opfer
Nach
Ergebnissen des Projekts Die Toten des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 sind
55 Todesopfer, darunter sieben Minderjährige, durch Quellen belegt. Etwa 20
weitere Todesfälle sind ungeklärt.
Am 17.
Juni und den Tagen danach wurden 34 Demonstranten und Zuschauer von
Volkspolizisten und sowjetischen Soldaten erschossen oder starben an den Folgen
von Schussverletzungen. Nach Todesurteilen von sowjetischen und DDR-Gerichten
wurden sieben Menschen hingerichtet. Infolge der Haftbedingungen starben vier
Personen, und vier Menschen töteten sich in der Haft. Beim Sturm auf ein
Polizeirevier starb ein Demonstrant an Herzversagen. Zudem wurden fünf
Angehörige der DDR-Sicherheitsorgane getötet. Bisher war im Westen von 507 und
in der DDR von 25 Toten die Rede. Zufallsopfer wie den von einer verirrten
Polizeikugel tödlich getroffenen 27-jährigen Doktoranden der Landwirtschaft
Gerhard Schmidt aus Halle stilisierte die SED zum „antifaschistischen“
Märtyrer, obwohl dessen Familie ausdrücklich dagegen war.
Die
sowjetischen Truppen setzten außerdem vom 17. bis zum 22. Juni 1953
Standgerichte ein, von denen 19 Aufständische zum Tode verurteilt und
erschossen wurden, darunter Alfred Diener aus Jena, der West-Berliner Willi
Göttling und die beiden Magdeburger Alfred Dartsch und Herbert Stauch. Hunderte
wurden zu Zwangsarbeitslagerstrafen in Sibirien verurteilt. Auch etwa 20
Rotarmisten, die sich geweigert haben sollen, auf die Aufständischen zu
schießen, sollen hingerichtet worden sein. Anderen Forschungen zufolge sprechen
alle Indizien dagegen, dass diese Befehlsverweigerung und die Hinrichtungen
stattgefunden haben.
Nach
Forschungen auf Basis der Stasi-Unterlagen veröffentlichte die Bundeszentrale
für politische Bildung im Jahr 2004 folgende Aufstellung zu den Todesopfern vom
17. Juni 1953. Die Namensliste mit persönlichen Daten zu den Opfern ist online
verfügbar und wurde mit einem Buch geehrt.
„Über
viele Jahrzehnte waren viele Todesopfer des Volksaufstandes namenlos. Ihre
Lebensgeschichten blieben der Öffentlichkeit ebenso verborgen wie die Umstände,
unter denen sie ums Leben kamen. Selbst zuverlässige Angaben über die Anzahl
der Todesopfer fehlten. Den Rechercheergebnissen einer Forschergruppe unter
Leitung von Edda Ahrberg, Hans-Hermann Hertle und Tobias Hollitzer aus dem Jahr
2004 zufolge sind 55 Todesopfer durch Quellen belegt, unter ihnen vier Frauen:
-
34
Demonstranten, Passanten und Zuschauer wurden am 17. Juni und den Tagen danach
(bis zum 23. Juni) von Volkspolizisten und sowjetischen Soldaten erschossen
bzw. starben an den Folgen der ihnen zugefügten Schussverletzungen
-
fünf
Männer wurden von Instanzen der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland
zum Tode verurteilt und hingerichtet
-
zwei
Todesurteile wurden von DDR-Gerichten verhängt und vollstreckt, vier Personen
starben in Folge menschenunwürdiger Haftbedingungen
-
vier
in Zusammenhang mit dem Juni-Aufstand Festgenommene begingen in der
(Untersuchungs-)Haft Selbstmord, wobei zumindest in zwei Fällen Fremdeinwirkung
nicht auszuschließen ist
-
ein
Demonstrant verstarb beim Sturm auf ein Volkspolizei-Revier an Herzversagen
-
fünf
Angehörige der DDR-Sicherheitsorgane wurden getötet: zwei Volkspolizisten und
ein MfS-Mitarbeiter bei der Verteidigung eines Gefängnisses von Unbekannten
erschossen, ein Mitarbeiter des Betriebsschutzes von einer wütenden Menge
erschlagen und ein weiterer Volkspolizist versehentlich von sowjetischen
Soldaten erschossen“
Der
Generalstaatsanwalt der DDR, Ernst Melsheimer, legte am 5. März 1954 einen
Bericht über „die Aburteilung der Provokateure des Putsches vom 17. Juni 1953“
vor, der für den Zeitraum bis Ende Januar 1954 folgende Urteile über insgesamt
1526 Angeklagte aufschlüsselte:
-
2
Angeklagte wurden zum Tode verurteilt: Erna Dorn, Ernst Jennrich
-
3
Angeklagte erhielten eine lebenslange Zuchthausstrafe: Lothar Markwirth
(Bezirksgericht Dresden), Gerhard Römer (Bezirksgericht Magdeburg) und Kurt
Unbehauen (Bezirksgericht Gera)
-
13
Angeklagte, darunter die Dresdner Wilhelm Grothaus (1893–1966) und Fritz
Saalfrank (1909–199?), wurden zu Zuchthausstrafen von zehn bis fünfzehn Jahren
verurteilt
-
99
Angeklagte erhielten Zuchthausstrafen zwischen fünf und zehn Jahren
-
824
Angeklagte bekamen Gefängnisstrafen von einem bis fünf Jahren
-
546
Angeklagte erhielten Gefängnisstrafen bis zu einem Jahr
-
39
Angeklagte wurden freigesprochen
Viele
weitere fehlen in dieser Aufstellung des SED-Regimes. Seit dem Jahr 2003 wird
davon ausgegangen, dass die DDR-Gerichte insgesamt 15.000 Menschen im
Zusammenhang mit dem Juni-Aufstand verurteilten.
Die
infolge des 17. Juni Verurteilten wurden in den Haftanstalten mit einem gelben
„X“ gekennzeichnet. Aufgrund der schlechten medizinischen Versorgung, der
Schikanen des Wachpersonals und des mangelhaften Arbeitsschutzes in den
Zuchthäusern erlitten viele „X-er“ schwere gesundheitliche Schäden. Den
Ehefrauen der Verurteilten wurde oft zur Scheidung geraten oder mit der
Wegnahme ihrer Kinder gedroht.
Die SED
nutzte außerdem den Aufstand zur Disziplinierung ihrer eigenen Genossen. So
wurden die vor allem aus der früheren SPD stammenden und gemäßigte politische
Ansichten vertretende Mitglieder aus der Partei entfernt. Der Justizminister
Max Fechner, der nach dem 17. Juni mäßigend auf die Strafjustiz einwirken
wollte, wurde am 14. Juli 1953 seiner Funktion enthoben, wegen partei- und
staatsfeindlichen Verhaltens aus der Partei ausgeschlossen und unter
unmenschlichen Bedingungen inhaftiert. Ebenso wurden Parteifunktionäre und
Angehörige der Volkspolizei bestraft, denen die SED-Führung „versöhnlerisches,
kapitulantenhaftes und unkämpferisches Verhalten“ vorwarf. Infolge dieser
Säuberungen prägten radikale Kommunisten wie Erich Mielke, Hilde Benjamin oder
Paul Fröhlich die zukünftige Politik der DDR. Rudolf Herrnstadt, Chefredakteur
der Tageszeitung Neues Deutschland, wurde für die Ereignisse am 17. Juni 1953
mitverantwortlich gemacht. Er wurde von seiner Arbeit entlassen und zusammen
mit Wilhelm Zaisser aus der SED ausgeschlossen.
(aus Wikipedia)