Visionen des Unwirklichen

Die phantastischen Bilder des KAREL THOLE

Die Welt des Unwirklichen in 77 Farbzeichnungen

 

Aus der Einleitung von Carlo Fruttero und Franco Fucentini

Die Wahrheit über den Fall Thole

Als wir begannen, uns im Jahr 1962 mit der Urania (italienische SF-Zeitschrift) zu beschäftigen (»dem berühmtesten Science Fiction-Magazin«, wie ein Untertitel besagte), gehörte Karel Thole seit einigen Monaten zu ihrem Mitarbeiterstab. Schweren Herzens mußten wir daher auf den Ruhm verzichten, diesen unbestrittenen Meister der Science Fiction-Illustrationen entdeckt zu haben; um ganz ehrlich zu sein: wir können nicht einmal behaupten, daß wir ihn im Lauf unserer dauernden Zusammenarbeit mit unseren Vorschlägen und Vorstellungen irgendwie beeinflußt hätten.

Die Wahrheit ist, daß Thole als fertiger, vollkommen ausgereifter Künstler zu der Urania stieß; er beherrschte die Technik perfekt; seine Farbgebung war ausgewogen, sein Geschmack, seine malerische Gestaltungskraft, seine formale Phantasie waren bereits voll ausgebildet. Er erweckte sofort den Eindruck, daß er- in aller Bescheidenheit - nichts mehr dazuzulernen hatte.

Er kam (wie wir seiner Kennkarte entnahmen) aus Holland, obwohl diese Tatsache durchaus wesentlich abenteuerlichere Hypothesen zuläßt: die eines Androiden zum Beispiel, also eines Geschöpfes, halb Mensch, halb Roboter, das von Geburt an bereits erwachsen, effizient, unveränderlich ist; oder eines Gesandten, der mit Pinseln und allem anderen Malzubehör durch eine Zeitspalte oder einen Materietransmitter aus wer weiß welcher Dimension zu uns transportiert wurde. Es fällt uns schwer zuzugeben, daß zwischen ihm und fliegenden Untertassen oder extraterranischen Raumschiffen eine Verbindung besteht, weil sein Aussehen und sein Benehmen nichts Fremdartiges an sich haben, ganz im Gegenteil.

Wenn wir dennoch den Versuch unternehmen, ihn zu beschreiben, so hat es den Anschein, als wäre Thole in den letzten zwanzig Jahren unerklärlicherweise immer der gleiche geblieben, ein Mann mittlerer Statur, mittleren Alters, mit spärlichen blonden Haaren und einem Schnurrbart, etlichen Falten und der nie zum Tragen kommenden Veranlagung zur Fülle. Da er ununterbrochen französische Zigaretten raucht, sind seine Finger braun, seine Stimme ist rauh, die Augen hinter den Brillengläsern tränen oft. Auf seinen dunklen, unauffälligen Anzügen findet sich reichlich Asche.

Wer ihn nicht kennt, glaubt, daß er es mit einem Beamten der EG zu tun hat, der sich mit zweitrangigen Agrarproblemen herumschlägt. Wer ihn kennt und vor allem, wer mit ihm arbeitet, weiß natürlich, daß er nichts mit der EG zu tun hat und auch nichts mit Landwirtschaft, jedenfalls nicht mit der terranischen. Dennoch bleibt der Eindruck mysteriöserweise der gleiche.

Die Form, in der sich unsere Zusammenarbeit abspielt, besteht im allgemeinen lediglich aus ein paar Zeilen, in denen wir Thole die Szene schildern, die er illustrieren soll, ihm zwei oder drei Möglichkeiten vorschlagen und die Elemente aufzählen, die unbedingt vorhanden sein müssen. In den ersten Jahren nahmen wir noch an, daß es für ihn und für das Umschlagbild besser wäre, wenn wir jedesmal persönlich mit ihm darüber sprachen, und gelegentlich halten wir es auch heute noch so - um des Vergnügens willen.

Wir sagen ihm: also, Signor Thole (denn so haben wir ihn immer genannt), wir brauchen eine vollkommen blaue Wüste, in der Mitte das Skelett eines außerterranischen Tiers, ein Mann und eine Frau, beide praktisch ausgedörrt, die sich über den Rand einer Spalte beugen, aus der ein Baum aus riesigen Kristallen wächst. Was halten Sie davon? Emst und konzentriert überdenkt der Beamte einige Augenblicke lang das Problem. Dann zieht er einen abgeknabberten Bleistift aus der Tasche, nimmt eine Heftseite, einen alten Briefumschlag, irgendein Stück Papier und beginnt zu zeichnen. Zwei oder drei Minuten genügen ihm, ; um die Szene anzudeuten und die beiden Menschen an der Spalte zu skizzieren. »Raumschiffbrüchige?« fragt er, ohne den Blick von der Zeichnung zu heben, im gleichen Ton, in dem der Schalterbeamte am Bahnhof: »Zweite?« fragt. Als wir mit  Ja antworten, kleidet er die Gestrandeten in ein paar Raumanzug-Fetzen. Ferner versieht er ein auf dem Sand angedeutetes Skelett mit knollenartigen Auswüchsen, verzweigt den Kristallbaum drohend, zieht die Horizontlinie und umschließt das Ganze mit dem klassischen Kreis der Urania.

Et voilä, könnte man annehmen, das wär’s. Wenn wir damit einverstanden sind, ist das die Skizze, die die Grundlage für den nächsten Umschlag bildet.

Wir wären ohne weiteres damit einverstanden. Aber aus der unwirschen Bewegung, mit der er uns das Blatt unter die Nase schiebt, erraten wir sofort, daß er, Thole, keineswegs damit einverstanden ist. Er hat unser gesprochenes »Expose« peinlich genau in die malerische Form übertragen, aber nur, um uns Schwarz auf Weiß zu beweisen, daß unsere Forderung unerfüllbar ist. Was wir geschildert haben, ist die brave Wiedergabe einer Szene aus dem Wilden Westen, und daher findet sich seiner Meinung nach in ihr keine Spur von echter Science Fiction, von etwas authentisch, unverkennbar Fremdartigem. „

O nein, deutet sein Zeigefinger, der unerbittlich auf die Zeichnung weist, o nein! Es genügt nicht, daß man den Sand blau färbt, daß man ein Ochsenskelett als x’rghuk ausgibt und einen herkömmlichen Kaktus zu einem Kristallbaum umfunktioniert. Die beiden Astronauten (der Radiergummi löscht energisch die beiden zusammengeschrumpften Gestalten aus) sind nichts als ein x-beliebiges Paar, das sich aus irgendeinem Grund östlich der San Bernardino-Berge verirrt hat. Und was die Spalte oder den Canyon betrifft...

Wir sehen so niedergeschlagen aus, daß der hohe Beamte nur noch den Kopf schüttelt und sich bereit erklärt, den Fall noch einmal zu überdenken. Naja, seufzt er, während er die Zeichnung einsteckt und aufsteht. Ich weiß nicht recht, ich kann nichts versprechen. Ich werde sehen, was sich machen läßt.

Einige Tage später ist der Entwurf fertig. Der Horizont ist deutlich tiefer gerutscht, und ein riesiger, steiniger, von einer unsichtbaren Sonne von links beleuchteter Satellit schwebt drohend über einer glühenden Steinwüste. Der Rand der Spalte befindet sich im Vordergrund, beinahe am unteren Rand des Kreises, und deshalb kann es sich auch um einen Krater oder eine andere Art von Vertiefung handeln. Aus ihm wächst jedoch keinesfalls ein Pseudokaktus: was sich da giftig zwischen den Steinen hindurchwindet, ist kristalline Lepra, ein scheußlicher, kriechender, pflanzlich-mineralischer Krebs, der zwischen zwei Koordinatensystemen verschiedener Symmetrie angesiedelt ist. Von den Schiffbrüchigen ist keine Spur zu sehen. Oder vielleicht doch -da unten befinden sich zwei winzige Gestalten, die durch den Siliziumsturm, der diagonal über die Landschaft weht, kaum zu erkennen sind...

Aber was ist das für ein großes, kalziniertes Bauwerk, für ein schiefes, kuppelgeschmücktes Gebäude, das im Vordergrund stufenförmig zum Rand der Spalte abfallt? Eine ungeheure, leere Augenhöhle sieht uns an. Ein riesiges Glied versinkt im giftigen Gestein. Und allmählich erkennen wir zwischen den unaufhörlichen Sandwirbeln, der Masse von Kuppeln und Gewölberippen, das Exoskelett eines grauen, halb durchsichtigen Gliederfüßlers, der zweihundert Meter lang und dreißig Meter hoch ist.

Eigentlich müßten wir erschreckt zusammenzucken, und wir tun es auch ein bißchen. Aber im Grunde genommen sind wir nicht überrascht: die Anwesenheit dieses Gliederfüßlers in dieser Wüste, neben dieser Spalte wirkt eigentlich vollkommen selbstverständlich, sogar notwendig, unerläßlich für das ökologische Gleichgewicht des Kosmos.

»Großartig«, beglückwünschen wir uns und Thole. Und einen Augenblick lang glättet sich seine Stirn, ein Lächeln, eine leise Andeutung von Genugtuung begleiten den Ausbruch aus der lästigen Gewohnheit. Aber bereits in dem Augenblick, in dem er die Skizze mit nach Hause nimmt, um letzte Hand an sie zu legen, steigt Zweifel hinter der Brille und dem senkrechten Zigarettenrauch auf. Vielleicht hat gerade unsere laienhafte Begeisterung Bedenken in ihm hervorgerufen. Vielleicht schwebt ihm bereits eine entsprechende »Verbesserung« vor, bei der er das Ganze von einem anderen Standpunkt aus betrachten, überarbeiten, verändern wird... Während er sich wie ein schiffbrüchiger Astronaut im Weltraum im open space von Mondadori immer weiter entfernt und kleiner wird, sehen wir ihm nach und fragen uns wieder einmal: Wer ist dieser »Signor Thole« wirklich? Welchen geheimen Befehlen und Anweisungen gehorcht er bei seiner Arbeit als sogenannter »Illustrator«? Er ………….

 

Zur deutschen Ausgabe

Mein deutscher Verleger, Herr Rolf Heyne, hat mich darum gebeten, auch zur deutschen Ausgabe meines Buches ein paar Worte zu schreiben. Nun, wie oben schon gesagt, das Schreiben ist nicht eigentlich mein Metier, und über meine Arbeit habe ich schon viel zu viel geredet. Aber dem Heyne Verlag gegenüber fühle ich mich doch verpflichtet, ein paar Zeilen hinzuzufügen.

Als ich nach dem Science Fiction-Weltcon in Heidelberg im Jahre 1970 auf der Rückreise nach Mailand in München Station machte, um mit den Leuten vom Heyne Verlag über Coverzeichnungen zu reden, dachte ich mir: Nun, es wird ein Verlag sein wie jeder andere auch. Aber hier irrte ich mich. Der Heyne Verlag ist nun einmal nicht ein Verlag wie jeder andere -und ich kann nicht einmal genau sagen, warum. Es sind natürlich die Menschen, die Zusammenarbeit mit ihnen, die ganze Atmosphäre, die mir meine Arbeit für diesen Verlag zu einem Vergnügen machen. Und als Rolf Heyne mir während einer Buchmesse sagte, er betrachte mich als »einen von der Crew«, da verpflichtete mich das um so mehr.

Es erfüllt mich deshalb mit besonderer Genugtuung, daß mir dieser Verlag nun die Gelegenheit gibt, meine Science Fiction-Bilder, besonders jene, die bisher nur außerhalb Deutschlands publiziert wurden, dem deutschen SF-Leser vorzustellen.

Karel Thole

München, im Frühjahr 1982

 

Karel Thole wurde 1914 in Bussum, zwanzig Kilometer von Amsterdam entfernt, geboren.

Die künstlerische Berufung zeigte sich schon sehr früh. Er ging noch zur Volksschule, als er beschloß, Zeichner zu werden. Nach dem vierten Jahr Lyzeum schrieb er sich in die Zeichenschule im Rijksmuseum in Amsterdam ein. Er war in seiner Heimat bereits ein anerkannter Illustrator, als er 1958 nach Italien übersiedelte. Dort kam er zum erstenmal mit dem Gebiet der Science Fiction in Berührung, auf dem er heute ein unbestrittener Meister ist. Er betrachtet die Science Fiction als Märchen für Erwachsene und behauptet, daß er seine Arbeit liebt. Er sagt von sich, er sei ein glücklicher Mensch.

 

Eintrag aus Wikipedia

Karel Thole (Carolus Adrianus Maria Thole; * 20. April 1914 in Bussum, Provinz Noord-Holland; † 26. März 2000 in Cannobio, Italien) war ein niederländischer Grafiker.

Leben und Wirken

Thole besuchte nach dem Abschluss der Mittelschule in Hilversum die staatliche Zeichenschule in Amsterdam. Eine Reise nach Italien im Jahr 1953 finanzierte er durch seine Zeichnungen. Danach arbeitete er als Titelbildillustrator teilweise für mehr als 20 Verlage. 1958 übersiedelte er nach Mailand. Er bekam Kontakt zum Verlag Arnoldo Mondadori Editore und erhielt den Auftrag, für dessen Science-Fiction-Serie Urania die Titelbilder zu zeichnen. Ab 1960 bestimmten seine phantastisch-surrealistischen, von Max Ernst, Salvador Dalí und René Magritte beeinflussten Bilder für 25 Jahre die Covergestaltung der Reihe.

Kurt Bernhardt, Chefredakteur beim Moewig-Verlag, verpflichtete ihn als Zeichner für die Vampir-Horrorroman-Reihe des Verlages. Er zeichnete 186 Titelbilder für die Reihe, davon durchgehend die der ersten 175 Nummern. Mit Titelbildern zu Werken von Philip K. Dick, Isaac Asimov, Thomas M. Disch und vielen anderen prägte er über viele Jahre hinweg das Gesicht der Science-Fiction-Literatur in Europa und vor allem in Deutschland. Auf dem Worldcon 1973 erhielt er einen Spezialpreis. Eine Sammlung seiner besten Illustrationen erschien 1982 in Deutschland unter den Titel Visionen des Unwirklichen: Die phantastischen Bilder des Karel Thole. 1994 wurde er zu seinem 80. Geburtstag für sein Lebenswerk mit dem Kurd-Laßwitz-Preis als bester Grafiker des Jahres geehrt ] Auf Grund eines Augenleidens musste er seine Tätigkeit Mitte der 1980er Jahre einstellen. Ab 1993 lebte er mit seiner Frau in Cannobio am Lago Maggiore.


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