Nach dem musikalisch ziemlich bescheidenen Doppelpack "Human Touch" / "Lucky Town" und der ebenfalls etwas flauen "MTV (Un)Plugged"-CD zeigte die Erfolgskurve für Bruce Springsteen zuletzt wieder steil nach oben. Mit der Film-Melodie "Streets Of Philadelphia" landete er 1994 seinen größten Hit, auch das "Greatest Hits"-Album verkaufte sich prächtig. Auf einigen neuen Songs rockte er dort mit seiner E-Street-Band, und mit der plant der Boß für 1996 eine neue Platte. Zuvor aber präsentiert er mit "The Ghost Of Tom Joad" noch einmal ein sehr persönliches Werk, das in seiner Schlichtheit an "Nebraska" von 1982 erinnert. Da ist Springsteen wieder ganz Poet der Straße, rezitiert aufwühlende Geschichten und begleitet sich auf der Akustikgitarre. "Youngstown" etwa beschreibt das Schicksal eines Industriearbeiters, der seinen Job verliert. Sozialer Sprengstoff steckt auch in den Texten von "Sinaloa Cowboy", "The Line" und "Balboa Park": Die Songs behandeln die ungelöste Problematik der illegalen Einwanderer, die aus dem Armenhaus Mexiko ins verlockend nahe und reiche Kalifornien strömen. Und der Titelsong erzählt von den Obdachlosen im US-Südwesten, die unter Brücken kampieren oder im alten Ford schlafen. "The Ghost Of Tom Joad" ist ein stilles Juwel, das mit jedem Hördurchgang wächst.

Weil er selbst aus armen Verhältnissen stammt, läßt sich der mittlerweile gut betuchte Bruce Springsteen leicht als "Working Class Hero" etikettieren: Der "Boss" sang als Rock-Ritter aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten immer über den Mann von der Straße. Zweifel an der Echtheit seiner Attitüde zerstreute der Sänger und Gitarrist mit ehrlicher Bühnenarbeit, großer Zurückhaltung bei der Vermarktung seiner Person und sensiblen Platten wie "Nebraska" (1982), das in seiner Ruhe an "The Ghost Of Tom Joad", erinnert. Doch anders als damals schwingt sich der 46jährige, inspiriert durch den Protagonisten des bekannten John Steinbeck-Romans "Früchte des Zorns", nun zum Dichter und Denker auf. Seine Alltags-Lyrik rüttelt am amerikanischen Traum(a), er thematisiert den "Eisernen Vorhang" zwischen den USA und Mexiko, erzählt von Mexikanern, die im gelobten Land vergeblich ihr Heil suchen. Die zwölf Songs durchzieht ein melancholischer Faden; gerade in solch bedächtiger Atmosphäre besticht Springsteens Stimme. Dazu leise Geigentöne, eine schwebende Backround-Orgel, feine Gitarren-Streicheleinheiten, selten ein paar Drum-Beats. Ein patriotisches Album im positiven Sinn: stilistisch reduziert und mit aufrüttelnden Texten, die sicher nicht alle Fans akzeptieren werden. 

Titelverzeichnis

1The Ghost Of Tom Joad
2Straight Time
3Highway 29
4Youngstown
5Sinaloa Cowboys
6The Line
7Balboa Park
8Dry Lightning
9The New Timer
10Across The Border
11Galveston Bay
12My Best Was Never Good Enough