Aus
dem lauten, wirren Getriebe der völkerbewegenden Weltindustrie hat sich
ein still bescheidenes Naturkind in einen der heimlichsten Winkel des
großen, erhabenen Alpengebäudes, an die Ufer des Brienzer Sees
geflüchtet; es ist die Berner-Oberländer Holzschnitzerei. Während es
drunten im gehügelten Mittellande dampft und braust, surrt und klappert
und die Maschinen des Fabrikgebäudes mit dämonischer, geisterhafter
Thätigkeit den Dienst der Menschenhand überflüssig machen zu wollen
scheinen; – während dort die reichen Geldleute rechnen und speculiren,
Briefe hin- und herfliegen, das Steigen und Fallen der Baumwollen- und
Rohseiden-Preise Berichte von größter Wichtigkeit, die Ernte-Resultate
in fremden Ländern Lebensfragen des schweizerischen Manufactur-Erwerbes
geworden sind und die Arbeitskräfte wie todte Nullen betrachtet werden,
die erst Werth durch den davorgestellten Zähler des Fabrikanten,
Kaufherrn oder Exporteurs bekommen, – hämmert und sägt, schnitzelt und
raspelt das stille Bergvölklein der Berner Oberländer daheim in seinen
vier Pfählen, unbekümmert um die großen weltbewegenden
Handels-Conjuncturen, in naiver Einfalt den Führungen des Genius der
Kunst folgend. Die Geschicktesten unter ihnen sind auch die allzeit
Gesuchten, und freiherrlich-unabhängig liegt die Größe ihres Verdienstes
in ihren eigenen Händen.
Die
Oberländer Holzschnitzlerei ist ein Erwerb, der aus sich selbst
entstanden ist, ein Industriezweig, der, von der Pike auf dienend, durch
eigene Kraft sich emporgearbeitet hat zu der Bedeutung, welche er seit
kurzer Zeit einzunehmen beginnt. Nicht Einflüsse von Außen schufen,
beförderten und hoben diese autodidaktische Volksbeschäftigung, nicht
mächtig bewegende Fluktuationen führten als Nothwendigkeits-Folge deren
Aufnahme und Cultur herbei (wie z. B. im Gebiete der gewebten Waaren
seiner Zeit das siegreiche Emporkommen der fremdländischen Baumwolle,
welche den inländisch erzeugten Flachs und die darauf basirte
Leinen-Industrie verdrängte), – nicht Momente des Zufalls gaben die
Veranlassung oder den ersten leisen Anstoß zur Anhandnahme einer
ursprünglich den localen Bedürfnissen und subjektiven Fertigkeiten des
Volkes fernliegenden Erwerbsbranche; – der gut ökonomische,
echtschweizerische, haushaltende Grundsatz:
„Die Axt im Haus’ erspart den Zimmermann“
(Schiller’s Tell.)
das
Selbstständigkeits-Bedürfniß eines Gebirgsvolkes und dessen
Unbekanntsein mit dem eindringenden Luxus, welcher heutzutage am
Wohlstande des schlichten Bürgers als zehrende Schmarotzerpflanze nagt, –
die urthümlich alte, einfache und solide Bauernregel: „Meiner Hände
Arbeit ist der Boden meines Wohlstandes,“ war die Basis, auf welcher die
Holzschnitzerei zu wachsen, zu blühen und Früchte zu tragen anfing.
Schon Jahrhunderte und Jahrhunderte lang war sie von den viehzüchtenden
Alpenwirthschaft treibenden Thalbewohnern der Schweiz ausgeübt worden,
und nicht über die Grenzen seiner stillen, schönen Heimath hinaus
bekannt geworden; die Urväter des Grütli-Bundes hatten sich selbst ihre
„Melchkübeli“ und „Nidelkellen“ (Rahmlöffel), ihre „Gepsli“ (Schüsseln)
und „Täufeli* (Milchgefäße), ihre Teller, Löffeli und Gabeln aus Holz
geschnitzt und hingen in dieser Beziehung bei ihren häuslichen
Einrichtungen weit weniger von den eingeführten Eisenschmiedewaaren
Steiermarks, Solingens, und Schmalkaldens oder den zerbrechlichen
Thonproducten Schwabens und der Eidgenossen im Pruntruter Lande ab, als
die Städter.
Bis zu den Zeiten des Sturzes der ersten
napoleonischen Herrschaft wurde die Schweiz noch wenig von Fremden
bereist; nur Naturforscher und sehr reiche Leute, namentlich Engländer,
waren die einzigen, die mit großem Kostenaufwande in jene Gebirgswinkel
eindrangen, wo jetzt Gasthof-Paläste stehen und im Sommer ein drängendes
Touristenleben sich jagt. Napoleon hatte durch den Bau der
Simplonstraße zuerst den praktischen Beweis geliefert, daß im wildesten
Gebirge Weg und Steg für den Verkehr zu ebnen sind; seinem Vorgange
folgten, gedrängt von den größeren Anforderungen der Zeit, andere
Thalschaften. Es entstanden die großen Alpenstraßen über den Gotthard,
Bernhardin und Splügen. Hiermit erweiterte sich das Straßennetz im
Alpenlande allgemein; der Aufschwung aller Industrie trug wesentlich
dazu bei. Aber mit den verbesserten Verkehrsmitteln wurde es auch
leichter, bequemer, billiger, das Wunderland der Schweiz zu besuchen;
der Fremdenverkehr wuchs, und alle jene abgelegenen schönen Thalgelände,
die bis dahin zur Außenwelt in kaum irgend einer Beziehung standen,
wurden jetzt Reiseziel. – Die Wanderer, überrascht und schwärmend für
des Bergvolkes Sitten und Gebräuche, Einfachheit und Genügsamkeit,
nahmen neben seltenen Mineralien und gepflückten Alpenpflanzen auch
Exemplare jener urthümlichen Holzgeräthe als Reise-Erinnerung mit in die
Heimath. So kam’s, daß nach und nach aus den anfänglich für den eigenen
Gebrauch geschnitzten Holzwaaren ein kleiner Luxus-Handelsartikel
wurde. Die Schnitzler (deren es von ausschließlichem Beruf nur wenige
gab) verwendeten mehr Aufmerksamkeit auf ihre Arbeit, lauschten die
Wünsche und Meinungen der Fremden schlau ab und suchten die
ursprüngliche derbe Naivetät, welche diese Holzsculpturen kennzeichnete,
durch allerlei verzierende Beigabe zu verschönern.
Ein junger
Lauterbrunner, Heinrich Mugel, soll der Erste gewesen sein, der im
ersten Decennium unseres Jahrhunderts Einfassungen zu Tintengläsern
schnitzelte und so die in der Kindheit schlummernde, ungekünstelte
Handfertigkeit auf ein bis dahin fremdes Gebiet übertrug. Als
eigentlicher Begründer der Holzschnitzerei, wie sie in der Gegenwart
eine namhafte Stellung einnimmt, wird jedoch allgemein Christen Fischer
von Brienz bezeichnet. Jetzt beschäftigt sie einige tausend Menschen und
setzt jährlich etwa eine halbe Million Franken um, die, da das
Rohmaterial, beinahe an Ort und Stelle gewonnen, sehr billig ist, nahezu
als reiner Verdienst anzusehen sind. Thun, die beiderseitigen Ufer des
Thuner und besonders des Brienzer Sees, sowie das Hasli-Thal sind die
Heimath dieser ihre Producte über die ganze civilisirte Erde
verbreitenden Industrie.
Die meisten Arbeiten trugen bis in die
jüngste Zeit das entschiedenste Gepräge des selbstwüchsigen
Dilettantismus, der sich eine gewisse Fertigkeit in Behandlung
stereotyper Formen angeeignet hat. Vor zwanzig Jahren konnten die
meisten Schnitzler kaum eine Figur, eine Blume oder Arabeske anatomisch
oder proportionirt richtig zeichnen, geschweige denn daß sie klare
Begriffe von den Gesetzen der plastischen Composition, von den
ästhetischen Bedingungen der Gruppirung gehabt hätten. Alles, was die
Besten unter ihnen kannten und konnten, waren die der Natur unmittelbar
abgelauschten Momente, und auch diese beschränkten sich wiederum nur auf
Gegenstände, die ihrem Wahrnehmungsvermögen, dem Gesichtskreise der
Alltäglichkeit entsprachen. Gemsen und Alpenrosen gaben die
hervorragendsten Modelle für ihre Kunstfertigkeit ab, also Dinge, die
ihres alpinen Charakters halber von den Fremden am Ehesten gekauft
wurden. Ein droben in den Felsenlabyrinthen durch das Fernglas in seinen
Stellungen beobachtetes Gratthier, eine als Schildwacht auf
hervorragendem Vorsprung aufgestellte Vor-Geis, ein ruhig als Einsiedler
grasender Gemsbock war vielleicht von einem talentvollen Schnitzler
ziemlich naturgetreu wiedergegeben worden, und die ganze große Schaar
der übrigen Gemsenschnitzler warf sich als Freibeuter über dieses
Prototyp her und copirte es, je nach den subjektiven und individuellen
Fähigkeiten, gut oder krüppelhaft. Woher kam es, daß man noch jüngst in
den bedeutendsten Magazinen von Interlaken, Bern, Thun, Brienz etc. so
wenig Gemsengruppen sah, in denen lebhafte Action ausgedrückt wurde?
Eben daher, daß den Schnitzlern gute Vorbilder fehlten und sie von sich
aus nicht fähig waren, das Thier anders als in ebenmäßig passivem
Zustande darzustellen. Hierzu gesellte sich nach und nach noch eine den
Fremden zu Lieb ausgebeutete Unwahrheit, eine Carrikirung der Natur. Die
Schnitzler nahmen im Laufe der Zeiten wahr, daß Damen und elegante
Touristen, welche für ihren Schreibsecretair, für ihren
Curiositäten-Tisch daheim eine Gemsengruppe kaufen wollten, immer denen
den Vorzug gaben, welche am kokettesten mit spindeldürren
Steckelbeinchen, am ballettänzerhaftesten, am blasirtesten geschnitzt
waren. Die „Holzschnäffler“, welche recht wohl wußten, daß die Gemse
derben Knochenbau, eisenfeste Schenkel und gar nicht so feenhaft zarte
Spinnebeine hat, die dem Thiere bei seinen lebensgefährlichen Sprüngen
schlechte Dienste leisten möchten, zogen es vor, der Thorheit der
Fremden, der sublimen Geschmacksverirrung zu huldigen und eine ganz neue
Species von Gratthieren zu schaffen. Als ich im vorigen Sommer einem
der besten Gemsenschnitzler, dem im Rosenlaui-Bade stationirten Jean
Zurflüh[1] von Meiringen, dahin bezügliche Bemerkungen machte, holte er
mir aus einem Winkel seines Ausstellungs-Glaskastens einen pompös in
Nußbaumholz geschnitzten, strammen, derbbeinigen Gemsbock. „Den kauft
mir kein Mensch ab,“ sagte er lachend, „d’Lüt wei derige Gamsche nöd.“
Später hörte ich die gleiche Aussage von anderen Schnitzlern bestätiget.
Seit
den letzten Jahren hat sich bezüglich der einseitigen Auffassung, der
incorrecten Zeichnung, der beschränkten Formen-Auswahl viel gebessert.
Verschiedene Factoren haben dazu beigetragen. Zuvörderst gebührt der
Regierung des Kantons Bern die Anerkennung, daß sie zur Aufhülfe
besseren Zeichen-Unterrichtes und praktischer Anleitung im Jahre 1852 in
Gadmen und 1854 in Meiringen unter Leitung des Bildhauers Lüthi von
Solothurn Schnitzlerschulen etablirte und mit Geldmitteln begabte, in
denen arme Knaben Unterricht empfingen. Ja, letzteren wurden sogar, da
den meisten alle und jede Mittel fehlten, die erforderlichen Werkzeuge
auf Staatskosten angeschafft und geschenkt. So wurde dem namentlich in
diesem Kantonstheil furchtbar im Aufblühen begriffenen Proletariate auch
von dieser Seite entgegengearbeitet. Leider soll der Besuch der Schulen
so unregelmäßig gewesen sein, daß dieselben wieder eingehen mußten. –
Von wesentlichem Einfluß auf die Geschmacksverbesserung war es ferner,
daß große Unternehmer, mit guten Kenntnissen ausgerüstete Fachmänner die
bisher von Schnitzlern ganz auf eigene Faust ausgeübte Kunst
systematisch organisirten, fabrikmäßig zu betreiben anfingen, gute
Vorlagen beschafften und auf eine Verbesserung und Abklärung des
Geschmackes hinwirkten. Solche Progressisten sind namentlich die Herren
Gebrüder Wirth in Brienz und Kunsthändler Wald in Thun, von denen gleich
ausführlicher die Rede sein wird. Immerhin ist’s wunderbar, daß diese
Leute bei ihrer enormen Material-Fülle, die sie in Modellen aus Paris
beziehen, nicht einmal die vortrefflichen Rittmeyer’schen Zeichnungen in
„Tschudi’s Thierleben der Alpenwelt“ kannten.
Ein, wenn man
will, fabrikähnlicher Betrieb des Geschäftes nach bestimmten Branchen
bestand schon früher; nur dadurch konnte jeder dieser Empiriker
einigermaßen es zur Vollkommenheit in einem Fache bringen, daß er sein
ganzes Leben hindurch ein und dasselbe Modell oder doch ganz verwandte
bearbeitete. So ist noch heutigen Tages die Arbeit ziemlich
ausgeschieden. Die kleinen, puppenhaften Berner-Oberländer Holzhäuschen,
mit den steinbelasteten Dächern, grünen Jalousieen und fein
durchbrochenen Lauben-Geländern, die so saftig-braun aus
Mahagoni-Fournitüren und tannenem Resonanzbodenholz construirt werden
und in allen feinen Spielwaarenläden Deutschlands zu haben sind, kommen
meist aus Iseltwald (nördlich unterm Faulhorn am Brienzer-See gelegen),
während das gegenüber am anderen Ufer liegende Oberried fast nur
Salat-Bestecke liefert. Einer der besten Baumeister dieser pygmäischen
Holzhäuser ist Ulr. Abegglen in Iseltwald. – Meiringen und Guttannen im
Hasli-Thal galten lange Zeit als die Orte, wo die meisten Gemsengruppen
geschnitten wurden, und wieder andere hatten besonderen Ruf für
Cassetten u. dergl. m.
Jetzt ist Brienz, gegenüber den berühmten
Gießbach-Fällen, unstreitig der Hauptort der Holzschnitzerei, und jeder
Tourist, welcher das Berner Oberland bereist, sollte nicht unterlassen,
die dort etablirten Fabriken und einzelnen Künstler zu besuchen. An der
Spitze derselben steht das Etablissement der Herren Gebrüder Wirth
(geborene Elsasser), die in einem langen Gebäude über 200 Arbeiter in
den verschiedensten Branchen beschäftigen, an Ort und Stelle aber nichts
verkaufen. Wir geben in beikommender Zeichnung einen ihrer Arbeitssäle.
Ihre Magazine sind in Paris (Bv. des Italiens 17 und Rue d’Hauteville
40). Sie zählen die besten Schnitzler zu den Ihrigen, unter denen Joh.
Huggler und Rud. Trauffer für Figuren, Jakob und Peter Thomann und Peter
Fischer für Ornamente zu nennen sind. Hier geht die persönliche
Kunstfertigkeit, das freie selbstbildende Schaffen Hand in Hand mit dem
Dienst der Maschine, mit der mechanischen Vervielfältigung eines
Modells. Die Theilung der Arbeit ist hier, so viel möglich, Grundgesetz
des Geschäftsbetriebes geworden. In einem der Säle arbeiten die
Schreiner, welche mit Hülfe der Circular-Säge und anderer durch
Wasserkraft in Bewegung gesetzter Instrumente aus großen Nußbaumbohlen
die platten Wände zu den reizenden Cassetten zuschneiden, die für zarte
Frauenhände der cultivirten Welt beider Hemisphären bestimmt sind.
Daneben ist ein Saal, in welchem minutiöse strohhalmbreite
Vertical-Sägen, durch Wasserkraft und Brangen in Bewegung gesetzt
(ähnlich wie die breiten Blätter einer Sägemühle), senkrecht sich hebend
und fallend in ungemein rapidem Tempo arbeiten. An diesen feinen
Schneide-Mechanismus bringt der Arbeiter einen handhohen, glatt
vorgerichteten Nußbaumklotz, auf dessen oberer Fläche in scharfen,
zarten Linien eine Arabeske, ein gothisches Ornament oder irgend ein
Dessin gezeichnet ist. Mit großer Fertigkeit dreht und schiebt der
Arbeiter den Klotz, daß der Sägenschnitt den Zeichnungen in den feinsten
Wendungen folgt, und binnen wenig Minuten (wenn die Figur nicht sehr
complicirt ist) zeigt sich der Block als ausgesägtes Stirnprofil irgend
einer eleganten Verzierung. Er wandert nun in eine zweite Hand. Diese
bringt ihn abermals an eine Vertical-Säge, welche im Querschnitt
bleistiftdicke oder noch dünnere Scheibchen davon absägt, reizend
gestaltete, durchbrochene Täfelchen nunmehr darstellend. Noch immer aber
sind es rohe Formen. Jetzt erst kommen diese Täfelchen in die
Werkstätten der Schnitzler, welche mit Hohlmeißeln und feinen
Grabsticheln die Kreuzrippen und Quergurte aushöhlen, die sich
durchschlingenden und umrankenden Ornamentzweige abrunden, hohlkehlen
und gleichsam ciseliren. Diese in ihren Größen genau berechneten,
„niedlinetten“ Verzierungsplättchen werden nun auf die platten Wände der
Cassetten, auf die Flächen der vorgerichteten Rahmen, Lesepultchen,
Meubles und was sie überhaupt schmücken sollen, so fein befestiget, daß
sie wie aus einem Stück geschnitzt erscheinen. Mit dem Braunbeizen ist
die eigentliche Holz-Arbeit beendet. In diesem halbfertigen Zustande
sendet die Fabrik ihre Producte nach Paris. Dort erst werden sie völlig
garnirt, die Cassetten mit Scharnieren und Schlössern versehen, mit
Sammet ausgeschlagen, überhaupt für den Verkauf und Export erst
vollendet. Dies ist aus dem fabrikativen Betriebe beispielsweise nur ein
Bild; die Vielseitigkeit des Geschäftes in seinen andern Branchen zu
schildern, mangelt hier der Raum. Der Katalog dieser Fabrik enthält
allein 900 Nummern verschiedener hier verfertigter Gegenstände. Unser
Bild stellt einen Schnitzlersaal dar, wo Uhrengestelle und
Spiegelrahmen, Weihwasserkessel und Reliquienschreine, Kartenhalter und
Lichtschirmträger, Zündholzkästli und Damen-Necessaires, Consolen mit
heidnischen Karyatiden und Schreibzeuge mit alpinen Thiergruppen, kurzum
Artikel des Luxus, wie sie das gesteigertste Bedürfniß der noblen Welt,
die größte Eleganz nur verlangen mag, gefertigt werden. Man lasse sich
von Herrn Flury-Urfer zum Kreuz in die Fabrik der Herren Wirth führen,
um dort Modellkammern zu sehen, die sicherlich das Schönste wie ein
Museum in sich vereinen, was die moderne Holzschnitzlerkunst produciert
hat. Mit gleicher Anerkennung muß indeß auch anderer derartiger sehr
tüchtiger Werkstätten gedacht werden, die leichtere, courante Waare,
namentlich viel in Ahorn- und Legföhren-Holz liefern. Zu diesen gehören
namentlich die der Herren Joh. Flück, Michel und Abplanalp, J. M.
Roetter und Comp. und Jacob Wyder in Brienz. Als geschicktester
Blumenschnitzler unserer Tage gilt Andreas Baumann daselbst, und die
Gebrüder Bury in Ringgenberg (unweit Interlaken) haben großen Ruf als
Gemsen-Sculpteurs.
Außerdem arbeiten aber noch Hunderte von
Familien daheim in ihrem Stübli mit den Kindern und verkaufen die
Producte ihrer Kunstfertigkeit an die Händler, unter denen die Firma
Wald in Thun eine der ersten Stellen einnimmt. Auch dieses Geschäft hat
große Verdienste um die Hebung der Schnitzlerkunst und stellte seiner
Zeit in Bern bei der dritten schweizerischen Industrie-Ausstellung die
reichste Sammlung künstlerisch gearbeiteter Stücke aus. Sein bester
Ornamenten-Schnitzler ist Joh. v. Almen.
Zu den feinen und gut
ausgeführten Schnitzereien wird, wie schon bemerkt, Nußbaumholz
verwendet, für die minder kostbaren das des Berg-Ahorn (Acer
pseudoplatanus); doch ziehen die Schnitzler das Holz der „Lenne“ (Acer
platanoïdes) jenem noch vor, weil es von feinerem Gewebe und noch weißer
und zäher sein soll. Für Löffel, Salatscheeren, Serviettenbänder,
Nußknacker und ähnliche Producte der geringsten Sorte benutzt man meist
das sehr feste, theils okerröthlich, theils gelbweiß aussehende Holz der
Legföhre (Pinus pumilo). Arme Leute machen es sich zur Aufgabe,
geeignete Stämme des letzteren, oft mit Lebensgefahr, vom Gebirge zu
holen, namentlich von Wänden, deren Föhren-Gestrüpp nicht unter dem
Schutz und der Wacht der Forstbehörden steht. – Als Seitenzweige sind
die mit Schweizerlandschaften bemalten Holzschnitzereien zu betrachten,
die, seit 1833 besonders von den Gebrüdern Wirtz in Bern, für alle
Gegenstände unserer Kunst, sogar für Meubles in Anwendung gebracht
werden.
Für
Brienz sind der Tourismus und die Holzschnitzkunst von besonderer
Bedeutung. Die Tradition der Brienzer Schnitzereien geht auf das Jahr
1816 zurück. Damals zwang eine Hungersnot die Menschen, neue
Beschäftigungsmöglichkeiten zu suchen. Geschickte Handwerker wie
beispielsweise Christian Fischer (1790–1848) verstanden es, mit dem
steigenden Tourismus auch den Verkauf von Holzskulpturen zu verbinden.
Aus Gegenständen des täglichen Bedarfs wurden filigrane Kunstwerke
entwickelt, die auf Weltausstellungen im späten 19. und frühen 20.
Jahrhundert erfolgreich präsentiert wurden. Beispiele für
Holzschnitzereien aus Brienz sind Tierskulpturen sowie
Gebrauchsgegenstände mit Tierfiguren und die sogenannten
Edelweiss-Möbelstücke. Die Schule für Holzbildhauerei ist die einzige
Institution in der Schweiz, in der das Holzbildhauerhandwerk erlernt
werden kann. Sie wurde 1884 als Schnitzlerschule Brienz gegründet. Seit
1928 ist sie eine Fachschule und Lehrwerkstatt des Kantons Bern. Die
1944 gegründete Geigenbauschule Brienz ist die einzige Fachschule für
Geigenbau in der Schweiz.