Aus meiner Sammlung zu Rätekommunismus, Anarchismus etc. stelle ich demnächst etliches ein, also einfach ab und zu wieder bei mir hereinschauen, wenn Interesse besteht (Jegliches hat sein Zeit .... hoffentlich)

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Singulari quadam

Rundschreiben des Papstes Pius X. über die Gewerkschaftsfrage

mit einem Anhang: 

a) Das Ausschreiben der Bischöfe in Fulda vom 5. November 1912 

b) Das Pastorale des preußischen Episkopates vom 22. August 1900

Verlag des "Arbeiter", Kaiserstr. 37


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Es geht vor allem um die Frage, inwieweit es katholischen Arbeitern erlaubt sein kann, Mitlgied in einer "christlichen", d.h. konfessionsübergreifenden Gewerkschaft zu werden. Manch drängende Fragen erledigen sich fast von selbst ....

Extrem selten! Hart to find!


Zustand: alt und gebraucht, noch gut, Papier gegilbt, siehe die Fotos, die wesentlicher Teil meiner Artikelbeschreibung sind!


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Aus Wiki:

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Christliche Arbeiterbewegung

Die christliche Arbeiterbewegung bildete sich als Reaktion auf die sozialistischen Bestrebungen der Arbeiterschaft. Sie lehnte deren revolutionäre Zielrichtungen und auch ihr atheistisches Weltbild ab und entwickelte verschiedene Theorien der Klassenharmonie, etwa in Form der Katholischen Soziallehre. Die Verantwortung der Kirche für die Arbeiter wurde zuerst durch Bischof Wilhelm Emmanuel von Ketteler als Innere Mission begriffen. Während die evangelische Arbeiterbewegung sich zunächst aufgrund der Sozialistengesetze verschloss, waren die Katholiken offener und dominierten so auch christlich-überkonfessionelle Bestrebungen, wie die Christlichen Gewerkschaften von 1894 bis 1933.[7] In der katholischen Arbeiterbewegung entstanden so vor allem die Katholische Arbeitervereine oder das Kolpingwerk. Die Evangelische Arbeiterbewegung entstand gerade als Minderheitenbewegung in katholisch geprägten Gebieten, so etwa der erste evangelische Arbeiterverein (EAV) 1848 in Bayern.[7] Generell betonen konfessionelle Gesellschaftskonzeptionen allerdings den sozialen Ausgleich gegenüber sozialen Konfliktstrategien.

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Die Katholischen Arbeitervereine waren im 19. Jahrhundert entstandene, vom Klerus geleitete Laienorganisationen. Sie werden auch als Katholische Arbeiterbewegung (KAB) bezeichnet. Nach dem Zweiten Weltkrieg knüpfte die Katholische Arbeitnehmerbewegung an diese Tradition an. Außer in Deutschland gab es in verschiedenen europäischen Ländern katholische Arbeitervereine, darunter in der Schweiz und in Österreich.

Die Arbeitervereine in Deutschland waren zunächst geistlich dominiert und dienten primär zur Absicherung des katholischen Milieus im Prozess der Industrialisierung. Neben geistlicher Betreuung und Einbindung der Arbeiter in die Pfarrgemeinden gab es Selbsthilfeeinrichtungen verschiedener Art. Die materielle und politische Interessenvertretung gehörte zunächst nicht zu den Aufgaben der Vereine. Dennoch wurden sie um die Jahrhundertwende in den Gewerkschaftsstreit im katholischen Deutschland miteinbezogen und gespalten. Während der Weimarer Republik nahmen die Vereine auch Stellung zu sozial- und wirtschaftspolitischen Fragen. Sie standen weitgehend auf Seiten der Republik. Die Zeit des Nationalsozialismus konnten sie teilweise als entpolitisierte Vereine überstehen.[1] Der westdeutsche Teilverband wurde weder zerschlagen noch gleichgeschaltet. Insbesondere aus diesem Verband beteiligten sich führende Vertreter der Vereine am Widerstand.

Vorgeschichte

Wilhelm Emmanuel von Ketteler setzte sich früh für die Gründung von katholischen Arbeitervereinen ein (Fotografie um 1870)

Erste Anregungen, katholische Arbeitervereine zu gründen, gehen unter anderem auf die Fabrikrede des Abgeordneten Franz Joseph von Buß aus dem Großherzogtum Baden im Jahr 1837 zurück. Im Jahr 1847 forderte Peter Reichensperger die Eigeninitiative der Arbeiter auf sozialpolitischem Gebiet und empfahl die Gründung von Arbeitervereinen. Wichtig wurde die Schrift von Wilhelm Emmanuel von Ketteler aus dem Jahr 1864 Die Arbeiterfrage und das Christentum. Auch Ketteler schlug darin Zusammenschlüsse von Arbeitern vor. Auf verschiedenen Katholikentagen warb Ketteler für Arbeitervereine. Der Katholikentag von 1869 von Düsseldorf stimmte ihm darin bei.[2]

Erste katholische Arbeitervereine entstanden in der Zeit der Revolution von 1848. Ein erster wurde 1847 in Regensburg gegründet. Nach anderen Angaben entstand dieser als Unterstützungsverein Hl. Josef, der Arbeiter erst 1849/1850 als Teilorganisation des örtlichen Piusvereins. Es folgten Nürnberg und andere süddeutsche Städte. Diese ersten Ansätze konnten sich nicht lange halten.[3] Gesellenvereine entstanden seit den 1840er Jahren. Unter dem Einfluss Adolph Kolpings erlebten diese seit den 1850er Jahren einen Aufschwung. Seit den 1850er Jahren entstanden insbesondere im Ruhrgebiet, aber auch am Niederrhein und im Saarland katholische Knappenvereine und Arbeitervereine. Allerdings konnten auch diese sich meist nicht halten.[4]

Auf Anregung nicht zuletzt von Ketteler entstanden christlich-soziale Vereine, die ihren Höhepunkt in den 1870er und 1880er Jahren erlebten. Allein im Ruhrgebiet hatten sie Mitte der 1870er Jahre 30.000 Mitglieder. Die christlich-sozialen Arbeitervereine waren grundsätzlich überkonfessionell, organisierten aber in der Regel Katholiken. Die Vereine hatten durchaus gewerkschaftsähnliche Züge, lehnten etwa Streiks nicht ab. Damit unterschieden sie sich deutlich von den späteren katholischen Arbeitervereinen. Sie litten zum einen unter den Auswirkungen des Kulturkampfes. Zum anderen verengte das Sozialistengesetz auch ihren Spielraum, so dass sie bald an Bedeutung verloren.[5]

Zeit des Kaiserreichs

Anfänge

Franz Hitze beteiligte sich maßgeblich an der Gründung der Arbeitervereine und konzipierte ihre Programmatik

In den 1870er Jahren erfuhr die Vereinsbewegung, gefördert von christlich-sozialen Geistlichen, einen Aufschwung. Unterstützung fanden die Arbeitervereine durch den von katholischen Unternehmern mit Franz Brandts an der Spitze 1880 gegründeten Verband Arbeiterwohl und dessen Generalsekretär Franz Hitze.[6]

Die Arbeitervereine standen in einer doppelten Frontstellung gegen den kulturkämpferischen Protestantismus und gegen die zunehmend kirchenkritische Sozialdemokratie. Auch vor diesem Hintergrund waren die Arbeitervereine strikt katholisch ausgerichtet.[7] Von Anfang an bestanden unterschiedliche Auffassungen über Ziel und Aufgaben. Es existierten geistliche, sozialreformerische oder gewerkschaftliche Tendenzen. Anfangs gab es in der Kirche noch Widerstände. Noch in den 1880er Jahren hieß es, dass die Arbeiter „immer eingedenk sein“ sollten, „dass sie den vollen, wahren Lohn für ihre Arbeit und Mühe nicht auf dieser Welt […] zu erwarten haben.“ Der Arbeiter solle „im Geist der Buße, des Gehorsams und der Demut sein Joch tragen“ und „bei der Besserung seines Standes an sich selbst anfangen. Sparsamkeit, Fleiß, Mäßigung und ein religiöses, stilles Leben geben eine innere Zufriedenheit“.[8]

Papst Leo XIII. hatte 1884 in seiner Enzyklika Humanum genus, die sich gegen die Freimaurerei richtete, zur Bildung von Arbeitervereinen angeregt. In Deutschland rief Franz Hitze auf dem Katholikentag im selben Jahr zur Gründung von Arbeitervereinen auf. Er legte dort Grundzüge für die Organisation katholischer Arbeitervereine vor. Dabei hat er nicht zuletzt eine antisozialdemokratische Zielsetzung betont: „Nur die Religion mit ihrer Macht über die Gemüter und Leidenschaften […] schütze gegen sozialdemokratische Verführung. Die Sozialdemokratie müsse isoliert und Organisation gegen Organisation gestellt werden.“ Allerdings hat er die sozialdemokratische Bewegung nicht nur als Verirrung betrachtet, denn „sie erwache aus den Notständen unseres Volkes.“ Hitze setzte sich auch auf den Katholikentagen von 1886 und 1889 für die Errichtung von Arbeitervereinen ein.[9]

In der Folge entstanden viele derartige Vereine. Im Jahr 1889 bestanden 168 Arbeitervereine, 51 Knappenvereine, 26 Arbeiterinnenvereine sowie 37 Vereine für jugendliche Arbeiter mit zusammen etwa 60.000–65.000 Mitgliedern.[10]

Weiteren Auftrieb erhielten die Vereine 1890 durch die Enzyklika Rerum Novarum, in der sie von der Kirchenspitze offiziell anerkannt und befürwortet wurden. Hinzu kam ein entsprechender Hirtenbrief der deutschen Bischöfe. Förderlich war auch die Gründung des Volksvereins für das Katholische Deutschland 1890.[11]

Aufgaben und Selbstverständnis

Alfredushaus in Essen, Sitz der örtlichen christlichen Gewerkschaften und des Arbeitervereins

Das zentrale Ziel war die Erziehung der Arbeiter „von der Klasse zum Stand“. Diese berufsethische Programmatik war als Gegenentwurf zum sozialistischen Klassenkampf gedacht. Die Abwehr des Sozialismus war ein wichtiges Motiv für die Gründung der Vereine. Insgesamt ist eine Ähnlichkeit zu den Gesellenvereinen Kolpings zu erkennen.[12]

Neben dem Standesgedanken spielte die Seelsorge an den Arbeitern eine wichtige Rolle. Für die Vereine war die Pflege des religiösen Lebens und der gemeinsame Empfang der Sakramente wichtig. Die Geselligkeit war stark katholisch geprägt. Dabei ist die Bedeutung dieses religiösen Aspektes und der Einfluss der Priester in der Forschung nicht ganz eindeutig. Gerhard A. Ritter/Klaus Tenfelde sprechen von Konflikten zwischen geistlichem Anspruch und emanzipatorischen Interessen. Benjamin Ziemann spricht von einem schleichenden Prozess der Säkularisierung der Vereine. Bereits in den 1890er Jahren beklagten Pfarrer aus Dortmund die Vergnügungssucht und die unwürdigen Reden in den Arbeitervereinen. Es war von „Vereinsmeierei“ und der „Vernachlässigung der Christenlehre“ die Rede. Ähnliches ist auch aus anderen Regionen wie dem eher ländlichen Sauerland bekannt. Während der Weimarer Republik nahmen die Klagen der Geistlichen über die wachsende Bedeutung von weltlichen Festen noch zu. Die These einer schleichenden Säkularisierung wird von anderen wie Josef Mooser etwa mit Blick auf die starke Stellung der Geistlichen relativiert. Eine neuere Regionalstudie zu den Arbeitervereinen im Ruhrgebiet kommt hingegen zu dem Schluss, dass „die Grenzen der priesterlichen Macht und die Einflussmöglichkeiten der Vereinsmitglieder“ nicht übersehen werden dürfen.[13]

Es gab im Vereinsleben Veranstaltungen zur religiösen Erbauung, kirchliche und allgemeine Bildungsangebote. Wichtig war auch die genossenschaftliche Selbsthilfe und die Einrichtung von Unterstützungskassen. Es wurden Arbeitsnachweise eingerichtet und Fachunterrichtskurse angeboten. Viele Arbeitervereine hatten bis zum Ende der Weimarer Republik auch Spar-, Kranken- und Sterbekassen sowie Bibliotheken. Einige hatten sogar Konsumvereine und Volksbüros. An Stelle von lokalen Kassen traten zunehmend Verbandskassen. Es wurde auch Rechtsberatung etwa in Berufsfragen angeboten. Von großer Bedeutung gerade in dieser Hinsicht waren hauptamtliche Arbeitersekretäre. Im süddeutschen Verband entstanden etwa bis zum Ersten Weltkrieg 27 Arbeitersekretariate.[14]

Von den Vereinen wurden Anregungen an die Gemeindeverwaltungen oder an Arbeitgeber weitergeleitet. Dies hatte aber Grenzen. Das Vereinsrecht schloss eine politische Betätigung aus. Auch verstanden sich die Arbeitervereine nicht als Vertretung materieller Arbeiterinteressen. Dieses Feld überließen sie den seit den 1890er Jahren entstehenden christlichen Gewerkschaften. Hitze hatte die Arbeitervereine als eine Art Vorstufe zu den Gewerkschaften verstanden.[15]

Organisation

Nikolaus und Elisabeth Groß um 1912

Im Gegensatz etwa zu den evangelischen Arbeitervereinen und älteren Organisationsversuchen waren in den Arbeitervereinen fast nur Arbeiter selbst organisiert. Sozial orientierte Bürgerliche wurden nicht aufgenommen und für Handwerker gab es die Gesellenvereine.[16]

Die Vereine entstanden auf Basis der Pfarreien. An der Spitze stand ein örtlicher Geistlicher als Präses. Berufen wurde dieser vom zuständigen Bischof. Bei den ersten Vereinen gab es noch keinen gewählten Vorstand. Es bestand ein Schutzvorstand oder Ehrenbeirat aus örtlichen Honoratioren.[17] Dies änderte sich unter dem Einfluss des Volksvereins. Nun gab es neben dem Präses einen regelrechten Vorstand. Aus den Mitgliedern des Vereins wurden die Vorstandsmitglieder gewählt. Ihre jeweilige Funktion wurde ihnen vom Geistlichen zugewiesen. Vorsitzender und Vizepräses war ein gewählter Arbeiter. Hinzu kamen Kassierer, Schriftführer und Beisitzer. Die Präsidesverfassung stand im gewollten Widerspruch zum liberalen Prinzip der Gleichheit aller Vereinsmitglieder. Das demokratische Mehrheitsprinzip sollte gemildert werden. Nur eine geistliche Leitung schien Schutz vor Abirrungen der Vereine zu bieten.[18]

Diese „roten Kapläne“ spielten für den Erfolg der Vereine eine wesentliche Rolle. Von ihrem Engagement und ihrem Mut hing es ab, ob die Arbeiter in den Vereinen – über die religiöse Bildung und Identität hinaus – auch eine soziale Identität als Arbeiter entwickeln konnten. Allerdings sahen viele Geistliche die Vereine vor allem als wichtige Faktoren der Laienseelsorge an. Die Vereine dienten nicht zuletzt zur Einbindung der Arbeiter in die Pfarreien.[19]

Seit 1891 begannen sich die Vereine auf regionaler Ebene zusammenzuschließen. Unterhalb der Regionalverbände gab es Diözesan- und Bezirksverbände auf der Ebene der Dekanate. An der Spitze der Diözesanverbände, die als Hauptverbände bezeichnet wurden, stand ein Diözesanpräsides. Auch dieser wurde vom Ortsbischof ernannt.

Der organisatorische Schwerpunkt der Arbeitervereine lag in Westdeutschland. Mehr als die Hälfte aller Mitglieder gehörte dem westdeutschen Verband an. Daneben bildete sich ein süddeutscher Verband, der Verband der katholischen Arbeitervereine mit Sitz in Berlin, ein ostdeutscher Verband sowie die Diözesenverbände der Erzdiözese Freiburg und der Diözese Rottenburg („Landesverband der katholischen Arbeiter- und Arbeiterinnenvereine Württembergs.“)[20] Die katholischen polnischen Vereine blieben den Verbänden fern.

Die Regionalverbände und die Arbeitervereine Badens und Württembergs schlossen sich ohne die Richtung Berlin 1911 zu einem „Kartellverband katholischer Arbeitervereine West-, Süd- und Ostdeutschlands“ zusammen. Die Zahl der Mitglieder betrug 1914 etwa 500.000. Unabhängig blieben der 1903 gegründete „Bezirksverband der katholischen Arbeiterverbände“ in Saarbrücken sowie zwei Verbände für Seeleute und Schiffer.[21]

Zwar gab es schon seit längerem auch Arbeiterinnenvereine. Diese schlossen sich aber meist später mit denen der Arbeiter zusammen. Im Jahr 1905 gründete sich der „Verband katholischer Vereine der erwerbstätigen Frauen und Mädchen Deutschlands“, dieser vertrat die wirtschaftsfriedlichen Positionen der Berliner Richtung. Im Jahr 1906 entstand der „Verband süddeutscher katholischer Arbeiterinnenvereine“. Erst 1917 wurde der „Verband katholischer Arbeiterinnenvereine Westdeutschlands“ gegründet.[22]

Süddeutscher Verband

Lorenz Huber

Der erste Regionalverband entstand in Süddeutschland mit Sitz in München. Der Organisation gehörten zunächst nur Vereine aus Bayern und dem Erzbistum Salzburg an. Hinzu kamen einige Vereine aus den Diözesen Freiburg und Rottenburg. Um 1900 waren die Vereine unterhalb der Verbandsebene in Diözesan- und Bezirksverbände gegliedert. Verbandspräses war der Geistliche Lorenz Huber aus München. Dieser gab auch das Verbandsblatt Der Arbeiter heraus. Ihm folgte 1904 Carl Walterbach.

Im Gründungsjahr hatte der Verband 27 Vereine und 6.000 Mitglieder. 1894 waren es 56 Vereine mit 11.625 Mitgliedern. Zur Jahrhundertwende waren es 372 Vereine mit fast 60.000 Mitgliedern. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg hatte der Verband 114.000 Mitglieder in 1041 Vereinen.[23]

Die Arbeitervereine in Bayern sind relativ gut erforscht. Dort konnten mit Landarbeitern und Frauen Gruppen organisiert werden, die etwa von der sozialistischen Arbeiterbewegung nicht erreicht wurden. Diese oft ländlichen Arbeitervereine unterschieden sich durch antikapitalistische Zielvorstellungen von den eher sozialreformerischen Vereinen in den industriellen Ballungsräumen in Westdeutschland.[24]

Berliner Richtung und Ostdeutscher Verband

Die mittel- und ostdeutschen Verbände aus Berlin, Brandenburg, Pommern und Schlesien schlossen sich 1897 zum „Verband katholischer Arbeitervereine Nord- und Ostdeutschlands“ zusammen. Einige Jahre später nannte sich diese Organisation Verband der katholischen Arbeitervereine – Sitz Berlin. Damit lehnte der Verband eine regionale Abgrenzung ab und machte deutlich, dass er auch in den Bereichen anderer Verbände tätig werden wollte. Dies war eine Folge des Gewerkschaftsstreits im katholischen Milieu. In diesem Zusammenhang schlossen sich dem Verband die meisten Vereine der Diözese Trier an. Teilweise verstreut hatte der Verband Vereine in vierzehn Diözesen vornehmlich in Nordostdeutschland. Die Berliner Richtung hatte in der Spitze 130.000 Mitglieder.[25][26]

Als Folge des Gewerkschaftsstreits spaltete sich 1910 ein ostdeutscher Verband der katholischen Arbeitervereine mit Sitz in Breslau und später in Neiße von der Berliner Richtung ab. Er hatte aber vor dem Ersten Weltkrieg nur etwa 14.000 Mitglieder und gewann erst während der Weimarer Republik an Bedeutung.[27]

Westdeutscher Verband

August Pieper war zeitweise Vorsitzender des Westdeutschen Verbandes und eine Schnittstelle zum Volksverein für das katholische Deutschland

Angesichts des hohen Industrialisierungsgrades kam es in Westdeutschland erst spät zu einem Zusammenschluss. Ein Grund war, dass man längere Zeit befürchtete, dass ein solcher Verband vom Staat aufgelöst werden könnte. Andererseits gab es innere Gegensätze. Es gab eine Kölner Richtung, die antikapitalistisch und traditionalistisch ausgerichtet war. Daneben gab es die fortschrittlichere Strömung um die Zentrale des Volksvereins in Mönchengladbach um Hitze und August Pieper (Mönchengladbacher Richtung). Auch gab es noch Reste der alten christlich-sozialen Vereine. Es gab zwar Kontakte der Präsides der Arbeitervereine untereinander. Aber erst 1899 wurde im Erzbistum Köln ein erster Diözesanverband gegründet.[28]

Der 1903/1904 gegründete Verband der katholischen Arbeiter- und Knappenvereine Westdeutschlands, hatte 1913 220.000 Mitglieder. 1912 gab es allein in diesem Bereich 1.041 Vereinen. Er umfasste die Diözesanverbände Köln, Paderborn, Münster, Osnabrück, Hildesheim, Limburg, Mainz und Fulda. Mit dem Niedergang der Berliner Richtung schlossen sich die Vereine aus der Diözese Trier Ende der 1920er Jahre dem Westdeutschen Verband an. Vorsitzender wurde August Pieper. Einige Zeit später folgte Pfr. Otto Müller.

Der Verband gab seit 1898 mit der westdeutschen Arbeiterzeitung ein verbreitetes Wochenblatt heraus. Der Untertitel lautete Für die Interessen der arbeitenden Stände. Redakteur war Johannes Giesberts. Kurze Zeit später kam Joseph Joos hinzu, der Giesberts auch ablöste, als dieser in den Reichstag gewählt wurde. Die Zeitung hatte anfangs eine Auflage von 1200 Exemplaren. Innerhalb von fünfzehn Jahren konnte sie die Auflage auf 120.000 Exemplaren steigern.[29]

Die stärksten Berufsgruppen im Westdeutschen Verband stellten Eisen- und Metallarbeiter sowie die Bergarbeiter. Otto Müller gab an, dass die Arbeitervereine etwa ein Drittel der katholischen Arbeiter erreicht hätten.[30] Aber dies dürfte zu hoch gegriffen sein, zumal es große Unterschiede gab. In einer katholischen Region wie dem ehemals kölnischen Sauerland war nur eine Minderheit der Arbeiter in den Arbeitervereinen organisiert. Immer wieder gab es Klagen über die organisatorische Schwäche. In kleineren Industrieorten waren dabei die Vereine gemessen an der Bevölkerungszahl stärker vertreten als in den gewerblichen Zentren.[31] Organisiert wurden eher ältere und qualifizierte Arbeiter, während es ihnen schwer fiel, die gering qualifizierten Beschäftigten und die von starker Fluktuation geprägten Berufsgruppen zu erfassen. Die Vereine integrierten nicht so sehr Zuwanderer, sondern trugen zur Stabilisierung des katholischen Milieus bei.[32]

Gewerkschaftsstreit

→ Hauptartikel: Gewerkschaftsstreit

Bischof Michael Felix Korum war einer der Hauptvertreter der Integralisten während des Gewerkschaftstreits

Als 1899 der Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften gegründet wurde, waren daran neben den wenigen bereits bestehenden christlichen Gewerkschaften, wie dem seit 1894 existierenden christlichen Bergarbeiterverband, auch Delegierte der katholischen und evangelischen Arbeitervereine beteiligt. Hinzu kamen aus Berlin und Süddeutschland Vertreter des Vereins Arbeiterschutz. Dieser war ein in enger Verbindung mit den katholischen Arbeitervereinen gegründeter, konfessionell und politisch neutraler Standesverein. Der Gewerkschaftsgründung vorausgegangen waren Veränderungen innerhalb der Arbeitervereine. Es wurde die Gründung von Fachabteilungen ermöglicht. Erste Fachabteilungen waren 1892 in Süddeutschland gegründet worden. Franz Hitze hatte Leitsätze zu Fachabteilungen mit einer gewerkschaftlichen Programmatik entworfen, ohne dass dies nachhaltige organisatorische Konsequenzen gehabt hätte. Dies macht aber deutlich, dass das Interesse an einer ökonomischen Interessenvertretung gewachsen war.[33][34]

Strittig war zunächst, ob man katholische oder interkonfessionelle Organisationen gründen wollte. Matthias Erzberger, der in Süddeutschland in der katholischen Arbeitervereinsbewegung aktiv war, August Brust und Hitze plädierten für interkonfessionelle Organisationen. Diese Haltung setzte sich durch.[35]

Innerhalb des katholischen Lagers gab es dagegen erhebliche Widerstände, die als Gewerkschaftsstreit bekannt geworden sind. Besonders bekämpft wurde die Interkonfessionalität von den katholischen Arbeitervereinen, Sitz Berlin. Diese organisierten vor allem die katholischen Arbeiter in den Diasporagebieten im östlichen Deutschland, wo der Gegensatz zur evangelischen Kirche besonders stark ausgeprägt war. Sie waren integralistisch ausgerichtet und lehnten eine Hinwendung zum säkularen Staat, zum marktwirtschaftlichen System und zu einer pluralistischen Gesellschaft ab. Sie meinten, dass auch weltliche Dinge auf kirchlicher Grundlage geregelt werden müssten.[36]

Während sich die west- und süddeutschen Teilverbände für die christlichen interkonfessionellen Gewerkschaften aussprachen, lehnte die Berliner Richtung unter Einschluss der Arbeitervereine des Bistums Trier dies ab und bestand auf einer wirtschaftlichen Interessenvertretung durch die Fachabteilungen innerhalb der Arbeitervereine. Sie entschieden sich 1902 zur Einführung dieser Fachabteilungen. Dabei lehnte die Berliner Richtung den gewerkschaftlichen Kampf ab und versuchte die Interessen der Arbeiter auf dem Verhandlungswege umzusetzen. Eine nennenswerte Bedeutung erreichten die Fachabteilungen nie. Unterstützung fand diese Position bei dem Trierer Bischof Michael Felix Korum und dem Erzbischof von Breslau, Georg von Kopp, sowie bei integralistischen römischen Kreisen. Die übrigen deutschen Bischöfe waren für christliche Gewerkschaften oder verhielten sich neutral.

Der interne Streit belastete und schwächte die katholische Arbeitervereinsbewegung. Er dauerte lange an und konnte nur durch Entscheidungen an höchster kirchlicher Stelle beigelegt werden. Die Enzyklika Singulari quadam von 1912 ließ zwar eine Vorliebe für die Fachabteilungen erkennen, hat aber die christlichen Gewerkschaften faktisch akzeptiert. Benedikt XV. wies die Beteiligten kurz nach Beginn des Ersten Weltkrieges an, den Streit beizulegen. Eine wirkliche Einigung zwischen der Berliner Richtung und den übrigen Verbänden kam jedoch nie zustande. Die Berliner Richtung verlor immer mehr an Bedeutung und musste sich 1931 auflösen. Im selben Jahr wurde das Problem durch die Enzyklika Quadragesimo anno beigelegt.[37]

Anfänge der Politisierung

Der „Emanzipationskampf für die wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Gleichberechtigung der Arbeiter“, wie Hitze inzwischen den Aufgabenbereich der Vereine definierte, benötigte politische Einflussmöglichkeiten. Die Vereine des Westdeutschen Verbandes richteten „staatsbürgerliche Schulungen“ ein. Damit sollten die Mitglieder für die politische Arbeit außerhalb der Vereine geschult werden. Otto Müller gehörte 1908 zu den Gründern der politischen Komitees. In diesen waren die Arbeitersekretäre, Funktionäre der christlichen Gewerkschaften, Mandatsträger aus dem Umfeld von Vereinen und Gewerkschaften zusammengeschlossen. Die Komitees unterstützten die Zentrumspartei und vertrat ihn dieser die Interessen der Arbeiter. Kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges gehörten 2602 Mitglieder der Arbeitervereine lokalen Vorständen der Zentrumspartei an und 973 waren Mitglied in einer Stadt- oder Gemeindevertretung.[38]

Die Arbeitervereine unterstützten die Burgfriedenspolitik während des Ersten Weltkrieges. Die politischen Komitees der Arbeitervereine gewannen in dieser Zeit an Bedeutung. Die Komitees, die sich schon vor dem Krieg in Westdeutschland und in Bayern regional zusammenschlossen, wurden zu Zentren der innerparteilichen Opposition in der Zentrumspartei und wandten sich etwa gegen die Abkehr der Partei von der Forderung nach einem demokratischen Wahlrecht in Preußen. Sie forderten seit 1917 das gleiche Wahlrecht in Preußen und organisierten im Juni 1918 eine große Protestversammlung. Pfr. Otto Müller wurde daraufhin vom Kölner Erzbischof Felix von Hartmann aus seinem Amt als Kölner Diözesanpräses entlassen. Schon 1914 war ihm die Leitung des Kölner Arbeiterinnenvereins entzogen worden, weil er sich gegen die Entpolitisierung des Vereins durch ein neues Statut gewandt hatte. August Pieper legte nach der Entlassung Müllers als Diözesanpräses sein Amt als Verbandsvorsitzender aus Protest nieder. Der Verband wählte Müller demonstrativ zu dessen Nachfolger. Weil Hartmann den Konflikt nicht eskalieren lassen wollte, bestätigte er diese Wahl. Wie andere Vereine auch litten die katholischen Arbeitervereine unter den Einberufungen und der hohen Zahl der Gefallenen. Die Vereine verloren so bis zu einem Drittel der Mitglieder.[39]

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 Die vorliegende

Literatur   Gerhard Aigte: Die Entwicklung der revolutionären syndikalistischen Arbeiterbewegung Deutschlands in der Kriegs- und Nachkriegszeit (1918–1929), Bremen 2005.   F. Barwich, E. Gerlach, Arthur Lehning, R. Rocker, Helmut Rüdiger: Arbeiter-selbstverwaltung-Räte-Syndikalismus. Karin Kramer Verlag, Berlin 1971. ISBN 3-87956-090-0.   Franz Barwich/Studienkommission der Berliner Arbeiterörse: „Das ist Syndikalismus“. Die Arbeiterbörsen des Syndikalismus. Mit Texten von Franz Gampe, Fritz Kater, Augustin Souchy u. a. und einer Einleitung von Helge Döhring, Frankfurt 2005, ISBN 978-3-936049-38-1   Rudolf Berner: Die unsichtbare Front. Bericht über die illegale Arbeit in Deutschland (1937), Libertad Verlag, Berlin 1997.   Hans Manfred Bock: Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918 bis 1923 – ein Beitrag zur Sozial- und Ideengeschichte der frühen Weimarer Republik; Erstauflage 1969, aktualisierte Neuauflage 1993, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, ISBN 3-534-12005-1   Vera Bianchi: Feminismus in proletarischer Praxis: Der "Syndikalistische Frauenbund" (1920 bis 1933) und die "Mujeres Libres" (1936 bis 1939), in Arbeit – Bewegung – Geschichte, Heft I/2018, S. 27–44.   Helge Döhring: Anarcho-Syndikalismus in Deutschland 1933–1945, Schmetterling Verlag, Stuttgart 2013, ISBN 3-89657-062-5   Helge Döhring: Anarcho-Syndikalismus in Ostpreußen! 750 Jahre Königsberg nicht ohne Anarcho-Syndikalisten!, Bremen 2006. (als PDF; 4,2 MB)   Helge Döhring: Damit in Bayern Frühling werde! Die syndikalistische Arbeiterbewegung in Südbayern von 1914 bis 1933, Verlag Edition AV, Lich/Hessen. ISBN 978-3-936049-84-8   Helge Döhring: Die Presse der syndikalistischen Arbeiterbewegung in Deutschland 1918 bis 1933, Edition Syfo 1, Moers 2010, ISBN 978-3-9810846-8-9.   Helge Döhring: Syndikalismus im 'Ländle'. Die FAUD in Württemberg 1918 bis 1933. Verlag Edition AV, Lich/Hessen 2006. ISBN 3-936049-59-9.   Helge Döhring: Zur Geschichte der syndikalistischen Arbeiterbewegung in Baden. Eine Textsammlung (Südbaden, Freiburg und Heidelberg), Bremen 2007 [1]   FAU-Bremen (Hg.): Syndikalismus – Geschichte und Perspektiven, Bremen 2005.   FAU-Bremen (Hg.): Syndikalismus – Geschichte und Perspektiven. Ergänzungsband, Bremen 2006.   Freie Arbeiter-Union – IAA/ (Autorenkollektiv): Anarcho-Syndikalismus in Deutschland: Zur Geschichte der „Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften“ (1897-1919) und der „Freien Arbeiter Union Deutschlands“ (1919–1939). München: Selbstverlag, 1986   IWK Heft 4, Dez.1986, 22. Jg.: (Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung): darin: Cornelia Regin: „Vom Anarchismus des Gefühls zum Anarchismus der Überzeugung. Ein Beitrag zur Geschichte und Ideologie der anarchistischen und anarcho-syndikalistischen Jugendbewegung in der Weimarer Republik“.(Seite 471 ff.) Historische Kommission zu Berlin, Berlin 1986.ISSN 0046-8428.   IWK Heft 3, Sept.1989, 25. Jg.: (Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung) darin: Hans Manfred Bock: 'Anarchosyndikalismus in Deutschland. Eine Zwischenbilanz'.(S. 293ff.); Wolfgang Haug: 'Eine Flamme erlischt. Die FAUD (Anarchosyndikalisten) von 1932 bis 1937'. (S. 359ff.); Cornelia Regin: 'Hausfrau und Revolution. Die Frauenpolitik der Anarchosyndikalisten in der Weimarer Republik'. (S. 379ff.) Berlin 1989.   Ulrich Klan, Dieter Nelles: „Es lebt noch eine Flamme“: Rheinische Anarcho-Syndikalisten/-innen in der Weimarer Republik und im Faschismus. Grafenau-Döffingen Trotzdem Verlag, 1990. 380 Seiten. ISBN 3-922209-72-6   Rudolf Rocker: Prinzipienerklärung des Syndikalismus, o. J. Berlin (1920). (Neudruck bei Syndikat-A-Medienvertrieb)   Hartmut Rübner: Freiheit und Brot: Die Freie Arbeiter-Union Deutschlands: Eine Studie zur Geschichte des Anarchosyndikalismus. Berlin, Köln: Libertad, 1994. 320 Seiten. ISBN 3-922226-21-3.   Hartmut Rübner: FAUD, in: Hans-Jürgen Degen (Hg.), Lexikon der Anarchie/Encyclopaedia of Anarchy/Lexique de l’ anarchie, Bösdorf 1993 ff., Verlag Schwarzer Nachtschatten, Losebl.-Ausg., Erg.-Lfg. 1 (1994), 8 S.   Hartmut Rübner: Linksradikale Gewerkschaftsalternativen. Der Anarchosyndikalismus in Norddeutschland von den Anfängen bis zur Illegalisierung nach 1933, in: Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit, 14 (1996), S. 66–108, Germinal-Verlag Bochum   R. Theissen/P. Walter/J. Wilhelms: Anarchosyndikalistischer Widerstand an Rhein und Ruhr. (Antiautoritäre Arbeiterbewegung im Widerstand Bd. Januar) Meppen 1980.   Marcel van der Linden/Wayne Thorpe: Aufstieg und Niedergang des revolutionären Syndikalismus, in: „1999“ Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts. 3/1990 Hamburg. S. 9–38 und als Separatdruck/Broschüre 1992   Angela Vogel: Der deutsche Anarcho-Syndikalismus. Genese und Theorie einer vergessenen Bewegung, Berlin 1977   Axel Ulrich: Zum Widerstand der Freien Arbeiter-Union Deutschlands gegen den Nationalsozialismus. Ihr konspiratives Verbindungsnetz in Hessen und im Raum Mannheim/Ludwigshafen, in: Nassauische Annalen. Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung. Bd. 99. Wiesbaden 1988, S. 153–171. Weblinks   Helge Döhring: Übersicht und Einführung speziell zur FAUD   Freie Arbeiter Union Deutschlands (Anarcho-Syndikalisten) im Lexikon der Anarchie   Hartmut Rübner: Eine Analyse des revolutionären Syndikalismus in Deutschland   Siegbert Wolf: Der erste Prozeß des Volksgerichtshofs gegen die Freie Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) im Sommer 1936   FAUD (A.-S.): Freie Arbeiter Union Deutschland – Unser Weg (1932)   FAUD (A.-S.): Organisationsstatut der FAUD (A.-S.) Kollektivarbeit Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung erschien zuerst vor 40 Jahren. Ihre Verfasser, die Gruppe Internationaler Kommunisten in Holland, gehörten der Rätebewegung an. Arbeiterräte entstanden zuerst in der russischen Revolution von 1905. Nach Lenin hatten sie damals schon die Potenz der politischen Machtergreifung, obwohl sie sich tatsächlich noch auf dem Boden der bürgerlichen Revolution bewegten. Trotzki zufolge stellten die Arbeiterräte, im Gegensatz zu den politischen Parteien innerhalb der Arbeiterklasse, die Organisation des Proletariats selbst dar. Der Holländer Anton Pannekoek sah in der Rätebewegung die Selbstorganisation des Proletariats, die zu ihrer Klassenherrschaft und zur Übernahme der Produktion führen würde. Mit dem Erlöschen der russischen Revolution und dem Ende der Räte verlor sich jedoch das Interesse an dieser neuen Organisationsform, und die traditionellen politischen Parteien und Gewerkschaften hatten das Feld der Arbeiterbewegung wieder für sich allein. Erst die russische Revolution von 1917 brachte die Räte erneut in das Gesichtsfeld der internationalen Arbeiterbewegung; nun aber nicht nur als Ausdruck der spontanen Organisation revolutionärer Arbeiter, sondern auch als notwendige Maßnahme gegen die konterrevolutionäre Haltung der alten Arbeiterbewegung. Der erste Weltkrieg und der Zusammenbruch der Zweiten Internationale schloß die erste Periode der Arbeiterbewegung ab. Was schon lange zuvor ersichtlich war, nämlich die Eingliederung der Arbeiterbewegung in die bürgerliche Gesellschaft, wurde nun zur unumstößlichen Tatsache. Die Arbeiterbewegung war keine revolutionäre Bewegung, sondern eine Bewegung von Arbeitern, die sich innerhalb des Kapitalismus einzurichten suchte. Nicht nur die Führer, auch die Arbeiter, hatten kein Interesse an der Abschaffung des Kapitalismus und waren demzufolge mit der gewerkschaftlichen und politischen Tätigkeit innerhalb des Kapitalismus zufrieden. Die beschränkten Möglichkeiten der Parteien und Gewerkschaften innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft drückten zugleich die wirklichen Interessen der Arbeiter- I klasse aus. Nichts anders konnte auch erwartet werden, da ein sich progressiv entfaltender Kapitalismus jede wirkliche revolutionäre Bewegung ausschließt. Das Idyll einer möglichen Klassenharmonie im Wandel der kapitalistischen Entwicklung, wie es der reformistischen Arbeiterbewegung zugrunde lag, zerbrach jedoch an den dem Kapitalismus eigenen Widersprüchen, die sich in Krisen und Kriegen ausdrücken. Die revolutionäre Idee, vorerst das ideologische Gut einer radikalen Minderheit innerhalb der Arbeiterbewegung, erfaßte die breiten Massen, als das Elend des Krieges die wahre Natur des Kapitalismus bloßlegte; nicht nur die des Kapitalismus, sondern auch den wahren Charakter der im Kapitalismus groß gewordenen Arbeiterorganisationen. Die Organisationen waren den Händen der Arbeiter entglitten; sie existierten für die letzteren nur insoweit, als es notwendig war, die Existenz ihrer Bürokratien sicherzustellen. Da die Funktionen dieser Organisationen an die Erhaltung des Kapitalismus gebunden sind, können sie nicht umhin, sich jedem ernstlichen Kampf gegen das kapitalistische System entgegenzustellen. Eine revolutionäre Bewegung benötigt deshalb Organisationsformen, die über den Kapitalismus hinausweisen, die die verlorene Herrschaft der Arbeiter über ihre Organisationen wieder herstellen und die nicht nur Teile der Arbeiter, sondern die Arbeiter als Klasse umfassen. Die Rätebewegung war ein erster Versuch, eine der proletarischen Revolution entsprechende Organisationsform aufzubauen. Die russische wie die deutsche Revolution fanden ihren organisatorischen Ausdruck in der Rätebewegung. In beiden Fällen verstanden sie es jedoch nicht, die politische Macht zu behaupten und zum Aufbau einer sozialistischen Wirtschaft zu benutzen. Während das Versagen der russischen Rätebewegung unzweifelhaft auf die Rückständigkeit der sozialen und ökonomischen Umstände Rußlands zurückzuführen ist, beruhte das der deutschen Rätebewegung auf der Unwilligkeit der Masse der Arbeiter, den Sozialismus auf revolutionärem Wege zu verwirklichen. Die Sozialisierung wurde als Aufgabe der Regierung, nicht als die der Arbeiter selbst, angesehen, und die Rätebewegung dekretierte ihr eigenes Ende durch die Wiederherstellung der b II gerlichen Demokratie. Obwohl die bolschewistische Partei mit der Losung Alle Macht den Räten die politische Macht eroberte, hielt sie an der sozialdemokratischen Vorstellung fest, daß die Einführung des Sozialismus Sache des Staates, nicht der Räte sei. Während keine Art von Sozialisierung in Deutschland unternommen wurde, zerstörte der bolschewistische Staat das kapitalistische Privateigentum, ohne jedoch den Arbeitern Verfügungsrechte über ihre Produktion zuzusprechen. Soweit die Arbeiter in Frage kamen, war das Resultat eine Form von Staatskapitalismus, der die gesellschaftliche Lage der Arbeiter unverändert ließ und deren Ausbeutung durch eine sich neubildende privilegierte Klasse fortsetzte. Der Sozialismus war weder durch den sich reformierenden Staat der bürgerlichen Demokratie noch durch den neuen revolutionären bolschewistischen Staat zu verwirklichen. Abgesehen von der entweder objektiven oder subjektiven Unreife der Situationen, waren auch die zur Sozialisierung beschreitbaren Wege in Dunkelheit gehüllt. Im großen und ganzen war die sozialistische Theorie auf die Kritik des Kapitalismus und die Strategie und Taktik des Klassenkampfes innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft gerichtet. Insoweit man sich Gedanken über den Sozialismus machte, erschien der Weg zum und die Struktur des Sozialismus bereits im Kapitalismus vorgezeichnet. Selbst Marx hatte nur wenige prinzipielle Anmerkungen über den Charakter der sozialistischen Gesellschaft hinterlassen, da es in der Tat nicht sehr einträglich ist, sich mit der Zukunft über den Punkt hinaus zu beschäftigen, der schon in der Vergangenheit und Gegenwart eingeschlossen ist. Im Gegensatz zu späteren Auffassungen hatte Marx jedoch klar gemacht, daß der Sozialismus nicht Sache des Staates, sondern der Gesellschaft ist. Der Sozialismus, als Assoziation freier und gleicher Produzenten, benötigte den Staat, d.h. die Diktatur des Proletariats, nur zu seiner Etablierung. Mit der Konsolidierung des Sozialismus würde die als Staat aufgefaßte proletarische Diktatur verschwinden. In der reformistischen wie in der revolutionären sozialdemokratischen Vorstellung vollzog sich jedoch eine Identifizierung von staatlicher und gesellschaftlicher Kontrolle, und der Begriff der Assoziation freier und gleicher Produzenten verlor seine ursprüngliche Bedeutung. Die im Ka- III pitalismus bereits vorhandenen Kennzeichen der sozialistischen Zukunft wurden nicht in der möglichen Selbstorganisation der Produktion und Verteilung durch die Produzenten gesehen, sondern in den dem Kapitalismus eigentümlichen Konzentrations und Zentralisations-Tendenzen, die in der staatlichen Beherrschung der Gesamtwirtschaft ihren Abschluß finden würden. Diese Vorstellung des Sozialismus war von der Bourgeoisie aufgegriffen und dann als Illusion angegriffen worden. Das Ende einer großen geschichtlichen Bewegung wie die der Räte schließt nicht die Erwartung ihrer Wiederkehr in einer neuen revolutionären Situation aus. Aus Niederlagen kann zudem gelernt werden. Die Aufgaben der Rätekommunisten nach den verlorenen Revolutionen bestand nicht nur In der weiteren Propagierung des Rätesystems, sondern auch in der Herausarbeitung der Mängel, an denen die Bewegung gelitten hatte. Eine und vielleicht die größte Schwäche war, daß die Räte kein klares Bild über ihre Aufgaben in Bezug auf die sozialistische Organisation der Produktion und Verteilung hatten. Da die Rätebewegung in den Betrieben ihre erste Basis findet, muß diese auch zum Ausgangspunkt der gesellschaftlichen Koordinierung und Zusammenfassung des wirtschaftlichen Lebens werden, in dem die Produzenten selbst über ihr Produkt verfügen. Die Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung war der erste Versuch der westeuropäischen Rätebewegung, sich mit dem Problem dem sozialistischen Aufbaus auf der Basis der Räte vertraut zu machen. In Anbetracht der ungeheuren Schwierigkeiten, die der proletarischen Revolution im Wege stehen, mag diese sich größtenteils auf die Recheneinheit und Buchführung der kommunistischen Wirtschaft beziehende Schrift auf den ersten Blick als eigenartig erscheinen. Da man jedoch die Besonderheiten der zu erwartenden politischen Schwierigkeiten nicht voraussehen kann, bleibt die Beschäftigung damit immer spekulativ. Ein Gesellschaftssystem mag schwer oder leicht zu überwinden sein; es hängt von Umständen ab, die sich nicht voraussehen lassen. Aber diese Schrift beschäftigt sich nicht mit der Organisation der Revolu- IV tion, sondern mit den ihr nachfolgenden Problemen. Da sich auch der wirkliche Zustand der Wirtschaft im Gefolge der Revolution nicht erraten läßt, läßt sich auch kein Programm für die tatsächlich zu leistenden nächsten Arbeiten im voraus aufstellen. Die auftauchenden Notwendigkeiten selbst werden hier der bestimmende Faktor sein. Was sich im voraus diskutieren läßt, sind die Maßnahmen und Instrumente, die zur Herstellung bestimmter erwünschter gesellschaftlicher Verhältnisse notwendig sind, in diesem Fall Verhältnisse, die als kommunistisch gelten können. Das theoretische Problem der kommunistischen Produktion und Verteilung wurde durch die russische Revolution zu einer praktischen Frage. Aber die Praxis war bereits vorbestimmt durch den Begriff der zentralistischen staatlichen Kontrolle, die beide Flügel der Sozialdemokratie beherrschte. Die Diskussionen um die Realisierung des Sozialismus oder Kommunismus ließen das wirkliche Problem, das der Kontrolle der Arbeiter über ihre Produktion, außer Acht. Die Frage war, wie und mit welchen Mitteln eine zentral geleitete Planwirtschaft zu verwirklichen wäre. Da der Marxschen Theorie nach der Sozialismus keinen Markt, keine Konkurrenz, keine Preise und kein Geld kennt, ließ sich der Sozialismus nur als Naturalwirtschaft auffassen, in der mittels der Statistik die Produktion sowohl wie die Verteilung von einer Zentralstelle aus bestimmt wird. An diesem Punkt setzte die bürgerliche Kritik mit der Behauptung ein, daß ein rationales Wirtschaften unter solchen Umständen unmöglich wäre, da die gesellschaftliche Produktion und Verteilung eines Wertmaßstabes bedarf, so wie er in den Marktpreisen gegeben ist. Um nicht die diesbezügliche Diskussion in Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung vorwegzunehmen, sei hier nur gesagt, daß ihre Verfasser die Lösung des Problems der notwendigen Recheneinheit in der gesellschaftlichen durchschnittlichen Arbeitszeit als Grundlage für die Produktion V als auch für die Verteilung sehen. Die praktische Anwendbarkeit dieser Rechenmethode und der damit verbundenen öffentlichen Buchführung wird im Detail nachgewiesen. Da es sich nur um Mittel zur Erzielung bestimmter Resultate handelt, läßt sich logisch nichts dagegen einwenden. Die Anwendung dieser Mittel setzt natürlich den Willen zur kommunistischen Produktion und Verteilung voraus. Ist diese Voraussetzung gegeben, so stünde der Anwendung dieser Mittel nichts im Wege, obwohl sie nicht die einzigen dem Kommunismus angemessenen sein mögen. Marx zufolge ist jedes Wirtschaften Ökonomie der Zeit. Die Verteilung und Anordnung der gesellschaftlichen Arbeit zur Befriedigung der Produktion und Konsumtionsbedürfnisse macht auch im Kapitalismus die Arbeitszeit zum Maßstab der Produktion, wenn auch nicht zu dem der Verteilung. Den im Kapitalismus auftretenden Preisen liegen an Arbeitszeit gebundene Werte zugrunde, die sich allerdings nicht auf die einzelnen Waren beziehen, sondern auf die gesamtgesellschaftliche Produktion, in der alle Preise zusammen genommen nichts anderes sein können als der Gesamtwert der an Arbeitszeit gebundenen Produktion. Die Produktions- oder Ausbeutungsverhältnisse des Kapitalismus, die zugleich Marktverhältnisse sind, und die Akkumulation von Kapital als Motiv und Motor der kapitalistischen Produktion, schließen einen an Arbeitszeit gebundenen Austausch von Wertäquivalenten aus. Nichtsdestoweniger beherrscht das Wertgesetz die kapitalistische Ökonomie und ihre Entwicklung. Von dieser Tatsache ausgehend, kann leicht angenommen werden, daß auch im Sozialismus das Wertgesetz Geltung habe, da auch hier die Arbeitszeit in Betracht gezogen werden muß, um nationales Wirtschaften zu ermöglichen. Aber Arbeitszeit wird zum Arbeitszeitwert nur unter kapitalistischen Bedingungen, unter denen die notwendige gesellschaftliche Koordination der Produktion dem Markt und den privaten Besitzverhältnissen überlassen ist. Ohne kapitalistische Marktverhältnisse gibt es kein Wertgesetz, obwohl nach wie vor Arbeitszeit in Betracht gezogen werden muß, um die gesellschaftliche Produktion den gesellschaftlichen Bedürfnissen anzupassen. In diesem letzteren VI Sinne sprechen die Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung von der gesellschaftlichen durchschnittlichen Arbeitszeit. Die Verfasser weisen darauf hin, daß schon vor ihnen die Arbeitszeit als wirtschaftliche Recheneinheit vorgeschlagen wurde. Sie finden diese Vorschläge unzulänglich, da sie sich wohl auf die Produktion, jedoch nicht auf die Verteilung beziehen und damit dem Kapitalismus verwandt bleiben. Ihrer Ansicht nach müsse die gesellschaftliche durchschnittliche Arbeitszeit gleichzeitig für die Produktion und die Verteilung gelten. Hier liegt allerdings eine Schwierigkeit und Schwäche der Arbeitszeitrechnung vor, auf die schon Marx hingewiesen hat und auf die er keine andere Antwort fand als die der Abschaffung der Arbeitszeitrechnung in der Verteilung durch die Realisierung des kommunistischen Prinzips Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen - In seiner Kritik des Gothaer Programms der Deutschen Sozialdemokratischen Partei führte Marx aus, daß eine an Arbeitszeit gebundene gleiche Verteilung neue Ungleichheiten mit sich brächte, da die Produzenten mit Bezug auf ihre Arbeitsfähigkeiten und ihre privaten Verhältnisse unterschiedlich sind. Manche leisten in der selben Zeit mehr Arbeit als andere, manche hätten Familien zu erhalten und andere nicht, so daß sich die Gleichheit der an Arbeitszeit gebundenen Verteilung als Ungleichheit der Konsumtionsbedingungen auswirkt. Bei gleicher Arbeitsleistung und daher gleichen Anteil an dem gesellschaftlichen Konsumtionsfonds, schrieb Marx, erhält also der eine faktisch mehr als der andere, ist der eine reicher als der andere usw. Um alle diese Mißstände zu vermeiden, mußte das Recht, statt gleich. vielmehr ungleich sein. Obwohl er aber diese Mißstände für unvermeidbar in der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft hielt, sah er sie nicht als ein kommunistisches Prinzip an. Wenn die Autoren der Grundprinzipien behaupten. daß ihre Darlegungen nur die folgerichtige Anwendung der Marxschen Gedankengänge sind, so stimmt das nur insofern, als diese Ge- VII danken sich auf eine Phase der sozialistischen Entwicklung beziehen, in der noch das Prinzip des Austauschs von Äquivalenten vorherrscht, das aber im Sozialismus sein Ende finden soll. Für Marx war es selbstverständlich, daß die jedesmalige Verteilung der Konsumtionsmittel nur Folge der Verteilung der Produktionsbedingungen ist. Sind die sachlichen Produktionsbedingungen genossenschaftliches Eigentum der Arbeiter selbst, führte er aus, so ergibt sich ebenso eine von der heutigen verschiedene Verteilung der Konsumtionsmittel. Die möglichen Mißstände einer an Arbeitszeit gebundenen Verteilung konnten so nicht durch eine Trennung von Produktion und Verteilung bewältigt werden, da die Beherrschung der Produktion durch die Produzenten auch deren Beherrschung der Verteilung enthält, so wie die staatliche Bestimmung der Verteilung die Zuteilung von Oben auch die staatliche Kontrolle der Produktion in sich einschließt. Die Verfasser der Grundprinzipien betonen mit Recht, daß den Produzenten das volle Verfügungsrecht über ihre Produktion zugestanden werden muß, aber ob dieses Verfügungsrecht auch eine an gleiche Arbeitszeit gebundene Verteilung benötigt, ist eine andere Frage. In den hochentwickelten kapitalistischen Ländern, d.h. den Ländern, in denen sozialistische Revolutionen möglich sind, sind die gesellschaftlichen Produktivkräfte weit genug entwickelt, um einen Überfluß an Konsumtionsmitteln zu produzieren. Wenn man bedenkt, daß sicherlich mehr als die Hälfte aller kapitalistischen Produktion und der mit ihr verbundenen unproduktiven Tätigkeiten ( ganz abgesehen von den vorhandenen unangewandten Produktionsmöglichkeiten) nichts mit dem menschlichen Konsum zu tun haben, sondern einen Sinn nur innerhalb der irrationalen kapitalistischen Gesellschaft finden können, dann wird ersichtlich, daß unter den Bedingungen kommunistischer Wirtschaft ein Überfluß an Konsumtionsmitteln erzeugt werden kann, der eine Berechnung individueller Anteile überflüssig macht. VIII Die Aktualisierung des schon heute potentiell gegebenen Überflusses setzt allerdings eine völlige Umstellung der gesellschaftlichen Produktion auf die realen Bedürfnisse der Produzenten voraus. Die Umwandlung der Kapitalproduktion in eine den menschlichen Bedürfnissen zugewandte wird ohne Zweifel, nicht nur als Resultat der Abschaffung kapitalistischer Verhältnisse, eine Wandlung der industriell-technischen Entwicklung mit sich bringen und auch die bedrohte Zukunft menschlicher Existenz überhaupt sichern. Obwohl die Grundprinzipien mit Recht betonen, daß die Produktion von der Reproduktion kontrolliert wird, und obwohl der Ausgangspunkt der kommunistischen Produktion nur der Endpunkt der kapitalistischen Produktion sein kann, so benötigt die neue Gesellschaft dennoch eine ihr angepaßte Änderung der Produktionsziele und Produktionsmethoden. Die diesen Änderungen entsprechenden Maßnahmen und deren Resultate werden bestimmen, ob die Verteilung gemäß den Produktionsanteilen oder gemäß den sich verändernden wirklichen Bedürfnissen unternommen wird. Weiterhin ist es durchaus möglich, daß eine teilweise Zerstörung der Produktionsbasis, durch die mit dem gesellschaftlichen Wandel verbundenen Klassenkämpfe, die Organisation der Verteilung auf Grund der Arbeitszeit ausschlösse, ohne deshalb eine gleiche Verteilung -- z.B. durch Rationierung -zu unterbinden. Und diese gleiche Verteilung könnte ohne den Umweg über die Arbeitszeitrechnung durch die Arbeiter selbst direkt sichergestellt werden. Die Grundprinzipien gehen jedoch sozusagen von einem normalen kommunistischen Wirtschaftssystem aus, d.h. einem System, das sich bereits völlig durchgesetzt hat und sich in seiner neuen Gestalt reproduziert. Unter solchen Umständen erscheint eine an Arbeitszeit gebundene Verteilung als überflüssig. Allerdings umfaßt das von den Grundprinzipien geforderte exakte Verhältnis von Produzent und Produkt nur den individuellen Anteil der Produktion nach Abzug der Produktionsteile, die der öffentlichen Konsumtion und der Reproduktion der gesellschaftlichen Produktion zufallen. Der Prozeß der Soziali- IX sierung drückt sich in der Abnahme der individuellen und der Zunahme der öffentlichen Konsumtion aus, so daß die kommunistische Entwicklung doch zur Abschaffung der Arbeitszeitrechnung in der Verteilung tendiert. Die marktlose Wirtschaft erfordert den Zusammenschluß der Konsumenten in Genossenschaften mit direktem Anschluß an die Betriebsorganisationen, in denen die individuellen Wünsche mit Bezug auf die Konsumtion, und damit die Produktion, ihren kollektiven Ausdruck finden können. Leider ist dieser Teil der Grundprinzipien der am wenigsten ausgearbeitete, obwohl es gerade die angebliche Konsumtionsfreiheit der Marktwirtschaft ist, die als Apologie für den Kapitalismus ausgenutzt wird. Aber es ist durchaus möglich, die Konsumtionsbedürfnisse auch ohne den Markt festzustellen, und zwar weit besser als es der Markt kann, da in der kommunistischen Gesellschaft die durch die klassengebundene Verteilung gegebenen Verzerrungen der Marktnachfrage wegfallen. Auch in der Produktion. kann die Forderung nach exakter Berechnung nur zu einer Annäherung an eine solche führen, da der Arbeits- und Reproduktionsprozeß selbst dauernder Veränderung unterliegt. Die Feststellung der gesellschaftlichen durchschnittlichen Arbeitszeit für die Gesamtproduktion erfordert eine gewisse Zeit, und die einmal erreichte Ermittlung ist der tatsächlichen Reproduktion gegenüber stets veraltet. Die Exaktheit bezieht sich auf einen verflossenen Zeitpunkt, was sich jedoch nicht ändern läßt, wie sehr sich auch die Ermittlungszeit durch moderne Methoden und Instrumente verkürzen ließe. Die gesellschaftliche durchschnittliche Arbeitszeit ist steter Veränderung unterworfen. Dieser Mangel an Exaktheit ist jedoch kein ernsthaftes Hindernis zur Kalkulation der gesellschaftlichen Produktion und Reproduktion, sei es auf der gleichen, oder einer höheren Produktionsstufe. Nur wird die tatsächliche Situation von der berechneten abweichen, und erst in den Abweichungen ergibt sich der wirkliche Stand der Produktion. Bei der Arbeitszeitrechnung handelt es sich nicht um völlige Übereinstimmung der durch die Recheneinheit gewonnenen Produktionszeiten mit der tatsächlich angewandten durchschnittlichen Arbeitszeit und der daraus resultierenden Produktion, sondern um die Notwendigkeit der Anordnung und Verteilung der gesell- X schaftlichen Arbeit, die der Natur der Sache nach stets nur annäherungsweise erreicht werden kann. Mehr ist jedoch nicht für eine geplante kommunistische Wirtschaft erforderlich. Die Verfasser der Grundprinzipien wollen die Produktion so aufbauen, daß das exakte Verhältnis von Produzent und Produkt zur Grundlage des gesellschaftlichen Produktionsprozesses wird. Sie sehen dies als Kernfrage der proletarischen Revolution, da sich nur so der Aufbau eines sich über die Produzenten erhebenden Apparates vermeiden läßt. Nur durch die Festlegung des Verhältnisses von Produkt und Produzent ist die Aufgabe der Leiter und Verwalter hinsichtlich der Zuweisung des Produktes aufgehoben. Es geht hier also um die Selbstbestimmung der Verteilung durch die Produzenten als der unerläßlichen Voraussetzung der klassenlosen Gesellschaft. Die Festlegung des exakten Verhältnisses von Produzent und Produkt kann allerdings nur das Resultat einer gelungenen proletarischen Revolution sein, die das Rätesystem als Gesellschaftsorganisation realisiert. Ist das der Fall, dann mag jedoch die Notwendigkeit, den Produktionsprozeß von der Verteilung her zu meistern wegfallen. Man kann sich eine ungeregelte Verteilung der Konsumtionsgüter genau so gut vorstellen wie eine geregelte, ohne damit den Aufbau neuer privilegierter Schichten zu fördern. Andererseits ist die bloße Annahme einer Verteilungsnorm keine ausreichende Gewähr für den Aufbau einer kommunistischen Wirtschaft, die sich nicht nur an den Anteilen der Produzenten am gesellschaftlichen Produkt zu orientieren hat, sondern, darüber hinaus, an den materiellen Bedingungen der gesellschaftlichen Produktion. Im Kapitalismus wird die Verteilung nur scheinbar durch den Markt geregelt. Obwohl die Produktion über den Markt realisiert werden muß, wird der Markt selbst von der Kapitalproduktion bestimmt. Es ist die Produktion des Tauschwerts und die Akkumulation des Kapitals, die dem Produktionsprozeß zugrunde liegt. Die Gebrauchswertseite der Produktion ist nur Mittel zum Zweck der Tauschwertvermehrung. Die wirklichen Bedürfnisse der Produzenten können nur insoweit Berücksichtigung finden, als sie mit dem Akkumulationszwang zusammenfallen. Die Pro- XI duktion als Mehrwertproduktion in der Marktwirtschaft regelt sich automatisch durch die Tauschwertbeziehungen, die sich, wenn überhaupt, nur rein zufällig mit den Gebrauchswertbeziehungen decken. Die kommunistische Gesellschaft produziert für den Gebrauch und muß deshalb Produktion und Verteilung den realen gesellschaftlichen Bedürfnissen anpassen. Um irgendeiner Art von Verteilungsnorm nachzugehen, muß vorerst die Produktion unter bewußte Kontrolle gebracht werden. Der Verteilung geht die Produktion voraus, selbst wenn sie von den Bedürfnissen der Konsumenten bestimmt wird. Aber die Organisation der Produktion erfordert weit mehr als die exakte Bestimmung des Verhältnisses von Produzent und Produkt; sie benötigt die Kontrolle der gesamtgesellschaftlichen Bedürfnisse und Produktionskapazitäten in deren physischen Formen und eine ihnen entsprechende Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit. Man wird so auch im Rätesystem nicht umhin können, Institutionen aufzubauen, die einen Überblick über die gesamtgesellschaftlichen Notwendigkeiten und Möglichkeiten erlauben. Die so gewonnenen Eindrücke müssen in Entschlüsse ausmünden, wie sie von den einzelnen Betriebsorganisationen nicht gefaßt werden können. Der Aufbau des Rätesystems muß so gestaltet werden, daß die Produktion zentral reguliert werden kann, ohne damit die Selbstbestimmung der Produzenten zu beeinträchtigen. Aber selbst im einzelnen Betrieb werden die Beschlüsse der Arbeiter den Räten zur Ausführung überlassen, ohne daß dadurch notwendigerweise eine Herrschaft der Räte über die Arbeiter entstehen muß. Auch im größeren Rahmen, bis zu dem der nationalen Produktion, lassen sich organisatorische Maßnahmen treffen, die die Selbständigkeit der überbetrieblichen Institutionen mit deren Kontrolle durch die Produzenten verbinden. Aber diese Auflösung des Gegensatzes von Zentralismus und Förderalismus, der auch von den Grundprinzipien angestrebt wird, läßt sich wohl nicht allein durch die bloße Registrierung des Wirtschaftsprozesses in der allgemeinen gesellschaftlichen Buchhaltung herstellen, sondern bedarf höchstwahrscheinlich besonderer, dem Rätesystem eingegliederter Betriebe, die sich mit dem Problem der Wirtschaftsgestaltung speziell befassen. XII Die Zurückweisung einer zentralen Produktionsverwaltung und der damit verbundenen staatlich-regulierten Verteilung durch die Grundprinzipien beruht auf den in Rußland gemachten Erfahrungen, die sich allerdings nicht auf das Rätesystem, sondern auf den Staatskapitalismus beziehen. Aber selbst hier ist die Produktion und Verteilung nicht das Werk der Planungsorgane, sondern das des Staates, der sich der Planungsorgane als Mittel bedient. Es ist die politische Diktatur des Staatsapparates über die Arbeiter, nicht die Planung der Wirtschaft, die zu neuer Ausbeutung geführt hat, an der dann auch die Planungsbehörden teilnehmen können. Ohne die politische Diktatur des Staatsapparates brauchten sich die Arbeiter nicht der zentralen Produktionsverwaltung und Verteilung zu unterwerfen. Die erste Voraussetzung kommunistischer Produktion und Verteilung ist dann, daß sich kein Staatsapparat neben oder über den Räten erhebt, daß die staatliche Funktion, d.h. die Unterdrückung konterrevolutionärer Bestrebungen, von den im Rätesystem organisierten Arbeitern selbst ausgeübt wird. Eine Partei, als Teil der Arbeiterklasse, die nach der Staatsmacht strebt und sich als Staatsapparat nach der Ergreifung der Macht etabliert. wird ohne Zweifel versuchen, die Produktion und Verteilung unter ihre Kontrolle zu bringen und diese Kontrolle zur Erhaltung der gewonnenen Position zu reproduzieren. Ist die Kontrolle der Mehrheit durch die Minderheit gegeben, dann läßt sich auch die Ausbeutung fortsetzen. Das Rätesystem kann so keinen Staat neben sich zulassen, ohne sich selbst zu entmachten. Aber ohne diese abgesonderte staatliche Gewalt kann sich jede Planung der Produktion und Verteilung nur durch das Rätesystem durchsetzen. Die Planungsorgane werden selbst zu Betrieben, neben anderen Betrieben, die sich im Rätesystem zu einer Einheit verschmelzen. In diesem Zusammenhang muß noch erwähnt werden, daß auch die Arbeiterklasse in ihrer Zusammensetzung dauernder Veränderung unterliegt. Die Grundprinzipien gehen von dem in den Betrieben zusammengefaßten industriellen Proletariat als der gesellschaftlich ausschlaggebenden Klasse aus. Das auf den Betrie- XIII ben basierende Rätesystem bestimmt die Gesellschaftsformation und zwingt andere Klassen, z.B. die selbständigen Bauern, sich in das Wirtschaftssystem einzugliedern. In den letzten 40 Jahren hat sich die Arbeiterklasse, d.h. die Schicht der Lohn- und Gehaltsempfänger, nun zwar sehr vermehrt, aber relativ zur Masse der Bevölkerung hat sich die Zahl der Fabrikarbeiter vermindert. Ein Teil der Angestellten wirkt zusammen mit den Handarbeitern in den Betrieben, ein anderer Teil arbeitet in den Bereichen der Verteilung und Verwaltung. Durch die Verwissenschaftlichung der Produktion können auch die Universitäten zum Teil als Betriebe angesehen werden, da die Produktivkräfte der Wissenschaft die der direkten Arbeit tendenziell überholen. Und obwohl im Kapitalismus Mehrwert immer nur Mehrarbeit sein kann, was auch immer der Stand der Wissenschaft sein mag, stellt sich der gesellschaftliche Reichtum im Kommunismus nicht in wachsender Arbeit, sondern in der dauernden Reduzierung der notwendigen Arbeit durch die den kapitalistischen Schranken entronnenen wissenschaftlichen Entwicklung dar. Die Produktion vergesellschaftet sich zunehmend, durch die Einbeziehung stets breiterer Massen in die Produktionsprozesse, die nun nur noch in engster Verbindung und durch die gegenseitige Durchdringung aller Arten von Arbeiten zu existieren vermögen. Kurz gesagt, der Begriff Arbeiterklasse weitet sich aus; er umschließt schon heute mehr als vor 40 Jahren. Die sich verändernde Arbeitsteilung enthält schon in sich selbst die Tendenz der Auflösung der Berufsscheidungen, der Trennung geistiger von körperlicher Arbeit, von Fabrik und Büro, von Arbeitern und Vorgesetzten; ein Prozeß, der durch die Einbeziehung aller Produzenten in die nunmehr gesellschaftlich orientierte Produktion zu einem Rätesystem führen kann, das tatsächlich die ganze Gesellschaft umfaßt und damit der Klassenherrschaft ein Ende setzt. Man kann das Mißtrauen der Grundprinzipien gegenüber den Führern, Fachleuten und Wissenschaftlern, die sich anmassen, Produktion und Verteilung beherrschen zu müssen, durchaus teilen, ohne deshalb zu verkennen, daß, abgesehen von den Führern, die Fachleute und Wissenschaftler selbst Produzenten sind. Gerade das Rätesystem stellt sie allen anderen Produzenten XIV gleich und beraubt sie der im Kapitalismus ausgeübten Sonderstellung. Da gesellschaftliche Rückfälle immer möglich sind, ist es jedoch klar, daß auch ein Rätesystem sich zersetzen kann, z. B. durch ein mangelnden Interesse der Produzenten an ihrer Selbstbestimmung und der daraus folgenden Übertragung der Rätefunktionen an Instanzen innerhalb des Rätesystems, die sich den Produzenten gegenüber verselbständigen. Diese Gefahr glauben die Verfasser durch die neue Produktionsberechnung als allgemeiner Grundlage der Produktion abwenden zu können. Aber so wie diese Produktionsberechnung erst eingeführt werden muß, kann die von ihr erwartete Wirkung durch eine Reihe von Modifikationen wieder verloren gehen. In der Darstellung der Verfasser erscheint die einmal erreichte Einführung jedoch als ausreichend. Sie wehren sich gegen die im Staatskapitalismus übliche Anordnung durch Personen, die durch den sachlichen Gang der Produktion und deren Kontrolle durch die Reproduktion ausgeschaltet werden soll. Das neue System der Produktion und Verteilung selbst garantiert hier die kommunistische Gesellschaft, obwohl in Wirklichkeit der sachliche Gang der Produktion immer nur durch Personen gewährleistet wird. Auch im Kapitalismus gibt es einen sachlichen Gang der Produktion, nämlich den durch das Marktgesetz gegebenen, dem alle Personen unterworfen sind. Es ist hier das System, das die Menschen beherrscht. Dieses fetischistisch gesehene System verdeckt allerdings nur die realen sozialen Verhältnisse der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Hinter den ökonomischen Kategorien stehen Klassen und Personen, und wo immer der Fetischismus des Systems durchbrochen wird, tritt der offene Kampf der Klassen und Personen ans Tageslicht. Obwohl der Kommunismus auch ein Gesellschaftssystem ist, so ist es doch nicht über die Menschen, sondern durch die Menschen gesetzt. Es hat kein Eigenleben, dem sich die Personen zwangsweise anzupassen haben; der sachliche Gang der Produktion wird durch Personen angeordnet allerdings von den im Rätesystem vereinten Personen. XV Diese wenigen vorgebrachten Einwendungen müssen hier genügen, um anzudeuten, daß es sich bei den Grundprinzipien nicht um ein abgeschlossenes Programm handelt, sondern um einen ersten Versuch, dem Problem der kommunistischen Produktion und Verteilung näher zu kommen. Und obwohl die Grundprinzipien sich mit einem noch in der Zukunft liegenden gesellschaftlichen Zustand befassen, sind sie zugleich ein geschichtliches Dokument, das einen Stand der Diskussion in der Vergangenheit beleuchtet. Ihre Verfasser waren an die vor einem halben Jahrhundert aufgeworfenen Fragen der Sozialisierung gebunden, und manche ihrer Argumente haben in der Zwischenzeit einen Teil ihrer damaligen Aktualität verloren. Der damalige Streit der Naturalwirtschaftler mit den Repräsentanten der Marktwirtschaft, in den die Grundprinzipien durch die Ablehnung beider Gruppen eingriffen, hat inzwischen sein Ende gefunden. Im allgemeinen wird der Sozialismus überhaupt nicht mehr als eine neue Gesellschaft, sondern als eine Modifikation des Kapitalismus begriffen. Die Marktwirtschaftler sprechen von der geplanten Marktwirtschaft, und die Planwirtschaftler bedienen sich der Marktwirtschaft. Die Anordnung der Produktion vom Gebrauchswert her schließt nicht die ungleiche Verteilung der Konsumgüter durch Preismanipulationen aus. Die ökonomischen Gesetze werden als unabhängig von den Gesellschaftsformationen aufgefaßt, und man streitet sich höchstens noch darüber, welche Mischung von Kapitalismus und Sozialismus ökonomischer wäre. Das ökonomische Prinzip, d.h. das Prinzip der wirtschaftlichen Rationalität, das angeblich allen Gesellschaftsordnungen zugrunde liegt und das sich als maximale Verwirklichung wirtschaftlicher Ziele mit den geringsten Kosten darstellt, ist in Wirklichkeit nichts anderes als das ordinäre kapitalistische Prinzip der Profitproduktion, die stets nach dem Höchstmaß der Ausbeutung strebt. Das ökonomische Prinzip der Arbeiterklasse ist demzufolge nichts anderes als die Abschaffung der Ausbeutung. Dieses ökonomische Prinzip, von dem die XVI Grundprinzipien ausgehen, ist ihnen bis heute vorbehalten geblieben. Abgesehen von der offensichtlichen Ausbeutung der Arbeiter in den sogenannten sozialistischen Ländern, dreht sich das akademische Geschwätz um den Sozialismus in den kapitalistischen Ländern nur um staatskapitalistische Systeme. Das sozialistische Eigentum an den Produktionsmitteln wird immer als Staatseigentum verstanden, die administrative Zuteilung von Gütern, mit oder ohne Markt, bleibt immer die Sache zentraler Entscheidungen. Wie im Kapitalismus ist die Ausbeutung zweifach gesichert, durch die fortgesetzte Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln und durch die Monopolisierung der politischen Gewalt. Und wo man den Arbeitern eine Art Mitbestimmungsrecht zugestanden oder aufgedrängt hat, fügt der Marktmechanismus der staatlichen Ausbeutung die Selbstausbeutung hinzu. Was auch immer die Schwächen der Grundprinzipien sein mögen, in Anbetracht dieser Situation bleiben sie heute wie morgen der Ausgangspunkt aller ernsthaften Diskussionen und Bemühungen um die Verwirklichung der kommunistischen Gesellschaft. Februar 1970, Paul Mattick XII Statt des Vorwortes Nachstehendes Werk, eine gemeinsame Arbeit der "G r u p p e Internationaler Kommunisten" , zeigt in Zusammenstellung eine so starke Einheitlichkeit, daß man hier direkt von einem, wirklich positiven Kollektivwerk sprechen kann. Diese Arbeitsgrundlage der Schrift, die praktisch beweist, welches Ergebnis die gemeinsame Arbeit zielbewußter Kräfte haben kann, macht sie gerade deshalb so wertvoll. Die "Gruppe Internationaler Kommunisten" stellt, in der Nachkriegsgeschichte der Arbeiterbewegung, mit ihrem Werk erstmalig praktische Aufbaumöglichkeiten der Produktion und Verteilung im Sinne der Bedarfswirtschaftsordnung zur Debatte. Sie zieht alle gesammelten Erfahrungen der bisherigen Versuche der Arbeiterklasse und ihrer Wortführer zusammen, um so praktisch die Zusammenbruchserscheinungen derselben untersuchen zu können, und gleichzeitig an Hand der bisherigen Ergebnisse notwendige neue Wege aufzuzeigen. Sie behandelt nicht nur die Umstellungs- und Aufbaunotwendigkeiten der industriellen Faktoren, sondern zeigt ebenfalls die notwendige Verbindung zur Landwirtschaft auf. Die Verfasser eben damit einen klaren Einblick in die inneren Zusammenhänge und den gesetzmäßigen Verlauf des "gesamten" Wirtschaftskörpers. Die einfache Sprache, die jedem verständlichen Gedankengänge, ermöglichen es, daß jeder Arbeiter, der nachfolgende Seiten liest, auch den Inhalt verstehen wird. Die starke Sachlichkeit der Schrift bietet sämtlichen Richtungen der Arbeiterklasse eine breite Diskussionsmöglichkeit. Da auch wir innerhalb unserer Reihen die aufgezeigten Möglichkeiten erst gründlichst diskutieren müssen, behalten wir uns unsere Stellungnahme zu nachstehendem Inhalt für später vor. Eins wollen wir aber dieser Schrift mit auf den Weg geben: Seinen Erfolg wird das Werk: Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung dann verbürgen, wenn es die Arbeiterklasse bewußt durcharbeitet und die gesammelten Erkenntnisse in ihrem Kampf um ihre Existenz praktisch in Anwendung bringt. Der Kampf ist schwer, doch das Ziel ist es wert! Berlin 1930. Allgemeine Arbeiter-Union (Revolutionäre Betriebsorganisation .Deutschland).

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Unter Rätekommunismus versteht man eine marxistische Bewegung, deren Idee des Kommunismus vor allem vom Gedanken der kollektiven Selbstverwaltung und Basisdemokratie in Arbeiterräten geprägt ist. Inhaltsverzeichnis 1 Konzeption 2 Geschichte und Einfluss 3 Literatur 4 Weblinks Konzeption Nach Meinung der Rätekommunisten sollen in der kommunistischen Revolution die Arbeiterräte an die Stelle der Regierung treten, jedoch die Ausbildung eines autoritären Staates verhindern. Die entsprechende Gesellschaftsform wird Rätedemokratie oder Räterepublik genannt. Der Rätekommunismus steht in unversöhnlichem Gegensatz zur kapitalistischen Gesellschaft, zum Parlamentarismus und auch zum autoritären Marxismus-Leninismus. Die Sowjetunion war in ihrer Anfangszeit stark von Idee und Praxis der Rätedemokratie getragen („Alle Macht den Räten“, lautete eine Parole der Bolschewiki), bis sich spätestens unter der Herrschaft des Stalinismus die Macht der Räte schrittweise auflöste. Die Herrschaftsausübung im Rätekommunismus erfolgt maßgeblich in den Räten, welche als Exekutive, Legislative aber auch als Judikative in einem agieren. Die Vertreter dieser Organe unterliegen einem imperativen Mandat, d. h., sie können jederzeit von der Wählerschaft wieder abgewählt werden. Es besteht Rechenschaftspflicht, wodurch eine radikale Demokratie gewährleistet ist. Angehörige des Bürgertums haben in der Regel keinen Zugang zu den Räten, wie sie bereits aus den Sowjets in der russischen Revolution ausgeschlossen waren. Als Vorbild einer rätedemokratischen Organisationsstruktur gilt insbesondere die bereits von Karl Marx euphorisch begrüßte Pariser Kommune, in die Herausbildung der Idee des Rätekommunismus sind aber auch syndikalistische Konzeptionen eingeflossen. Geschichte und Einfluss Ihre Blütezeit erlebte die Idee der Rätedemokratie vor allem in Deutschland mit der Novemberrevolution im Jahr 1918 und in deren unmittelbarer Folgezeit. Im engeren Sinne rätekommunistische Organisationen entwickelten sich im Zuge der nach der Novemberrevolution zunehmenden Fraktionskämpfe innerhalb der deutschen Linken. Nach dem Ausschluss vieler Linksabweichler aus der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) unter Führung von Paul Levi Ende 1919 gründete sich die Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD) sowie die linke Richtungsgewerkschaft Allgemeine Arbeiter-Union Deutschlands (AAUD). Diese Organisationen verfügten zum Zeitpunkt ihrer Gründung über etwa hunderttausend Mitglieder – und hatten damit mehr Mitglieder als die KPD. Die wichtigste inhaltliche Differenz zwischen KPD und Rätekommunisten bestand in der Einschätzung der Führungsrolle der Partei, die von den Rätekommunisten zugunsten des Gedankens der Selbstverwaltung vehement abgelehnt wurde. Auch die Einschätzung der Entwicklung in der jungen Sowjetunion war wesentlich verschieden: Die Rätekommunisten bezeichneten die Parteiherrschaft in der Sowjetunion nach der Entmachtung der Räte als Staatskapitalismus, womit sie die Tatsache in den Blick rückten, dass die bloße Verstaatlichung der Produktionsmittel noch nicht zu ihrer Vergesellschaftung geführt habe. Stattdessen habe der Staat die Funktion der Kapitalistenklasse innerhalb der Gesellschaft übernommen. Eine Befreiung von der Lohnarbeit habe nicht stattgefunden. Bestanden ursprünglich noch gute Kontakte zur III. Kommunistischen Internationale, kam es bald darauf zum Bruch. Lenin griff die Rätekommunisten in seinem Buch Der linke Radikalismus, die Kinderkrankheit im Kommunismus scharf an. Ende 1921 trennten sich Teile der AAUD von der KAPD und existierten als Allgemeine Arbeiter-Union – Einheitsorganisation (AAUE) weiter. Die rätekommunistische Bewegung verlor nach den erneut aufflammenden revolutionären Unruhen 1923 in Deutschland zunehmend an Einfluss. Rätekommunistische Organisationen in der Endphase der Weimarer Republik und im Widerstand gegen den Faschismus waren die Roten Kämpfer, die Kommunistische Räte-Union und die Kommunistische Arbeiter Union Deutschlands (KAUD). Rätekommunistische Ideen hatten auch in den Niederlanden, Großbritannien sowie Bulgarien und Dänemark Einfluss in der sozialrevolutionären Bewegung. Zu den wichtigsten Theoretikern des Rätekommunismus zählen Anton Pannekoek (Pseudonym Karl Horner), Paul Mattick, Karl Korsch, Otto Rühle, Herman Gorter, Willy Huhn, Cajo Brendel, Sylvia Pankhurst sowie die späteren Nationalbolschewisten Heinrich Laufenberg und Fritz Wolffheim. Auch die spätere Neue Linke um 1968 sowie insbesondere die Situationisten in Frankreich waren von rätekommunistischen Ideen beeinflusst. Literatur Anton Pannekoek: Arbeiterräte. Texte zur sozialen Revolution. Germinal Verlag, Fernwald (Annerod) 2008. ISBN 978-3-88663-490-3. Anton Pannekoek: Workers’ Councils. (Introduction by Noam Chomsky) AK Press Oakland and Edinburgh 2003. Cajo Brendel: Anton Pannekoek. Denker der Revolution Freiburg 2001. (Memento vom 1. Oktober 2010 im Internet Archive) Herman Gorter: Offener Brief an den Genossen Lenin Eine Antwort auf Lenins Broschüre: "Der „Linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus" (1920) Andreas G. Graf (Hrsg.), Anarchisten gegen Hitler. Anarchisten, Anarcho-Syndikalisten, Rätekommunisten in Widerstand und Exil. Berlin: Lukas-Verlag 2001, ISBN 3-931836-23-1 Frits Kool (Hrsg.): Die Linke gegen die Parteiherrschaft. (Band 3 der 'Dokumente der Weltrevolution') Olten und Freiburg 1970. Gottfried Mergner (Hrsg.): Gruppe Internationale Kommunisten Hollands. Reinbek 1971. H. (FAU-Bremen): Syndikalismus, kommunistischer Anarchismus und Rätekommunismus. Eine Erwiderung auf die rätekommunistische Kritik am „Gewerkschaftsfetischismus“ und am kommunistischen Anarchismus Erich Mühsams, Bremen 2005. Hans Manfred Bock: Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918 bis 1923. Zur Geschichte und Soziologie der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (Syndikalisten), der Allgemeinen Arbeiter-Union Deutschlands und der Kommunistischen Arbeiter-Partei Deutschlands (Marburger Abhandlungen zur Politischen Wissenschaft, Bd. 13). Meisenheim/Glan 1969. Hans Manfred Bock: Geschichte des ‘linken Radikalismus’ in Deutschland. Ein Versuch. Frankfurt/M. 1976. Philippe Bourrinet: The Dutch and German Communist Left: A Contribution to the History of the Revolutionary Movement., 1988–1998 ders.: Lexikon des deutschen Rätekommunismus 1920-1960, Paris, 1. Juli 2017, Verlag moto proprio, 我的摩托车出版社 W.I. Lenin: Der „Linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus (1920); in: W.I. Lenin Werke Band 31, Berlin (DDR): Dietz Verlag, 1964 Die Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD) war eine kommunistische Partei während der Weimarer Republik, die linke, antiparlamentaristische und rätekommunistische Positionen vertrat. Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Siehe auch 3 Literatur 4 Weblinks Geschichte Die KAPD wurde am 4./5. April 1920 von Mitgliedern des linken Flügels der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) gegründet, die auf dem Heidelberger Parteitag der KPD (20.–23. Oktober 1919) durch die Zentrale Leitung unter Paul Levi ausgeschlossen worden waren. Viele von ihnen waren vor der KPD-Gründung in der Gruppe Internationale Kommunisten Deutschlands aktiv. Ihr Hauptziel war die sofortige Beseitigung der bürgerlichen Demokratie und die Konstituierung einer Diktatur des Proletariats, wobei eine Diktatur einer Partei nach russischem Vorbild verworfen wurde. Die KAPD lehnte, anders als die KPD, insbesondere die leninistische Organisationsform des sogenannten demokratischen Zentralismus, die Teilnahme an Wahlen und die Mitarbeit in reformistischen Gewerkschaften ab. Eine wichtige Rolle für die KAPD spielten die niederländischen kommunistischen Theoretiker Anton Pannekoek und Herman Gorter, die nach dem Vorbild der KAPD in den Niederlanden die KAPN ins Leben riefen, die freilich niemals die Bedeutung der Schwesterpartei in Deutschland erreichte. Hintergrund für die Gründung der KAPD war der Kapp-Putsch. Er hatte nach Ansicht des linken Flügels in der KPD gezeigt, dass das Verhalten der KPD-Parteileitung gleichbedeutend mit einem Aufgeben des revolutionären Kampfes war, da die KPD eine mehrmals wechselnde Haltung zum Generalstreik eingenommen und im Bielefelder Abkommen vom 24. März 1920 einer Entwaffnung der Roten Ruhrarmee zugestimmt hatte. Die Berliner Bezirksgruppe rief zum 3. April 1920 einen Kongress der linken Opposition ein. Dort wurde beschlossen, sich als die „Kommunistische Arbeiter-Partei Deutschlands“ zu konstituieren. Die Delegierten vertraten nach Schätzungen 80.000 KPD-Mitglieder. Die neu gegründete Partei trat für die Ablehnung der parlamentarischen Tätigkeit und den aktiven Kampf gegen den bürgerlichen Staat ein. Sie arbeitete in der Folgezeit eng mit der AAUD zusammen. Hochburgen der Partei lagen in Berlin, Hamburg, Bremen und Ostsachsen, wo sich jeweils ein Großteil der KPD-Mitglieder der neuen Partei anschloss. Im August 1920 erfolgte der Ausschluss der Hamburger Gründungsmitglieder Heinrich Laufenberg und Fritz Wolffheim, die nationalbolschewistische Ideen vertreten hatten. Zwei Monate später wurde auch Gründungsmitglied Otto Rühle ausgeschlossen. Die KAPD war 1920 bis 1921 kooptiertes Mitglied der III. Internationale. 1921 kooperierte die KAPD bei der Märzaktion wieder mit der KPD. Ausgelöst wurde dies durch den Einmarsch von Truppen der Weimarer Republik in das mitteldeutsche Industriegebiet, wobei KAPD und KPD befürchteten, dass das Militär die Betriebe besetzen wollte. Ende 1921 kam es zu einer weiteren Absplitterung, als sich Teile der AAUD um Rühle, Franz Pfemfert und Oskar Kanehl von der KAPD trennten und die AAUE gründeten. Nach 1921, als die KAPD noch über 43.000 Mitglieder verfügte, verlor die die Partei mehr und mehr an Bedeutung und spaltete sich 1922 in die „Berliner Richtung“ und die „Essener Richtung“ um Alexander Schwab, Arthur Goldstein, Bernhard Reichenbach und Karl Schröder. Hauptgrund war die Ablehnung der Beteiligung an betrieblichen Tageskämpfen in einer als revolutionär eingeschätzten Situation durch die Essener. Die Gründung einer Kommunistischen Arbeiter-Internationale (KAI) 1922 durch die KAPD der „Essener Richtung“ (die „Berliner Richtung“ lehnte diesen Schritt als verfrüht ab), gemeinsam mit den Gruppen um Herman Gorter in den Niederlanden, um Sylvia Pankhurst in Britannien und weiteren Gruppen in Belgien, Bulgarien und unter Exilanten aus der Sowjetunion war wenig erfolgreich. Die KAI, deren Sekretariat von der deutschen Sektion dominiert wurde, zerfiel bis 1925. 1926/1927 kam es zum kurzfristigen Zusammenschluss der KAPD (Berliner Richtung) mit der Entschiedenen Linken um den aus der KPD ausgeschlossenen Abgeordneten Ernst Schwarz. Diese Fusion führte innerhalb der KAPD zu einer weiteren Spaltung, da Schwarz sein Abgeordnetenmandat nicht niederlegte, wie es eine Minderheit der Mitglieder forderte, die sich nach dem darauf erfolgten Austritt um die Zeitschrift Vulkan gruppierte. Widerstandsgruppen gegen den Nationalsozialismus, die in der Tradition der KAPD standen, waren die Roten Kämpfer und die Kommunistische Räte-Union im Raum Braunschweig. Genuine KAPD-Widerstandsgruppen gab es im Ruhrgebiet, in Leipzig (wo die örtliche KAPD-Gruppe in ihrer Druckerei auch Materialien für andere Widerstandsgruppen erstellte), in Königsberg und im litauischen Memel. Weitere bekannte Mitglieder der KAPD waren die Schriftsteller Franz Jung, Adam Scharrer und Friedrich Wendel, der Künstler Heinrich Vogeler, der Pressefotograf John Graudenz, der Anthropologe Paul Kirchhoff, die Anführer bewaffneter kommunistischer Partisanengruppen 1920/1921 Max Hölz und Karl Plättner, die rätekommunistischen Theoretiker und Aktivisten Fritz Rasch, Paul Mattick und Jan Appel sowie August Merges, der 1918/1919 kurzzeitig Präsident der Sozialistischen Republik Braunschweig war. Siehe auch Liste linkskommunistischer Organisationen in der Weimarer Republik Literatur Hans Manfred Bock: Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918–1923. Zur Geschichte und Soziologie der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (Syndikalisten), der Allgemeinen Arbeiter-Union Deutschlands und der Kommunistischen Arbeiter-Partei Deutschlands (= Marburger Abhandlungen zur Politischen Wissenschaft. Bd. 13, ISSN 0542-6480). Hain, Meisenheim am Glan 1969 (Zugleich: Marburg, Universität, Dissertation, 1968). Hans Manfred Bock: Geschichte des „linken Radikalismus“ in Deutschland. Ein Versuch (= Edition Suhrkamp 645). Suhrkamp, Frankfurt am Main 1976, ISBN 3-518-00645-2. Die Allgemeine Arbeiter-Union – Einheitsorganisation (AAUE, auch AAU-E) war eine antiparlamentarische und antiautoritäre rätekommunistische Organisation in der Weimarer Zeit. Inhaltsverzeichnis 1 Entstehung 2 Fraktionskämpfe und Zerfall 3 Reorganisationsversuch 4 Siehe auch 5 Literatur 6 Weblinks Entstehung Die AAUE konstituierte sich im Oktober 1921, nachdem es in der KAPD und der ihr angeschlossenen betrieblichen Organisation Allgemeine Arbeiter-Union Deutschlands (AAUD) zu verstärkter Kritik an der Unterordnung der AAUD unter die KAPD gekommen war. Ansatz der Kritik war es, eine politisch-betriebliche Einheitsorganisation aufzubauen. Der neuen Organisation schlossen sich wesentliche Teile der AAUD-Strukturen in Ostsachsen und Nordwestdeutschland sowie Minderheiten in anderen Regionen an; bekannte Gründungsmitglieder waren u. a. der ehemalige Reichstagsabgeordnete Otto Rühle, der Herausgeber der Aktion, Franz Pfemfert, der Dichter Oskar Kanehl und der bekannte Strafverteidiger in politischen Prozessen, James Broh. Die AAUE gab die Wochenzeitungen Einheitsfront und Betriebsorganisation heraus und verfügte mit der Aktion über eine ihr nahestehende Zeitschrift. Durch die Verbindung mit der Aktion bewegten sich zeitweise auch Schriftsteller wie Max Herrmann-Neiße und Carl Sternheim im Umfeld der Organisation. Über die Mitgliederzahlen gibt es keine genaueren Angaben, die von Pfemfert genannten anfänglichen 60.000 Mitglieder dürften jedoch übertrieben gewesen sein. Fraktionskämpfe und Zerfall Schnell kam es in der neuen Organisation zu Fraktionskämpfen und zentrifugalen Tendenzen, welche bis Mitte der 1920er Jahre zur Aufspaltung in mehrere, alle den Namen AAUE tragenden Gruppen führte. Die drei letztgenannten Organisationen dürften in der Endphase der Weimarer Republik alle jeweils einige hundert Mitglieder gehabt haben: „Heidenauer Richtung“ um die Zeitschrift Revolution. Sie pflegte eine individualistische und organisationsfeindliche Ausrichtung und löste sich konsequenterweise 1923 selbst auf. „Zwickauer Richtung“ um die Zeitschrift Weltkampf. Sie trat für die Beteiligung an Betriebsratswahlen und Annäherung an anarchosyndikalistische Positionen ein, 1923 erfolgt der Anschluss an die Freie Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD). „2. Zwickauer Richtung“ um die Wochenzeitungen Proletarischer Zeitgeist (Zwickau, Auflage im Jahr 1932 von 2.400 Exemplaren) und Von Unten Auf (Hamburg). Sie zeigte Nähe zu anarchistischen Positionen und starke Intellektuellenfeindlichkeit. 1924 schloss sich dieser Organisation eine Gruppe ehemaliger KPD-Mitglieder um Ketty Guttmann an und konnte sich bis zur teilweisen Zerschlagung während der Zeit des Nationalsozialismus halten. Die Hamburger Gruppe um Otto Reimers gab in der Illegalität bis Mitte 1934 den Mahnruf heraus, anderen lokalen Gruppen gelang es teilweise die NS-Zeit zu überdauern. „Frankfurt-Breslauer Richtung“ um die Zeitschrift Die Proletarische Revolution. Sie stand in Verbindung zu den rätekommunistischen Ideen der Individualpsychologie Alfred Adlers. Sie arbeitete eng mit Otto Rühle zusammen und war aktiv in der proletarischen Freidenkerbewegung. 1931 Zusammenschluss mit Teilen der AAUD und der KAPD zur Kommunistischen Arbeiter Union Deutschlands (KAUD). Im Kopf der KAUD-Zeitschrift Der Kampfruf, die bis 1933 in Berlin erschien, bezeichnet sich die Gruppe auch als KAU-RBO (Revolutionäre Betriebsorganisation). Ehemalige Mehrheitsfraktion der alten AAUE um Franz Pfemfert und Oskar Kanehl. 1926/1927 zeitweiliger Zusammenschluss mit einer ultralinken KPD-Abspaltung um Iwan Katz und dem Industrieverband für das Verkehrsgewerbe zum Spartakusbund linkskommunistischer Organisationen (Spartakusbund Nr. 2). Sie gab Einheitsfront und später Spartakus und Die Weltrevolution heraus, zerfiel aber 1932/33. Reorganisationsversuch Versuche der Strömung um den Proletarischen Zeitgeist, nach 1945 in der Zwickauer Region die Organisation wiederherzustellen, wurden 1948 repressiv unterbunden, der leitende Aktivist der Gruppe, Wilhelm Jelinek, starb 1952 unter ungeklärten Umständen im Zuchthaus Bautzen. Anarchismus (abgeleitet von altgriechisch ἀναρχία anarchia ‚Herrschaftslosigkeit‘; Derivation aus α privativum und ἀρχή arche ‚Herrschaft‘) ist eine politische Ideenlehre und Philosophie, die Herrschaft von Menschen über Menschen und jede Art von Hierarchie als Form der Unter­drückung von Freiheit ablehnt. Dieser wird eine Gesell­schaft entgegengestellt, in der sich Individuen auf freiwilliger Basis selbst­bestimmt und föderal in Kollektiven verschiedener Art wie Kommunen als kleinster Einheit des Zusammen­lebens, Genossenschaften und Syndikaten als Basis der Produktion zusammen­schließen.[1] Es gibt innerhalb des Anarchismus viele teils sehr unterschiedliche Strömungen. Grundsätzlich bedeutet Anarchie die Aufhebung hierarchischer Strukturen – bis hin zur Auflösung staatlicher Organisiertheit der menschlichen Gesellschaft. Im Mittelpunkt stehen Freiheit, Selbstbestimmung, Gleichberechtigung, Selbstverwirklichung der Individuen und kollektive Selbstverwaltung. Der Anarchismus wird in einem sozialrevolutionären Sinn von seinen Vertretern als Synthese zwischen individueller Freiheit wie im Liberalismus und sozialer Verantwortung für die Gemeinschaft wie im Sozialismus verstanden. Menschen, die nach diesen Prinzipien leben oder eine herrschaftsfreie Gesellschaft anstreben, werden als Anarchisten bezeichnet. Bisweilen wird im deutschsprachigen Raum das Adjektiv libertär (deutsch: freiheitlich) als Synonym für „anarchistisch“ benutzt. Inhaltsverzeichnis 1 Strömungen 1.1 Klassifikationen 1.2 Grundformen 1.3 Weitere Strömungen 1.4 Neuere Ansätze 2 Geschichte 2.1 Vorläufer 2.2 Anarchismus versus Marxismus 2.3 Die Propaganda der Tat 2.4 Frühes 20. Jahrhundert 2.5 Spanische Republik 2.6 Deutschland während der NS-Diktatur 2.7 Nachkriegszeit 2.7.1 Deutsche Demokratische Republik 2.7.2 Bundesrepublik Deutschland 2.7.3 International 2.8 Anarchismus in der Gegenwart 2.8.1 Organisationen 2.8.2 Periodika 3 Aktionsformen 4 Symbole 5 Siehe auch 6 Literatur 6.1 Einführungen 6.2 Klassiker 6.3 Moderne Ansätze 6.4 Kritik am Anarchismus 7 Medien 8 Weblinks 9 Einzelnachweise Strömungen Klassifikationen Peter Kropotkin Ein wichtiges Element des Anarchismus ist der innere Pluralismus, der sich in verschieden ausgeformten Strömungen zeigt, die sich meist in ihren Schwerpunkten ergänzen.[2] Alle Strömungen stimmen in der Ablehnung des Staates – besonders in seiner Ausprägung als Monarchie und Diktatur –, des Militarismus und Klerikalismus überein. In der wissenschaftlichen Sekundärliteratur werden unterschiedliche Bestimmungen und Abgrenzungen von Richtungen des Anarchismus diskutiert.[3] Schon 1894 unterschied Rudolf Stammler zwischen „individualistischen“ und „kollektivistischen“ Varianten anarchistischer Ideen.[4] In einer Darstellung von 1937 unterschied Albert Weisbord weiterführend folgende Richtungen:[5] liberal-anarchistisch libertär (Godwin) mutualistisch (Proudhon) amerikanisch-liberal (Thoreau, Warren, Tucker) kommunistisch-anarchistisch kollektivistisch (Bakunin) kommunistisch (Kropotkin, Most, „Chicagoer Märtyrer“). Franz Neumann[6] schlug 1977 eine dann vielfach rezipierte Unterscheidung folgender Strömungen vor: Individual-Anarchismus (Godwin, Stirner, Bellegarrigue) Sozialer Anarchismus (Proudhon, Landauer) Kollektiver Anarchismus (Bakunin) Kommunistischer Anarchismus (Kropotkin, Cafiero, Most) Anarcho-Syndikalismus (Pelloutier, Monatte, CNT) „Neuer Anarchismus und Studentenbewegung“ In ähnlicher Weise unterschied 1972 Erwin Oberländer[7] Individualistischer Anarchismus (Bellegarigue, Tucker, Landauer) Kollektivistischer Anarchismus (Bakunin, früher Kropotkin, Adhémar Schwitzguébel) Kommunistischer Anarchismus (Cafiero, Kropotkin, Reclus, Merlino, Goldman, Most) „Anarchismus und Gewerkschaftsbewegung“ (Pelloutier, Monatte, Machnowschtschina, CNT u. a.) „Anarchismus heute“ (Colin Ward, William O. Reichert) David L. Miller hat in seiner Monographie von 1984[8] außerdem einen „philosophischen Anarchismus“ von „individualistischem“ und „kollektivistischem“ Anarchismus unterschieden, was eine Kategorie für Autoren wie Stirner oder Godwin bereitstellt, deren Wirken den üblichen Ansetzungen einer „anarchistischen Bewegung“ vorausliegt (eine solche wird in der Sekundärliteratur zumeist nicht vor den 1860er-Jahren für greifbar gehalten). Peter Marshall hat 1992 eine einflussreiche, geographisch gegliederte Darstellung vorgelegt, die auch nichtwestliche Traditionen insbesondere des Daoismus, aber auch z. B. Gandhi einbezieht, ebenso „amerikanische Individualisten und Kommunisten“ und auch auf Verbindungen von Anarchismus und der „Neuen Rechten“ eingeht.[9] Auch der Einbezug bestimmter Klassiker ist sowohl unter den Vertretern anarchistischer Ideen wie in der Sekundärliteratur vielfach strittig, so etwa bezüglich Stirners.[10] Grundformen Michail Bakunin. (Photographie von Félix Nadar, ca. 1860) Aus der Geschichte gewerkschaftlicher Organisation und gegenseitiger Unterstützung (frz. assistance mutuelle) hat sich der Mutualismus herausgebildet, der eine soziale Symbiose in einem herrschaftsfreien System zum Ziel hat. Der Mutualismus wurde vor allem von Pierre-Joseph Proudhon geprägt und enthält revolutionäre Elemente. Im Zentrum steht jedoch eine Reform von Kredit- und Währungsordnung mit dem Ziel der Beseitigung des Profits.[11] Das von Proudhon entworfene 'Konzept des anarchistischen Föderalismus' baut auf die Vernetzung kommunaler Strukturen und gilt auch in nachfolgenden Konzepten des Anarchismus als Grundprinzip. Der kollektivistische Anarchismus basiert vor allem auf den Ideen Michail Bakunins und Mitgliedern der Juraföderation. Statt des Privateigentums an Produktionsmitteln sollen die Arbeitsmittel im Besitz überschaubarer Kollektive sein und von den Produzenten selbst kontrolliert und verwaltet werden.[12] Arbeiter sollen von demokratischen Institutionen nach der Zeit ihrer Arbeit vergütet werden. Diese Einkünfte sollten verwendet werden, um Artikel in einem kommunalen Markt zu erwerben. Föderalistische Strukturen sollen den Staat und andere zentralistische Institutionen vollständig ersetzen.[13] Anhänger des kommunistischen Anarchismus fordern einen vollständigen Bruch mit dem Kapitalismus und die Abschaffung des Geldes.[14] Die direkte Entlöhnung soll ersetzt werden durch den freien Zugang zum gemeinsamen Arbeitsprodukt.[15] Peter Kropotkin, als bedeutendster Theoretiker des kommunistischen Anarchismus, wendet sich gegen den ökonomischen Wert im Allgemeinen; sei es Geld, Arbeit oder Ware. Er sieht das Privateigentum als Grund für Unterdrückung und Ausbeutung und schlägt stattdessen eine umfassende Kollektivierung vor.[16] Der individualistische Anarchismus ist eine im 19. Jahrhundert in Nordamerika entstandene Lehre, die das Individuum und seine Interessen als Mittelpunkt der Gesellschaft ansieht, der keinen Gegensatz zu den vorgenannten sozial orientierten Formen darstellt und in Opposition zum Kollektivismus steht. Die individualistische Strömung wurde in den USA vor allem von Benjamin Tucker entwickelt. In Deutschland vertrat ihn der Anarchist und Schriftsteller John Henry Mackay, der sich hauptsächlich auf Benjamin Tucker und Max Stirner berief.[17] Der Individualanarchismus wird häufig als Extremform des Liberalismus beschrieben. Der Gegensatz zwischen Individualismus-Egoismus und Kollektivismus-Altruismus stellt eine wichtige anarchistische Auseinandersetzung dar. Weitere Strömungen Voltairine de Cleyre, eine Vertreterin des Anarchismus ohne Adjektive Wegen der Vielzahl sich inhaltlich überschneidender, im Detail jedoch durchaus verschiedener anarchistischer Ausprägungen wird für den Anarchismus im Allgemeinen, wie ihn etwa Fernando Tarrida del Mármol vertreten hat, der Begriff „Anarchismus ohne Adjektive“ verwendet. Der Ausdruck wird entweder übergreifend auf Anarchismus angewandt, wenn eine spezifische Klassifizierung abgelehnt wird, oder wenn sich dessen Anhänger den verschiedenen Strömungen gegenüber tolerant zeigen. Die bekannteste und international am stärksten organisierte Richtung ist der Anarchosyndikalismus. Seine Idee ist die Zusammenführung der Lohnabhängigen in Gewerkschaften, die sich von Tarifparteien durch die Unterstützung des revolutionären Syndikalismus unterscheiden. Die mit fast zwei Millionen Mitgliedern bislang größte anarchosyndikalistische Gewerkschaft war im Spanien der 1930er Jahre die Confederación Nacional del Trabajo (CNT), die nach der Zeit des Franquismus reorganisiert wurde. Für die rein gewaltfreie Umsetzung steht der Anarchopazifismus (auch gewaltfreier Anarchismus). Hier geht es primär um das Zusammenführen des Anarchismus mit der gewaltfreien Aktionstheorie bzw. mit Theorien der gewaltfreien Revolution. Gewaltkritik wird in diesem Zusammenhang auch als wichtiger Teil anarchistischer Herrschaftskritik verstanden. Auch christliche Anarchisten treten zumeist strikt pazifistisch auf. Sie verneinen die Herrschaft der Kirchen und Priester wie des Staates und glauben, dass Freiheit direkt durch die Lehre Jesu spreche. Eine Strömung des jüdischen Anarchismus, zum Beispiel vertreten von Bernard Lazare, entstand aus den Erfahrungen verschiedener antisemitischer Pogrome des späten 19. Jahrhunderts. Die auch als ‘anarchistischer Zionismus’ bezeichnete Idee war ein jüdisches Gesellschaftssystem ohne Staat. Durch die Zusammenarbeit mit zionistischen Sozialisten wurden viele jüdische Siedlungen in Palästina (Kibbuzim) unter britischem Mandat nach anarchistischen Vorstellungen organisiert.[18] Weitere Denkrichtungen entstanden durch die Verbindung von anarchistischen Ideen mit anderen religiösen Denktraditionen, wie beispielsweise dem Islam, dem Buddhismus und dem Hinduismus. Aus Reflexion über die Niederlage des Anarchismus in der Ukraine wurde der Plattformismus entwickelt, der eine stärkere Gemeinschaft, deutliche Verständigung über die ideologische Ausrichtung und Verbindlichkeit in der Praxis fordert. Ein ähnliches Modell vertritt der Especifismo in Südamerika. Der Insurrektionalismus oder aufständische Anarchismus ist eine revolutionäre Theorie und Praxis innerhalb der freiheitlichen Bewegung, die sich formalen Organisationen wie Basisgewerkschaften und Föderationen entgegenstellt, die auf einem politischen Programm und regelmäßigen Treffen basieren. Stattdessen befürworten Insurrektionisten Direkte Aktion und Zusammenarbeit in informellen kleinen autonomen Basisgruppen, den Affinity Groups (Bezugsgruppen). Der Anarchokapitalismus tritt für eine vom freien Markt, von freiwilligen Übereinkunften und von freiwilligen vertraglichen Bindungen geprägte Gesellschaft ein, die vollständig auf staatliche Institutionen und Eingriffe verzichtet. Die Verhältnisbestimmung dieser Ideen und ihrer Vertreter und Vorläufer zu anderen Formen des Anarchismus ist umstritten. Die Anarchist FAQ schreibt dazu, dass der Anarchokapitalismus seinen Ursprung im Liberalismus, nicht im Anarchismus habe und die Geschichte der ökonomischen Ideen des Anarchismus ignoriere, die immer antikapitalistisch gewesen seien. Zwischen anarchokapitalistischen Theoretikern und der anarchistischen politischen Bewegung bestehe keine Verbindung.[19] Dagegen sieht Stefan Blankertz den Anarchismus allgemein als radikale Form des Liberalismus.[20] Neuere Ansätze Emma Goldman Die französische Variante des Anarchismus von 1968, der Situationismus, zeigte sich in der Studentenbewegung und den Mai-Unruhen. Forderungen waren unter anderem Abschaffung der Ware, der Arbeit, der Hierarchien, Aufhebung der Trennung zwischen Kunst und Leben. Der Anarchafeminismus ist eine Wortschöpfung der 1970er Jahre und vereint den Radikalfeminismus mit der anarchistischen Idee. Es gibt in der anarchistischen Bewegung schon Vorläufer, so hat Emma Goldman den Kampf um weibliche Gleichberechtigung mit dem um Herrschaftsfreiheit verbunden. Die Begriffssetzung Neo-Anarchismus beschreibt die historische Erscheinungsform im Zuge der 68er-Bewegung in Deutschland, in der der theoretische Anarchismus wiederentdeckt wurde und die Hierarchiefreiheit in progressiven und „linken“ Gruppen Einzug hielt. Öko-Anarchismus ist die Bezeichnung für die Verknüpfung von Ablehnung der Herrschaft von Menschen über Menschen mit der Ablehnung der Herrschaft des Menschen über die Natur. Eine bedeutende Strömung in Nordamerika ist der Primitivismus, der die Rückkehr zu vorindustriellen Formen des Wirtschaftens propagiert. „Folk-Anarchy“, auch der „kleines-a-Anarchismus“, sind in den USA entwickelte „postlinke“ anarchistische Strömungen. Diese Ansätze finden sich in Netzwerken wie CrimethInc. und der Curious George Brigade, die sich gegen nostalgische Theorie- und Personenbezüge richten und eine „Do it yourself“-Praxis (DIY) fordern: „eine Anarchie geschaffen von gewöhnlichen Menschen, die außergewöhnliche Leben leben, genannt Folk-Anarchy.“[21] Postanarchismus stellt keine einheitliche Theorie dar, sondern ist ein Sammelbegriff für postmoderne, postfeministische und poststrukturalistische Debatten aus anarchistischer Perspektive. Das Präfix „Post“ steht für eine Infragestellung und Verwerfung von einigen Grundannahmen des klassischen Anarchismus, nicht für ein Aufgeben anarchistischer Ziele. Das äußerst positive Menschen- und Weltbild des Anarchismus des 19. Jahrhunderts gilt dem Postanarchismus als überholt. Ihm zeigt sich Herrschaft als verändert und erweitert dar, der Ausbeutung wird die unterwerfende Subjektivierung zur Seite gestellt, der positive Machtbegriff Foucaults adaptiert. Der Postanarchismus beschäftigt sich zudem mit Postkolonialismus und Antirassismus.[22] Libertärer Kommunalismus[23] ist ein reformistisch orientierter praxisnaher Entwurf für demokratische Selbstverwaltung von Gemeinden auf der Basis von Ökologie, Freiwilligkeit und Föderalismus und wurde in den kurdischen Gebieten zur Zeit des syrischen Bürgerkriegs umgesetzt. Das englischsprachige begriffliche Pendant zu libertär, libertarian, bezeichnet seit den 1950er Jahren eine Verbindung von Anarchismus und Kapitalismus.[24] Geschichte Vorläufer → Hauptartikel: Vorläufer des Anarchismus Diogenes von Sinope auf einem Gemälde von John William Waterhouse. Diogenes gehörte zu den frühen Gesellschaftskritikern und predigte die Bedürfnislosigkeit als Grundlage der Freiheit. Der Historiker Peter Marshall bezeichnet den Daoismus als „ersten klaren Ausdruck anarchistischer Sensibilität“ und dessen Hauptwerk Daodejing von Laozi als „einen der größten anarchistischen Klassiker.“[25] Die Taoisten lehnten Regierungen ab und strebten ein Leben in natürlicher und spontaner Harmonie an, wobei der Einklang des Menschen mit der Natur eine bedeutende Rolle spielte. Der Daoismus entwickelte im Laufe der Zeit ein regelrechtes System politischer Ethik und verzichtete auf Kulte und die Ausbildung einer Priesterkaste. Der Daoismus war damit auch die wichtigste Gegenströmung zum autoritären und bürokratischen Konfuzianismus, der später zur chinesischen Staatsreligion wurde.[26] Erste Vorläufer des Anarchismus in Europa finden sich in der griechischen Philosophie der Antike. Der Historiker Max Nettlau sieht die bloße Existenz des Wortes „An-Archia“ als Beleg, „dass Personen vorhanden waren, die bewußt die Herrschaft, den Staat verwarfen.“[27] Ab dem 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung predigte Diogenes von Sinope (ca. 400 – 324 v. Chr.) die Rückkehr zum naturgemäßen Leben. Er und die Schüler der von ihm begründeten Schule der Kyniker sahen die ursprüngliche Bedürfnislosigkeit als erstrebenswerten Zustand. Soziale Harmonie würde laut den Kynikern anstelle von gegenseitigem Kampf und gesellschaftlichem Konflikt bestehen, da sich diese aus der Gier des Menschen nach materiellem Besitz und dem Streben nach Ehre ergeben.[28] In den Lehren von Zenon von Kition (ca. 333–262 v. Chr.) sieht der Historiker Georg Adler zum ersten Mal in der Weltgeschichte die Ideen des Anarchismus entwickelt.[29] Zenon, der Begründer der Stoa, war ein großer Kritiker von Platons Ideal einer Gesellschaft, die mit absoluter Staatsmacht zu einem moralischen Zusammenleben finden sollte. Zenon entwarf im Gegensatz zu Platon sein eigenes Ideal einer freien staatenlosen Gemeinschaft, die der Natur des Menschen besser entsprechen würde. Anstatt dem schriftlichen Gesetz zu folgen sollten die Menschen durch innere Einsicht ihren wahren natürlichen Trieben folgen. Dies würde die Menschen zur Liebe zum Mitmenschen und zur Gerechtigkeit führen. Wie in der äußeren Natur Eintracht, Harmonie und Gleichgewicht herrschen, so würde dies dann auch in der menschlichen Gesellschaft gelten. Daraus folgt die Negation des Gesetzes, der Gerichte, der Polizei, der Schule, der Ehe, des Geldes, der staatlichen Religion und des Staates. Über alle Völkergrenzen hinaus würde der Mensch in vollkommenster Gleichheit leben. Jeder sollte freiwillig gemäß seinen Fähigkeiten arbeiten und je nach Bedürfnis konsumieren dürfen.[29] Im späten Altertum und im Mittelalter gab es verschiedene verfolgte Sekten und Ketzer mit freiheitlichen Merkmalen. Anarchistische Elemente sind im Mittelalter jedoch erstmals beim Häretiker Amalrich von Bena und seinen Anhängern, den Amalrikanern, dokumentiert. Ähnliches gilt für die christlich-mystischen Brüder und Schwestern des freien Geistes im 12. und 13. Jahrhundert, die sich außerhalb der Gesellschaft und ihrer Gesetze stellten.[30] Zu den Vorläufern des Anarchismus wird Étienne de La Boétie (1530–1563) gezählt, der im Alter von 18 Jahren das grundlegende Werk Discours de la servitude volontaire ou le Contr'un (deutsch: Von der freiwilligen Knechtschaft oder das Gegen Einen [den Monarchen]) schrieb. Die Grundfrage des Discours de la servitude lautet: Woher kommt es, dass sich ein ganzes Volk von einem einzigen Menschen quälen, misshandeln und gegen seinen Willen leiten lässt. Monarchen stützen sich nicht nur auf Repression, um ihre Herrschaft zu erhalten. Viel wichtiger ist für Étienne de la Boétie der Fakt, dass sich die Untertanen freiwillig in ihre Knechtschaft ergeben und so erst dem einen Menschen die Macht übertragen. Würden also die Untertanen dem Monarchen ihren Dienst verweigern, hätte dieser wiederum keine Macht mehr. Eine Grundkritik des Anarchismus, das Herr-/Knechtschaftsverhältnis in der Gesellschaft, hat La Boétie erstmals für die Neuzeit formuliert.[31] Im Jahr 1649, einem Jahr großer sozialer Unruhen, entstand in England unter dem Einfluss von Gerrard Winstanley die religiös-anarchistische Bewegung der Diggers. Die bestehende gesellschaftliche Ordnung und die Herrschaft der Großgrundbesitzer versuchten die Diggers durch die Gründung kleiner, landwirtschaftlicher Kommunen auf egalitärer Basis aufzubrechen. Durch freiwilligen Zusammenschluss aller einfachen Leute sollten die Herrschenden ausgehungert werden, wenn sie sich nicht den Kommunen anschließen. Schon 1651 waren die Kolonien der gemeinschaftlich wirtschaftenden Dissidentengruppe durch Obrigkeit und lokale Grundbesitzer wieder zerstört. William Godwin war ein englischer Gelehrter und Kritiker der autoritären Entwicklung der Französischen Revolution. 1793 formulierte er in seinem Hauptwerk Enquiry concerning political justice, dass jedwede obrigkeitliche Gewalt als ein Eingriff in die private Urteilskraft anzusehen sei. Mit seinen Ideen hatte Godwin bereits nahezu alle wesentlichen Punkte der anarchistischen Theorie vorweggenommen.[32] Anarchismus versus Marxismus Illustration aus der französischen Ausgabe von Der Anarchismus von Kropotkin, 1913 Aus den Ideen der Aufklärung, verbunden mit den sich verstärkenden radikalen Strömungen des revolutionären Liberalismus seit der französischen Revolution von 1789 und verschiedenen frühsozialistischen Ansätzen, entwickelten sich die Vorstellungen des modernen Anarchismus etwa zeitgleich mit den kommunistischen Ideen von Weitling und Marx und zunehmend in gegenseitiger Abgrenzung voneinander. Die politischen Differenzen zwischen Kommunisten und Anarchisten führten zu historisch konfliktträchtigen Situationen in der Arbeiterbewegung und der politischen Linken insgesamt; Auseinandersetzungen, die bis in die Gegenwart andauern. Erst Pierre-Joseph Proudhon bezeichnet sich selbst als Anarchist und stellt die wesentlichen Elemente des Anarchismus in seinem Werk Qu’est-ce que la propriété? ou recherches sur le principe du droit et du gouvernement (1840) (dt.: Was ist das Eigentum? Untersuchungen über den Ursprung und die Grundlagen des Rechts und der Herrschaft) zusammen. Er formuliert: „Eigentum ist Diebstahl“,[33] wobei er unter Eigentum solches verstand, das die Voraussetzung für Einkommen ohne Arbeit ist. Damit stellte er Privateigentum an Produktionsmitteln, Mietshäusern, Wertpapieren und Ähnlichem ins Zentrum seiner Kritik an den herrschenden politischen und sozialen Verhältnissen im Kapitalismus. Dieses sei ebenso wie der bürgerliche Staat, der es schützen soll, direkt und unmittelbar zu bekämpfen und durch selbstorganisierte Formen des Gemeineigentums zu ersetzen. In einem Briefwechsel setzte sich Proudhon mit Karl Marx auseinander. Dabei stellte sich heraus, dass sie beide Themen wie Macht und Freiheit des Individuums oder die Rolle des Kollektivs als revolutionäres Subjekt sehr verschieden bewerteten. Proudhon argumentierte stärker mit philosophisch-ethischen Prinzipien, während Marx diese als bloß moralische Ideale kritisierte und eine wissenschaftliche Analyse der Widersprüche zwischen Kapital und Arbeit vermisste. Proudhons Anhänger Michail Bakunin (kollektivistischer Anarchismus) und später Pjotr Alexejewitsch Kropotkin (kommunistischer Anarchismus) verbanden seine Theorien mit der Agitation für eine soziale Revolution, die zur radikalen Umwälzung der Besitzverhältnisse notwendig sei. Bakunin lehnte die führende Rolle einer revolutionären Kaderpartei jedoch ebenso ab wie staatliche Hierarchien und verwarf damit Marx’ Forderung nach der Gründung kommunistischer Parteien ebenso wie die These von der „Diktatur des Proletariats“, die zur klassenlosen Gesellschaft führen solle. Er glaubte nicht, dass die Arbeiter zuerst die politische Staatsmacht erringen müssten, damit der Sozialismus aufgebaut und der Staat absterben könne, sondern wollte diesen direkt abschaffen. Diese Konzeption nannte er „antiautoritären Sozialismus“; ein Konzept, das von den Marxisten als „kleinbürgerlich-pseudorevolutionäre Ideologie“ abgelehnt wurde. Zwischen 1864 und 1872 waren Anarchisten und Marxisten in der noch aus einer Vielzahl politisch divergierender Gruppen der Arbeiterbewegung bestehenden Internationalen Arbeiterassoziation (IAA) organisiert. Als der ideologische Konflikt zwischen den Anhängern von Bakunin einerseits und denen von Marx andererseits eskaliert war, wurde Bakunin 1872 auf Betreiben von Marx aus der IAA ausgeschlossen. Der ideologische Konflikt, der 1876 zur Auflösung der IAA (heute auch unter der Bezeichnung „Erste Internationale“ bekannt) geführt hatte, markiert die erste grundlegende Zäsur in der Geschichte des Sozialismus und der internationalen Arbeiterbewegung – noch vor deren weiteren Aufspaltung am Wechsel vom 19. zum 20. Jahrhundert in einen reformorientierten (sozialdemokratischen) und einen revolutionären (kommunistischen) Flügel. Seit dem Auseinanderbrechen der IAA grenzen sich – Rudolf Rocker zufolge – Anarchisten in folgenden Punkten grundsätzlich vom Marxismus ab: Ablehnung der von Hegel geprägten marxistischen „Schicksalstheorien“. In der Geschichte gebe es überhaupt keine Zwangsläufigkeiten („historischen Notwendigkeiten“, „Zwangsläufigkeit des historischen Geschehens“), „sondern nur Zustände, die man duldet und die in Nichts versinken, sobald die Menschen ihre Ursachen durchschauen und sich dagegen auflehnen“ (Rocker). Ablehnung des „Historischen Materialismus“. Aus den wirtschaftlichen Verhältnissen könnte nicht alles „politische und soziale Geschehen“ erklärt werden. Der Anarchismus begreift die Menschen als handelnde Individuen, lehnt die Betrachtung von Menschen als Masse ab. Grundsätzliche Ablehnung eines Staates. Die Produktionsmittel von der Privatwirtschaft einem Staat zu übergeben, „führt lediglich zu einer Diktatur durch den Staat“ (Rocker). Ablehnung von Gesetzen und Gesetzgebern. Entscheidungen werden dezentral, kollektiv und im Konsens entschieden. „Nur das freie Übereinkommen, ‚könnte‘ das einzige moralische Band aller gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen untereinander sein“ (Rocker). Ablehnung einer Übergangsphase vom Kapitalismus zum Sozialismus. Der „Wille zur Macht“ müsse in einer freien Gesellschaft grundsätzlich bekämpft werden. radikale Ablehnung aller kapitalistisch geprägten Begriffe: Sämtliche Wertbegriffe, wie wir sie heute kennen, sind samt und sonders kapitalistische Begriffe. Luft, Sonnenlicht, Regen, Erdfeuchtigkeit, Humus, kurz, viele der wichtigsten Produktionsfaktoren sind, weil sie nicht monopolisiert werden konnten, heute kapitalistisch wertlos. (…) Mit dem Aufhören des Eigentumsbegriffes an Produktionsmitteln hört auch jeder Wertbegriff für den einzelnen auf. (Pierre Ramus, Franz Barwich) Einzelne Vertreter bezweifeln ebenfalls das Konzept der sozialen Klasse wie Errico Malatesta auf dem Kongress in Amsterdam. Die Propaganda der Tat Der französische Anarchist Ravachol war ein Verfechter der Propaganda der Tat durch Gewalt: Als Rache für getötete Demonstranten verübte er Bombenanschläge und wurde dafür guillotiniert. → Hauptartikel: Propaganda der Tat Ab den späten 1870er Jahren wurden anarchistische Aktionen und Taten mit Vorbildcharakter als Propaganda der Tat bezeichnet. Sie sollten die Gesellschaft „aufwecken“ und in der Bevölkerung Sympathien schaffen, um somit als Mittel für politische und soziale Veränderung zu dienen. Durch die relative Häufung von Attentaten zum Ende des 19. Jahrhunderts in verschiedenen Ländern kam es in der öffentlichen Meinung zu einer Reduktion des Anarchismus auf Terroranschläge, eine bis heute verbreitete Ansicht. Zu den publizistischen Unterstützern der Anschläge durch die Narodniki auf Zar Alexander II. zählten beispielsweise auch einzelne sozialdemokratische Politiker im Deutschen Reich wie Wilhelm Hasselmann und Johann Most. Durch den 1880 erfolgten Ausschluss dieser beiden Protagonisten der sozialrevolutionär-anarchistischen Fraktion der SPD-Vorläuferpartei SAP versuchte die deutsche Sozialdemokratie, sich während der Geltungsdauer des repressiven Sozialistengesetzes ihres tendenziell anarchistischen Flügels zu entledigen. Hasselmann und Most, die beispielsweise in der in London herausgegebenen und illegal im Deutschen Kaiserreich verbreiteten zunächst sozialdemokratischen, dann anarchistischen Zeitschrift Freiheit auch zu offener Gewalt gegen die antisozialistische Unterdrückungspraxis der deutschen Regierung unter Reichskanzler Otto von Bismarck aufgerufen und der SAP-Führung eine zu gemäßigte Haltung in ihrer bloß verbalen Systemopposition vorgeworfen hatten, setzten nach ihrem Parteiausschluss ihre sozialrevolutionäre Agitation im US-amerikanischen Exil fort. Schon einige Jahre zuvor hatten symbolträchtige Anschläge auf Kaiser Wilhelm I. und die Könige von Spanien und Italien stattgefunden. Am 24. Juni 1894 aber tötete der junge italienische Einwanderer Sante Geronimo Caserio, der dem anarchistischen Umfeld zuzurechnen war, den französischen Präsidenten Carnot. Dies war der Höhepunkt einer ganzen Serie von anarchistisch motivierten Anschlägen in Frankreich. Am 10. September 1898 erstach Luigi Lucheni in Genf Kaiserin Elisabeth (Sisi). Am 6. September 1901 schoss Leon Czolgosz in Buffalo (New York) auf den US-Präsidenten William McKinley; dieser starb acht Tage später. Die 1890er Jahre wurden als ein „Jahrzehnt der Bomben“ bezeichnet. Mit Dynamit – einer damals neuen Erfindung – wurden Anschläge verübt gegen Monarchen, Präsidenten, Minister, Polizeichefs, Polizisten und gegen Richter, die Anarchisten verurteilt hatten. Andere trafen offizielle Gebäude. Die gewaltsamen Anschläge und Attentate gegen Ende des 19. Jahrhunderts, von Peter Kropotkin anlässlich eines internationalen revolutionären Kongresses 1881 in London als kontraproduktiv oder ineffektiv bezeichnet, wurden zunehmend auch von anderen Anarchisten abgelehnt. Frühes 20. Jahrhundert Anarchisten spielten in vielen Arbeiterbewegungen, Aufständen und Revolutionen des 19. und 20. Jahrhunderts eine Rolle. Dazu gehören etwa die Mexikanische Revolution von 1910 bis 1919 mit der Bauernarmee unter Führung von Emiliano Zapata, die Oktoberrevolution 1917 in Russland und die nach ihrem Anführer Nestor Machno benannte Bauern- und Partisanenbewegung, der Machnowzi zwischen 1917 und 1921 in der Ukraine; auch in der kurzlebigen Münchner Räterepublik von 1919 waren zeitweise Anarchisten wie Gustav Landauer und der Dichter Erich Mühsam an der Räteregierung beteiligt. Die 1922 gegründete anarchosyndikalistische Internationale ArbeiterInnen-Assoziation (IAA) ist heute noch in vielen Ländern Amerikas und Europas in Arbeitskämpfen aktiv. Im frühen 20. Jahrhundert wurden Anarchistengruppen in Russland von den kommunistischen Bolschewiki verdrängt und fielen gegen Ende der russischen Revolution Säuberungsaktionen zum Opfer (Niederschlagung des Aufstandes in Kronstadt und der anarchistischen Bauernbewegung Machnowschtschina). Spanische Republik → Hauptartikel: Anarchismus in Spanien Fahne der CNT-FAI Im Spanischen Bürgerkrieg, der in den Jahren von Juni 1936 bis April 1939 zwischen verschiedenen Gruppen der Republikaner und der faschistischen Bewegung unter General Franco stattfand, wirkte der Anarchismus bisher am stärksten. Insbesondere die mitgliederstarke und einflussreiche anarchosyndikalistische Gewerkschaft Confederación Nacional del Trabajo (CNT) kontrollierte mit ihrem militanten Arm, der anarchistischen Federación Anarquista Ibérica (FAI), große Teile des östlichen Spaniens. Deutschland während der NS-Diktatur Während des nationalsozialistischen Regimes war eine legale politische Tätigkeit von Anarchisten in Deutschland nicht möglich. Bereits kurz nach der Machtergreifung Hitlers wurden ab 1933 prominente Wortführer der Anarchisten in Konzentrationslager verbracht. Viele von ihnen wurden ermordet, wie beispielsweise der Dichter und Publizist Erich Mühsam. Junge und weniger bekannte Aktivisten versuchten noch mit den Schwarzen Scharen antifaschistische Widerstandsgruppen zu organisieren, wurden aber von der Gestapo ausgehoben. Ein Großteil emigrierte. Viele der emigrierten deutschen Anarchisten, darunter etwa Augustin Souchy, schlossen sich ab 1936 in Spanien während des dortigen Bürgerkriegs dem Kampf der Internationalen Brigaden auf der Seite der CNT/FAI gegen Franco an. Hunderte von in Deutschland verbliebenen Anarchisten wurden in „Schutzhaft“ genommen, in Schauprozessen verurteilt und in Konzentrationslager verbracht, von wo einige zum Ende des Zweiten Weltkriegs etwa in die SS-Sondereinheit Dirlewanger gepresst wurden.[34] Nachkriegszeit → Hauptartikel: Anarchismus in Deutschland Deutsche Demokratische Republik Kurzzeitig kam es unter sowjetischer Besatzungsmacht zum Wiederaufleben des Anarchismus, vor allem durch syndikalistische Arbeiter. Nach dem Krieg hatte sich um Wilhelm Jelinek in Zwickau ein neuer Kreis von freiheitlich gesinnten Personen gebildet. Jelinek war Betriebsratsvorsitzender eines großen Industriebetriebes. Dieser Kreis verschickte Rundbriefe an mindestens 18 verschiedene Orte in der sowjetischen Zone und unterhielt auch Korrespondenzen mit Anarchisten in anderen Zonen Deutschlands. Es gelang ihm durch mündliche und briefliche Agitation, ein weitmaschiges Netz über die gesamte Ostzone und spätere DDR zu spannen.[35] „In Zwickau wurde, so unglaublich es klingt, eine Informationsstelle des gesamtdeutschen Anarchismus gebildet. Sie berief Mitte 1948 nach Leipzig eine geheime Konferenz aller unter sowjetischer Besatzungsmacht lebenden Antiautoritären verschiedener Richtungen ein.“ Zirkulare des Zwickauer Kreises fielen den Staatsorganen in die Hände. Der Staatssicherheitsdienst wurde aufmerksam und verhaftete alle Teilnehmer. Nach Kriegsende bis zur gesprengten Tagung 1948 waren die anarchistischen Gruppierungen in der Sowjetischen Besatzungszone so stark, dass sie sogar die westdeutschen Anarchisten mit einer Vervielfältigungsmaschine und Geld unterstützen konnten.[36] Von einigen Orten aus dem Gebiet der DDR ist bekannt, dass einige ehemalige Mitglieder der FAUD sich der SED anschlossen, die zumeist in den 1950er Jahren wieder „hinausgesäubert“ wurden.[37] Bis zur Wende beschränkten sich anarchistische Aktivitäten auf die Herausgabe von Flugblättern und einigen Zeitschriften.[38] Bundesrepublik Deutschland Mit der Studentenbewegung Ende der 60er Jahre stieg das öffentliche Interesse am Anarchismus. Innerhalb der Studentenbewegung gab es eine anarchistische Strömung. Auch im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS), der sich zum Sammelbecken der gesamten Bewegung entwickelte, waren Anarchisten vertreten. Des Weiteren hatte der Anarchismus für die Neuen sozialen Bewegungen (NSB) eine theoretische und praktische Bedeutung. Innerhalb der Autonomen, als linksradikalem Flügel der NSB, gab und gibt es eine große libertäre Strömung. Ein bundesweit organisiertes Bündnis anarchopazifistisch dominierter Bezugsgruppen war die von 1980 bis in die 1990er bestehende Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen (FöGA), die über Jahre hinweg die bis in die Gegenwart erscheinende Zeitschrift Graswurzelrevolution herausgab. 1989 gründete sich die „Initiative für eine anarchistische Föderation in Deutschland“ (I-AFD).[39] Sie überstand die Jahrtausendwende und ist später im „Forum deutschsprachiger Anarchistinnen und Anarchisten“ (seit 2013 Föderation deutschsprachiger Anarchist*innen) aufgegangen. Im frühen 21. Jahrhundert haben sich mehrere Ortsgruppen der Anarchistisch-Syndikalistischen Jugend gebildet. Zeitweilig, insbesondere in den 1970er Jahren, wurde vor allem in den Massenmedien die Rote Armee Fraktion (RAF) neben anderen ähnlich agierenden, dem Linksterrorismus zugeordneten Gruppierungen ebenfalls als „anarchistisch“ bezeichnet. Diese Zuordnung beruhte jedoch auf einem inhaltlich falschen bzw. in der Praxis verengten Verständnis des Anarchismus. Sie besetzte das in der Gesellschaft verbreitete, polarisierende und nicht näher spezifizierte Schlagwort Anarchie im Sinne von Anomie. Die RAF, die ihre Aktionen und Anschläge aus einem marxistisch-leninistischen Verständnis des Antiimperialismus heraus begründete, hatte selbst inhaltlich keinen anarchistischen Bezugsrahmen. Die fälschliche Fremdzuschreibung als „anarchistisch“ beruhte vor allem auf ihrer extremen Militanz, mit der ihre wesentlichen Akteure bis zur tödlichen Konsequenz für andere und sich selbst gegen Symbolfiguren der herrschenden staatlichen und ökonomischen Strukturen aus Politik, Wirtschaft und Justiz vorgingen. Deutsche Verfassungsschutzbehörden ordnen den Anarchismus mit der Begründung, er strebe eine „staats- und herrschaftsfreie Gesellschaftsordnung“ an, unter dem Begriff des Linksextremismus ein, etwa im Verfassungsschutzbericht des Bundes von 2012.[40] International In Europa und den Amerikas rekonstituierten sich die überregionalen Anarchistischen Föderationen und schlossen sich 1968 zur Internationale der Anarchistischen Föderationen zusammen. In den USA und Großbritannien entstand Ende der 1970er-Jahre der Punk als anarchistisch geprägte Subkultur. Vor allem die Mitglieder der Band Crass sind hier als engagierte Anarchisten und Pazifisten zu nennen. Nach dem Zerfall der zentralistischen Staaten des Warschauer Pakts haben sich dort weitere anarchistische Föderationen gebildet, die teilweise der Internationale beigetreten sind. Seit etwa Mitte der 1990er Jahre gibt es internationale Libertäre Buchmessen in mehr als zehn Ländern. Anarchismus in der Gegenwart Scheiss auf die Wahlen, gegen jede Repräsentation, gegen jede Autorität, für Eigenverantwortung und Autonomie, für die Anarchie. Plakat in Wien, 2016 Ein zeitgenössisches Plakat in griechischer Sprache. "Ihr erhebt euch also erneut! Sie schafften es nicht, euch auf die Knie zu zwingen. Der Geist, der euch dazu antreibt, den Staat und jede Herrschaft zu zerstören, ist nicht das Resultat irgendeines pubertären Triebs, sondern Äußerung einer natürlichen LEIDENSCHAFT für FREIHEIT, die aus den Tiefen eurer Seele entspringt." M. Bakunin Es gibt auf der ganzen Welt lokale anarchistische Gruppen, die verschiedene Strömungen propagieren und unterschiedlich organisiert sind. Die Bandbreite der Aktivitäten reicht von Herausgabe von Zeitungen über die Umsetzung direkter Aktionen bis zu anarchistischen Wohn- und Arbeitskollektiven. Der politische Einfluss ist in der Regel begrenzt. Der Anarchismus in den Niederlanden wurde Mitte der 1960er Jahre mit der Provo-Bewegung wieder aktuell. Nach der Wirtschaftskrise in Argentinien im Jahre 2000 wurden einige hundert, zumeist peronistisch ausgerichtete Betriebe in Selbstverwaltung gestellt, die allerdings am normalen weltwirtschaftlichen Geschehen teilnehmen und nur einen eingeschränkt mutualistischen Ansatz verfolgen.[41] Ebenso gelten die Autonomen- und Punk-, insbesondere Anarcho-Punk-Szenen als stark vom Anarchismus beeinflusst. Die Hausbesetzer- und Umsonstladenbewegungen gelten ebenfalls als anarchistisch inspiriert. Zu Beginn des 3. Jahrtausends adaptierte die kurdische Bewegung in Form des demokratischen Konföderalismus eine zeitgenössische, pragmatische Form der ökologischen und demokratischen Selbstverwaltung aus anarchistischen Diskursen. Organisationen An bedeutenden internationalen Gruppierungen sind die Internationale der Anarchistischen Föderationen (IFA) und die internationale anarchistische Gefangenenhilfsorganisation Anarchist Black Cross (ABC) zu erwähnen. Weltweit gibt es mehrere hundert anarchistische Basisorganisationen und libertäre Gruppen, die sich in lokalen Organisationen organisieren. In Deutschland war die Föderation freiheitlicher Sozialisten (1947 bis um 1970; Nachfolgeorganisation der FAUD) die größte Organisation nach dem Zweiten Weltkrieg, heute ist die anarchosyndikalistische Gewerkschaft Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU) Mitglied der Internationalen Konföderation der Arbeiter*innen (IKA). Die Föderation deutschsprachiger Anarchist*innen (FdA), 2003 gegründete Nachfolgeorganisation der 1989 ins Leben gerufenen Initiative zum Aufbau einer Anarchistischen Föderation in Deutschland, ist in der IFA assoziiert. Seit 2009 existieren mehrere Ortsgruppen der Anarcho-Syndikalistischen Jugend. 2019 gründete sich die plattform – anarchakommunistische Organisation, welche sich auf das Organisationsprinzip des Plattformismus beruft. Periodika Die wichtigsten deutschsprachigen Periodika sind die „Direkte Aktion“ der Anarchosyndikalistischen Organisation FAU-IAA, die sich vom Print-zum digitalen Medium gewandelt hat[42], die anarcho-pazifistische „Graswurzelrevolution“ und ihre auch gesondert erscheinende Beilage „Utopia“, welche 2011 eingestellt wurde. Seit 2015 erscheint halbjährlich Ne znam, eine Zeitschrift für Anarchismusforschung.[43] Die Föderation deutschsprachiger Anarchist*innen veröffentlicht seit 2011 monatlich das Magazin „Gǎidào“.[44] Der vierteljährlich erschienene „Schwarze Faden“[45] ist seit 2004 eingestellt. In Berlin erschien die englischsprachige Zeitschrift „Abolishing the Borders from Below“ von 2001 bis 2010. Zum anarchistischen Umfeld werden die Selbstorganisationszeitschrift „Contraste“ und das ökologisch orientierte „Grüne Blatt“ gerechnet. Mittlerweile eingestellt wurde „Die Aktion“. Die Organisation Socialiste Libertaire gibt die „Rébéllion“[46] in deutscher und französischer Sprache heraus. Anarchistische beziehungsweise anarchosyndikalistische Wochenzeitungen erscheinen mit „Umanità Nova“ in Italien, „le monde libertaire“ in Frankreich und „Arbetaren“ in Schweden. Siehe auch: Liste anarchistischer Zeitschriften Aktionsformen Der Anarchismus ist bestrebt, direkt sozial oder politisch zu handeln. Gewaltlosigkeit sei idealerweise das Ziel einer Anarchie.[47] Aus diesem Ansatz leiten sich verschiedene Aktionsformen ab, wie zum Beispiel der in der Regel gewaltlose zivile Ungehorsam oder die Direkte Aktion, also Streik, Generalstreik, Sabotage, Betriebs- und Hausbesetzung und militante Aktionen. Die Grenze zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit in der Anarchie wird an „Notwendigkeiten“ festgemacht: „Die wahre anarchistische Gewalt hört auf, wo die Notwendigkeit der Verteidigung und der Befreiung aufhört“ schrieb Errico Malatesta, ein bedeutender Aktivist und Wortführer der italienischen Anarchisten, 1924 zur Zeit der faschistischen Diktatur in Italien.[47] Für die Errichtung und Aufrechterhaltung einer Anarchie wurde Gegengewalt im frühen 20. Jahrhundert weithin als legitimes Mittel gegen Herrschaft erachtet.[47] Im 19. und frühen 20. Jahrhundert war die Propaganda der Tat eine weitverbreitete Aktionsform, mit der anarchistische Ideen durch Aktionen mit Vorbildcharakter verbreitet werden sollten. Die Aktionsform wurde vor allem durch Anschläge auf exponierte Führungspersönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik bekannt. In den Revolutionen des 19. und 20. Jahrhunderts spielten Anarchisten eine Rolle und waren zum Beispiel als Partisanenbewegungen, wie die Machnowzi während des russischen Bürgerkrieges, auch von militärischer Bedeutung. Im späten 20. Jahrhundert sind neue Formen wie Kommunikationsguerilla, schwarzer Block, Clownarmee und Guerilla Gardening hinzugekommen. Symbole → Hauptartikel: Anarchistische Symbolik Die Symbole des Anarchismus umfassen eine Vielzahl von Zeichen. Am häufigsten werden das A im Kreis, eine schwarze oder diagonal schwarz geteilte Fahne und der schwarze Stern verwendet. Siehe auch Portal Portal: Anarchismus – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Anarchismus Liste bekannter Anarchisten Anarchismus in Kuba Anarchismus in der Türkei Anarchismus in den Vereinigten Staaten Anarchismus in Japan Anarchismus in Korea Literatur Einführungen Autorenkollektiv: Was ist eigentlich Anarchie. Einführung in die Theorie und Geschichte des Anarchismus. 2. überarbeitete Auflage. Kramer, Berlin 1997, ISBN 3-87956-700-X. 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Staat und Subjekt in der Postmoderne aus anarchistischer Perspektive. Verlag Edition AV, Frankfurt 2003, ISBN 3-936049-12-2 Michael Wilk: Macht, Herrschaft, Emanzipation. Aspekte anarchistischer Staatskritik. Trotzdem Verlag, Grafenau 1999, ISBN 3-931786-16-1 (michael-wilk.info [PDF; abgerufen am 28. Juli 2017]). Kritik am Anarchismus Wolfgang Harich: Zur Kritik der revolutionären Ungeduld. Eine Abrechnung mit dem alten und dem neuen Anarchismus. Verlag 8. Mai, Berlin 1998. ISBN 3-931745-06-6 Ute Nicolaus: Souverän und Märtyrer. Verlag Königshausen & Neumann. Reihe Literaturwissenschaft. Band 506. S. 39, 40. Florens Christian Rang: Kritik am Anarchismus: Das Problem der Gewalt. ISBN 3-8260-2789-2 C. Roland Hoffmann-Negulescu: Anarchie, Minimalstaat, Weltstaat. Kritik der libertären Rechts- und Staatstheorie. Kapitel IV., Anarchie, Staat und Utopie. S. 83. Tectum Verlag, Marburg 2011. ISBN 3-8288-8303-6 Syndikalismus ist eine Weiterentwicklung des Gewerkschafts-Sozialismus, die von dem französischen Anarchisten Pierre-Joseph Proudhon begründet wurde. Der Syndikalismus propagiert die Aneignung von Produktionsmitteln durch die Gewerkschaften, die dann auch an Stelle politischer Stellvertreter die Verwaltung organisieren. Dabei bilden Streik, Boykott und Sabotage die Mittel der Syndikalisten; parlamentarische Bestrebungen werden abgelehnt. Inhaltsverzeichnis 1 Idee 2 Syndikalismus in Deutschland 3 Die Organisation der Lokalisten 4 Vom Lokalismus zum Syndikalismus 5 Die weitere programmatische Ausrichtung des Syndikalismus 6 Der Syndikalismus zur Zeit des Ersten Weltkriegs in Deutschland 7 Syndikalismus und Anarcho-Syndikalismus in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg 8 Die Internationale Arbeiter-Assoziation (IAA) 9 Syndikalismus: Zum Gebrauch des Begriffs 10 Siehe auch 11 Literatur 12 Weblinks 13 Einzelnachweise Idee Die nach föderalistischen Prinzipien aufgebaute Gewerkschaft solle mittels eines Generalstreiks die Produktionsmittel in die Obhut der Arbeiterschaft führen. Der Zusammenschluss (Syndikat) der Produktionseinheiten würde die ökonomische Basis einer neuen Gesellschaft in Selbstverwaltung bilden. Der bedeutendste Ideengeber und Vertreter der syndikalistischen Arbeiterbewegung fand sich in der Person von Fernand Pelloutier. Ein wichtiges strukturbildendes Element stellte die Arbeiterbörse dar. Der Syndikalismus war Anfang des 20. Jahrhunderts besonders in Frankreich in Gewerkschaftskreisen verbreitet, etwa in Form der Charta von Amiens von 1906, wurde jedoch nach Ende des Ersten Weltkrieges von marxistischen Strömungen (vor allem dem Kommunismus) verdrängt und zudem vom Faschismus bekämpft. Nach dem Ende des Spanischen Bürgerkriegs 1939 war der Syndikalismus praktisch verschwunden. Erweitert und im Wesenskern ergänzt um weltanschauliche und philosophische Elemente des Anarchismus formte sich der Anarchosyndikalismus. In Spanien erreichte die anarchosyndikalistische Gewerkschaft Confederación Nacional del Trabajo (CNT) im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts eine breite Anhängerschaft von etwa zwei Millionen Mitgliedern und gehörte zu den bedeutenden Faktoren der spanischen Politik. Die CNT sympathisierte zeitweise mit der Russischen Revolution und trat 1919 der III. Internationale (Komintern) bei. Nach 1921 vertrat jedoch nur noch eine Minderheit der kommunistischen Syndikalisten die Verbindung mit der Russischen Revolution, auch international dominierte Kritik gegenüber dem sich autoritär entwickelnden Sowjetstaat.[1] In Deutschland trennten sich um 1921 die sich anfangs noch stark überlappenden Milieus syndikalistischer und kommunistischer Gewerkschaften. Konsequenterweise gründete sich 1922 ein eigener internationaler Zusammenschluss anarcho-syndikalistischer Gewerkschaften, die Internationale ArbeiterInnen-Assoziation (IAA). Syndikalismus in Deutschland Die Geschichte in Deutschland wurde zunächst durch den Begriff des „Lokalismus“ geprägt. Dieser bezeichnet dabei gleichzeitig die Herkunft und die Motivation der (anarcho-)syndikalistischen Bewegung. Sie entstammte der Sozialdemokratie und wandte sich im Zuge der Verhältnisse unter den sogenannten „Sozialistengesetzen“ (1878–1890) einem föderalistischen Gewerkschaftsmodell zu, in welchem die Ortsvereine Souverän ihrer Entscheidungen blieben und sich keiner Zentralinstanz unterordnen mussten. Das lag darin begründet, dass die regionalen Vereinsgesetze oftmals nur lokale Vereinigungen zuließen, und zum anderen daran, dass die „Lokalisten“ die zentralistische Organisationsform als anfälliger für Repressions- und Korruptionsmaßnahmen ansahen. Des Weiteren kritisierten sie die Tendenz, die Aufgaben der Gewerkschaften lediglich auf die Tagesfragen nach höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen festzulegen. Der Klassenkampf der Arbeiterklasse solle nicht die alleinige Aufgabe der sozialdemokratischen Partei sein. Hier lag der Keim für die weitere Ausformung des (Anarcho-)Syndikalismus begründet, die Gewerkschaften gleichermaßen als ökonomische, politische und kulturelle Bewegung anzusehen und auszurichten. Die Organisation der Lokalisten Nach dem Ende der „Sozialistengesetze“ im Jahre 1890 und weiteren Zentralisierungstendenzen auf dem Kongress von Halberstadt 1892 entstand innerhalb der sozialdemokratischen Gewerkschaftsbewegung eine Opposition zur „Generalkommission für die Zentralverbände“, welche sich dieser Entwicklung verweigerte und sich auf Reichsebene im Jahre 1897 als „Vertrauensmänner-Zentralisation Deutschlands“ bzw. „Zusammenschluss der lokalorganisierten oder auf Grund des Vertrauensmännersystems zentralisierten Gewerkschaften Deutschlands“ organisierte. Bis zum Kriegsausbruch im Jahre 1914 hielt die 1901 in „Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften“ (FVDG) umbenannte Organisation 11 Reichskongresse ab. Besonderen Anklang fand sie bei den Berufsvereinigungen der Bauarbeiter mit Zentrum in Berlin. Insgesamt vereinigte sie bis zum Ersten Weltkrieg bis zu 20.000 Mitglieder. Die organisatorischen Köpfe fanden sich in Fritz Kater, Gustav Keßler, Andreas Kleinlein und Carl Thieme, welche sowohl die Geschäftskommission stellten, als auch seit 1897 für das zentrale Organ Die Einigkeit verantwortlich waren, welches in einer Auflage von 10.000 zweiwöchentlich erschien. Außerdem war Fritz Kater Verleger und Herausgeber der Zeitschrift Der Syndikalist. Vom Lokalismus zum Syndikalismus Um die Jahrhundertwende bestand die Bewegung aus revolutionären Sozialdemokraten und Parteimitgliedern, doch ging die Partei in den Jahren ab 1902 verstärkt dazu über, die lokalistische Bewegung und ihr Programm der „Propaganda für die Idee des Massen- resp. Generalstreiks“ offensiv zu bekämpfen, bis die Parteitage der Jahre 1906 bis 1908 den Ausschluss der dort als „Anarcho-Sozialisten“ betitelten lokalorganisierten Mitglieder thematisierte. Diese bezeichneten sich gemäß ihrer programmatischen Ausformung selber immer häufiger als „Syndikalisten“. Ihre Entwicklung wurde weiterhin maßgeblich durch die Schriften von Fernand Pelloutier (Anarchismus und Gewerkschaften), Arnold Roller (d. i. Siegfried Nacht: Der soziale Generalstreik) und vom Konzept der französischen „bourses du travail“, den sogenannten „Arbeiterbörsen“, geprägt. Im Jahre 1908 fasste die SPD auf ihrem Parteitag in Nürnberg einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit den lokalorganisierten Gewerkschaften, woraufhin nur etwa 8.000 der insgesamt ca. 16.000 Mitglieder in der FVDG verblieben. Die weitere programmatische Ausrichtung des Syndikalismus Diese prägten fortan den Begriff „Syndikalismus“ in Deutschland und darüber hinaus und gaben sich im Jahre 1911 das Programm „Was wollen die Syndikalisten?“. Das ideelle Fundament speiste sich zusätzlich vornehmlich aus den Schriften Peter Kropotkins und trug die Bezeichnung „Kommunistischer Anarchismus“. Die Syndikalisten der FVDG setzten sich nicht nur für bessere Lohn- und Arbeitsverhältnisse ein, sondern auch für die Abschaffung des kapitalistischen Wirtschaftssystems zugunsten einer „freien und von der Arbeiterschaft selbst verwalteten Gesellschaftsform“. Dieser „Umformungsprozess“ sollte durch einen Generalstreik eingeleitet werden, in dessen Folge die bislang profitorientierte Produktion zugunsten einer bedürfnisorientierten und solidarischen Wirtschaftsweise umgestellt werden sollte. Die Aufgaben der Bedarfsermittlung, der Verteilung der Produkte, aber generell auch der kulturellen Belange und die der Bildung und Erziehung sollten den Arbeiterbörsen vorbehalten bleiben, in welchen die einzelnen Berufsverbände sowie die außerberuflichen syndikalistischen Vereinigungen zusammengefasst wurden. Dieses Konzept wurde im Wesentlichen formuliert in der Prinzipienerklärung des Syndikalismus von Rudolf Rocker im Jahre 1919 und 1922 von der „Studienkommission der Berliner Arbeiterbörsen“, ausführlicher präzisiert in der Schrift Die Arbeiterbörsen des Syndikalismus. Abgesehen von diesem Kernbereich wendeten sich die Syndikalisten auch gegen alle materiellen und ideologischen Bestrebungen, welche ihrer Auffassung nach einer Forcierung des Klassenkampfes zuwiderliefen, beispielsweise den Nationalismus, den Militarismus und das Kirchenwesen. Der Syndikalismus zur Zeit des Ersten Weltkriegs in Deutschland Infolge ihres Charakters wurde die FVDG mitsamt ihrer Presse (Die Einigkeit und Der Pionier) zu Kriegsbeginn im Jahre 1914 verboten, während die SPD und die Zentralgewerkschaften mit der deutschen Regierung den „Burgfrieden“ schlossen und begünstigt wurden. So mussten beispielsweise die Redakteure vieler SPD-Organe nicht zum Militärdienst antreten. Im Gegensatz zu diesen wurden viele Syndikalisten verhaftet, die öffentlich gegen den Krieg eintraten. Zudem wurden viele Aktivisten der FVDG zum Militärdienst eingezogen, so dass die bloße Aufrechterhaltung der Organisation oberste Priorität erlangte. Dazu gab die Geschäftskommission während der Kriegsjahre zwei Organe heraus, welche nach kurzer Zeit verboten wurden: Das Mitteilungsblatt der Geschäftskommission der Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften (1914–1915) und das Rundschreiben an die Vorstände und Mitglieder aller der Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften angeschlossenen Vereine (1915–1917). Syndikalismus und Anarcho-Syndikalismus in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg Mit dem Ende des Krieges konnte sich die FVDG neu formieren und viele von der Sozialdemokratie enttäuschte Arbeiter ansprechen. Bis 1919 schlossen sich schon etwa 60.000 Mitglieder an. Auf ihrem ersten Nachkriegskongress Ende 1919 vereinigten sich unter dem Programm der genannten Prinzipienerklärung des Syndikalismus in der in „Freie Arbeiter-Union Deutschlands“ (FAUD) umbenannten Organisation bereits über 111.000 Syndikalisten aus dem gesamten Reichsgebiet mit regionalen Schwerpunkten in fast allen größeren Städten, besonders aber im Rheinland, im Ruhrgebiet, in Schlesien und in Berlin. Ortsvereine entstanden vor allem dort, wo die Industrialisierung einsetzte, und zudem zentralgewerkschaftliche Organisationen noch nicht Fuß gefasst hatten, so auch in vielen Kleinstädten und Dörfern. Lag der Branchenschwerpunkt während der Kaiserzeit bei den Bauarbeitern, so kamen jetzt vor allem Metallarbeiter und Bergarbeiter zu zehntausenden hinzu. Auch in der Holz-, der chemischen- und Verkehrsindustrie wuchsen mancherorts starke syndikalistische Organisationen heran. Die FVDG war eine originäre proletarische Organisation. Intellektuelle bildeten auch auf Funktionärsebene eine seltene Randerscheinung. Begrifflich änderte sich 1919 der Organisationsname zugunsten des Elements „Union“, womit den seit Anfang des 20. Jahrhunderts veränderten Produktionsprozessen Rechnung getragen wurde. Die Mitglieder sollten nicht mehr nur nach speziellen Berufsgruppen organisiert, sondern möglichst nach Industriebereichen zusammengefasst werden, um ihre Schlagkraft am Ort zu erhöhen. Zudem änderte sich im Jahre 1921 per Kongressbeschluss die offizielle Bezeichnung „FAUD (Syndikalisten)“ in das bis 1933 gültige „FAUD (Anarcho-Syndikalisten)“, womit das kommunistisch-anarchistische Fundament verdeutlicht wurde. Dennoch wurden die Begriffe „Syndikalismus“ und „Anarcho-Syndikalismus“ in Deutschland sowohl von Zeitgenossen als auch in der Forschung auch synonym verwendet, da sich außerhalb des Anarcho-Syndikalismus keine rein syndikalistische Organisation definieren konnte. Nahestehende Zusammenschlüsse, wie beispielsweise die „Arbeiter-Unionen“ oder die „Föderation Kommunistischer Anarchisten Deutschlands“ und der Syndikalistische Frauenbund, orientierten sich rein unionistisch oder anarchistisch. Die Internationale Arbeiter-Assoziation (IAA) Der Syndikalismus in Deutschland, wenngleich zahlenmäßig nicht größer als etwa 150.000 im Jahre 1922, hatte bedeutenden theoretischen und organisatorischen Einfluss auf die internationale syndikalistische Arbeiterbewegung. Im gleichen Jahr wurde in Berlin in Bezugnahme zur „Ersten Internationale“ von 1864 die „Internationale Arbeiter-Assoziation“ (heute Internationale ArbeiterInnen-Assoziation) nach anarchosyndikalistischen Vorstellungen neu gegründet. Rudolf Rocker verfasste die Prinzipienerklärung und stellte zusammen mit Augustin Souchy und Alexander Schapiro bis 1933 das Sekretariat in Berlin. Die IAA vereinigte zeitweilig bis zu zwei Millionen Mitglieder. Ihre stärksten Sektionen hat sie in Europa und Südamerika. Die IAA vertritt den Standpunkt, dass der Begriff „Syndikalismus“ alleine nicht genüge. Syndikalismus: Zum Gebrauch des Begriffs Tatsächlich versuchten autoritär-kommunistische und faschistische Kräfte vor allem in Frankreich, Italien und später auch in Spanien den Begriff für ihre Ziele in Anspruch zu nehmen. Gegenüber manch solcher zentralistischer und nationalistischer Abart mit Bezug auf Georges Sorel muss betont werden, dass sich die internationale syndikalistische Arbeiterbewegung bewusst an den Ideen und Methoden des Anarcho-Syndikalismus orientierte, wie er sich auch in Deutschland formierte. Entgegen mancher Auffassung spielte Georges Sorel für die syndikalistische Arbeiterbewegung in Deutschland keine und in vielen anderen Ländern, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle. In Italien hingegen übte Sorel einen großen Einfluss aus. Benito Mussolini bekannte sich offen zu Sorel und erklärte, dass er von Sorel stark geprägt worden sei.[2] Was die Konkretisierung des Begriffs „Syndikalismus“ dennoch gerade im internationalen Zusammenhang notwendig macht, ist die einfache Tatsache, dass der Begriff von Land zu Land eine andere Bedeutung hat. Er stammt aus dem Französischen von „syndicat“ und bezeichnet in den romanischsprachigen Ländern zunächst einmal lediglich einen weitgehend unbestimmten Gewerkschaftsbegriff. Zur Unterscheidung von sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften wird auch der wenig geeignete, weil inhaltlich nur mäßig bestimmte und ungenaue Begriff „revolutionärer Syndikalismus“ verwendet. Siehe auch Christiaan Cornelissen, Clara Wichmann, Helmut Rüdiger Teresa Claramunt, Salvador Seguí, Ángel Pestaña, Juan Peiró, Diego Abad de Santillán, Luís Andrés Edo Gildensozialismus Literatur Gerhard Aigte: Die Entwicklung der revolutionären syndikalistischen Arbeiterbewegung Deutschlands in der Kriegs- und Nachkriegszeit (1918–1929) (= Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter Union Bremen. Streitschrift 1, ZDB-ID 2227240-9). FAU-Bremen, Bremen 2005. Franz Barwich/Studienkommission der Berliner Arbeiterbörsen (1923): „Das ist Syndikalismus“. Die Arbeiterbörsen des Syndikalismus. Verlag Edition AV, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-936049-38-6. Helge Döhring: Anarcho-Syndikalismus. Einführung in die Theorie und Geschichte einer internationalen sozialistischen Arbeiterbewegung. Verlag Edition AV, Lich/Hessen 2017, ISBN 978-3-86841-143-0. Helge Döhring: Syndikalismus in Deutschland 1914-1918. "Im Herzen der Bestie" Verlag Edition AV, Lich/Hessen 2013, ISBN 978-3-868410-83-9. 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