Ein Stadtteil als Zentrum der Kunst Mondän herausgeputzt blickt
sie durch ihren feinen Schleier. Sorgfältig geschminkt und fein
frisiert, mit leicht geöffneten Lippen bereitet sie sich scheinbar auf
eine Nacht voller Vergnügen und Genuss vor. Louis Anquetin hat die
»Femme à la voilette«gemalt – die Unbekannte ist fast ein Sinnbild für
die Welt der Künstler auf dem Montmartre um die Jahrhundertwende. Sie
könnte alles sein: Dirne, Bohemienne, Malerin oder Grande Dame. Am Fuße
des Hügels, der dem weltberühmten Künstler- und Vergnügungsviertel in
Paris seinen Namen gab, tummelten sich damals Menschen aller Schichten
und Professionen.
Das Milieu als Inspiration für die Künstler auf dem Montmartre Inmitten
einer Stadt der Künstler war Montmartre das Zentrum. Viele große und
zahlreiche unbekannte Maler zog es zwischen den Jahrhunderten hierher.
In diesem Umfeld genossen Renoir, Modigliani oder Valadon ein Leben, das
freier und vor allem günstiger war als im Zentrum von Paris. In der
aufgeladenen Atmosphäre entwickelten sie revolutionäre neue Stile wie
den Impressionismus. Einige von ihnen gehören heute zu den bekanntesten
Malern des 20. Jahrhunderts. Als Bohemiens trafen sie sich in den
Etablissements wie dem Chat Noir oder dem Moulin Rouge und befruchteten
sich gegenseitig mit Ideen und Inspiration. Die Ergebnisse dieser
Zusammenkünfte sind jetzt im Bildband »Esprit Montmartre – Die Bohème in
Paris um 1900«zu sehen.
Große Kunst am Rande des Abgrunds Das
Leben um sich herum betrachteten die Künstler auf dem Montmartre aus
ihrem eigenen Blickwinkel. Dirnen, Tänzer, aber auch gescheiterte
Existenzen, die dem Absinth, der legendären sogenannten grünen Fee,
verfallen waren, verewigten sie auf Leinwand oder Papier. Sogar sie
selbst brachten die Verlockungen manchmal an den Rand des Absturzes –
und darüber hinaus. So ist von Henri de Toulouse-Lautrec bekannt, dass
ihn seine Vorliebe für Alkohol ins Delirium trieb. Dennoch oder gerade
deswegen gilt die Zeit der Belle Époque auf dem Montmartre als eine der
fruchtbarsten der modernen Malerei.
Die Künstler des Montmartre in einem Katalog In
der Ausstellung »Esprit Montmartre – Die Bohème in Paris um 1900«
wurden nun erstmals die Werke der berühmtesten Vertreter dieser Zeit
zusammengetragen. Auch im Katalog zur Schau stellen die mehr als 200
Werke von 26 Künstlern alle Facetten des berühmten Viertels dar. Vom
ursprünglichen Dorf über die Varietés bis zu Straßenszenen und der Gosse
präsentiert der Band, wie sich das Montmartre-Viertel und die Künstler
entwickelten. Der Katalog spannt einen großen Bogen von konservativen
Ansichten des fast bäuerlich wirkenden Viertels zu lebhaften und
modernen Einblicken in das wilde Leben des Varietés und der Bohème. Ein
besonderer Clou ist der beigelegte Stadtplan, in dem die Wohnungen und
beliebten Treffpunkte der Meister eingezeichnet sind. Als Autoren
gewann der Hirmer Verlag unter anderem so renommierte Experten wie
Phillip Dennis Cate vom Musée de Montmartre oder Ingrid Pfeiffer,
Kuratorin der Kunsthalle Schirn. Sie erklären die un- und
außergewöhnliche Situation der Künstler im Schmelztiegel des Montmartre.
So ziehen den Leser nicht nur die außergewöhnlichen Bilder in ihren
Bann, sondern auch die Geschichten dahinter.