Abschrift des ersten Drittels des Tagebuchs siehe unten! –

"Im Warenhaus Tietz zu Berlin: Massen von Menschen u. Massen von Ware! Massenware! Und dabei im Duchschnitt nicht schlecht! Aber doch Werte, die keine Werte mehr sind, wenn sie zu Bergen angehäuft liegen – – oder doch nur für den, der sonst gar nichts hat! Da kommt mir im Anblick der Massen-Produkte ein befreiender Gedanke: Verbrauchen ohne Bedenken! Das ist heutzutage nicht mehr Verschwendung, sondern das heißt die andern leben lassen, – die Massen u. die Einzelnen, – u. dabei frei werden in seinen Gedanken von den Sachen, die ja nur den Raum verstopfen, die im Wege sind, – die die Zeit töten, die Schönheit des ungehemmt bewegten Körpers im freien Raume – u. des sorglosen Angesichts!" (Zitat aus dem vorliegenden Tagebuch, S. 40-42).


Sie bieten auf wunderschön formuliertes handschriftliches Tagebuch, geführt 1927/28 von einem (wohl jungen) Mann, der in eine Frau namens Lotte (in Dresden) unsterblich und recht unglücklich verliebt ist, an die das Tagebuch halb gerichtet ist (er schreibt über sie in der Du-Form). Der größte Teil des Tagebuchs behandelt seine Liebe zu ihr.


Ich habe das erste Drittel des Tagebuchs abgeschrieben (Abschrift siehe unten); leider fehlt mir nun die Zeit, dies fortzuführen (bzw. es gibt noch weitere Tagebuchprojekte, mit denen ich mich gerade beschäftige).


Der Verfasser lebt offenbar in Leipzig, denn seine erste Reise beginnt am Leipziger Bahnhof Gohlis-Eutritzsch.


Es handelt sich anfangs um ein Reisetagebuch, wird aber bald zu einem klassischen Tagebuch. Behandelt werden aber v.a. die großen Gefühle, Liebe, innere Konflikte, in wunderschönen Formulierungen.


Anfangs zwei Reisen (Thüringen, 28. September bis 7. Oktober 1927) und Fahrt von Berlin nach Dresden und zurück nach Hause (3. - 5. Januar 1928); auf S. 44 beginnt das klassische Tagebuch.


Der ungenannte Verfasser ist offenbar Geologe oder studierte Geologie, denn am 24. April 1928 schreibt er von einer geologischen Exkursion zum Völkerschlachtdenkmal; ein andermal von "geologischen Betrachtungen". Eventuell handelt es sich um einen bekannten Wissenschaftler? In Frage käme z.B. Carl Walter Kockel (1898-1966), damals Privatdozent der Geologie an der Universität Leipzig, oder Rudolf Hohl (1906-1992), der damals in Leipzig Geologie studierte. Ich habe seine Identität leider nicht klären können; ich habe keinen Hinweis auf seinen Geburtstag gefunden. Auf S. 71 schreibt er, dass ein Verlag ihm Arbeit versprochen hat.


Er ist begeistert von Käthe Kollwitz ("stark, nachhaltig – aber bestätigend: Sie nimmt die Flitterhülle ab, die das Elend zudeckt. Man kann sich gegen die Wucht ihrer Kunst nur wehren, indem man an das Gegenständliche der Darstellung denkt").


Umfang: 122 nummierte Seiten, davon 116 mit Tagebucheinträgen beschrieben.


Das Tagebuch endet mit: "[...] aber ich möchte Dir ja noch mal sagen, nur einmal, wie lieb Du mir bist! Sonst ersticke ich daran! Du!!"


Format: 16,7 x 10,3 cm.


Zustand: Einband berieben, Seiten leicht gebräunt. Bitte beachten Sie auch die Bilder!


Transkription der ersten 40 Seiten (Reisetagebuch):

Thüringen.

Herbst 1927.

Tabarz, 28.9.27.

Warum wir bisher schon viele weite Reisen gemacht haben und noch nie so richtig in Thüringen waren? Ist es vielleicht, weil uns das alles eigentlich bekannt und gewohnt ist, weil man keine fremden Eindrücke und eindrucksvollen Erlebnisse haben kann – die uns noch eher das Erzgebirge mit seiner herben Art vermittelt? Wie es auch sei: Du stehst da oben am Fuchsstein im Walde und vor dir hebt sich aus blaudunstigem Waldtal der Inselsberg in die klare Röte des Abendhimmels und weiter nach Westen Welle um Welle des Waldes – und du musst denken: Wo schenkt deinem Auge ein Land solche Wälder und solche ganz in Ruhe gebettete Abendtäler? Ohne daß du erst keuchend eine ganz strenge Höhe dir erobert hast? Wo gibt dir ein Ort solchen Ausgleich zwischen Natur und Wohnkultur? Draußen sein – und doch daheim – das ist etwas ganz Neues.

Die Reise: 7.09 von Gohlis-Eutritzsch abgefahren, Personenzug bis Erfurt, im Triebwagen bis Gotha, dort ¾ Stunde Aufenthalt (kleiner Gang in die Stadt, breite gute Straße), 1.15 Weiterfahrt bis Friedrichroda (das nächste Mal nur bis Fröttstätt fahren, von dort fährt Autopost nach hier!).

Am Bahnhof das Bild eines verlassenen Fremdenortes: Autos, die nicht gebraucht werden, Leere, – Saisonschluss! Ein dicker Automensch liest uns auf, verpackt uns in seinen sehr schönen Wagen, und nun weht uns die richtige Thüringer Waldluft mit dem frischen spritzigen Herbstgeruch um die Nase, und das Auge sieht in vielgestaltige Parklandschaft und auf den sonnenbeschienenen Wald, der so gar nichts düsteres an sich hat und zudem ein paar flammendrote Kastanien und Eichen herausstellt, die dem Lichte ein Freudenlachen entlocken. Du lieber Gott, wie schön ist doch so ein Eckchen Waldwelt!

An dem kleinen Hotelchen zum Torstein setzt uns unser Wagenlenker ab, freut sich über den unerwarteten Verdienst, und wir sitzen beim Kaffee im "Hôtelchen", überlegend, ob wir hierbleiben oder nicht. Wir gehen vorsichtshalber erst noch auf die Kurverwaltung und holen uns die Wohnungsliste, vergleichen und finden, dass wir hier sehr gut aufgehoben sind. Nun wird eingerichtet, und schon atmet man befreit und neu belebt auf einem Wege durch Wiese und Wald. Der führt auf den Fuchsberg und Zimmerbergkopf. Da oben steht eine Bank – von da aus geht der Blick über die Bergwellen zum Hörselberg und nach der Wartburg, – die man freilich mehr ahnt als sieht. Dort möcht ich sitzen und hinuntersehen auf das Land, das wie mein Leben in Wellen dahingeht, auf und ab, und am schönsten ist, wemnn man von ferne und von oben darauf zurücksieht, wo das Herzklopfen um mühsame Anstiege, die Angst vor dunklen Schluchten, der Widerwille gegen das Markttreiben der Masse, der Schmerz um verlorene Wandergenossen überwunden

und vorbei ist und nur das eine noch bleibt, die Sehnsucht nach einer Seele, die das auch fühlt. Sie ist vergebens, dieses Wissen steht fest, aber es verhindert sie nicht. Viele haben hier gesessen und über dies Land geblickt – jedem ist es anders erschienen. Ich muss vieler ähnlicher Blicke denken, die das Leben mir schon schenkte – Korsika, Sizilien – die großartig waren und von prunkvoller Farbigkeit, die das Herz erbeben machten und den Sinn beklommen, weil man sie nur hinnehmen musste und aufspeichern und Angst hatte, sie zu verlieren, wie man einen Schmuck verliert, der das Leben wohl reicher macht, aber doch eigentlich nichts mit ihm zu tun hat! Aber hier, in dieser Welt lebt deine Seele, dieses hier kannst du ganz unbefangen, und es lässt dir die Freiheit, es entbindet dein Innenleben seiner Fesseln – und du könntest ersticken an verhaltenen Gedanken! – Warum muss ich meiner Großmutter hier gedenken? Ich weiß so wenig von ihrer Jugend, aber sie hat sie in diesem Lande hier verlebt – sie hat in solcher Umgebung sich mit ihrer Stickerei hinter die Büsche im Garten geflüchtet – weil dies Phantasieren mit rotem Garn auf einem grauen Stoffstückchen damals für ein Dorfkind doch eine seltsame Sache war. Hier hat sie ihre Lieder gelernt und die feinen, kleinen Moralsprüchlein, deren Klang aus ihrem Munde unsere allererste Kindheit noch begleitete, als sie schon wieder rückwärts wuchs "ins Grabeloch"zu, mit ihrem altersgebeugten Rücken.

Nach dem Abendbrot haben wir in der kalten klaren Nachtluft alle Sternbilder wiedergefunden, die wir im Sommer kennengelernt haben, und noch einige dazu.


29.9.27: Vor dem Frühstück einen Rundgang in der hintersten Morgensonne durch das Dorf und über den Kirchplatz, wo sich doch der vermisste Konzentrationspunkt für den Ort fand.

Und nun hier am Datenberge ein Sommerlager im Waldgrase für den ganzen Vormittag. Wiese, Wald und Himmelblau, Stille und Vogelzwitschern – gleich um 1 Uhr Aufbruch. "Die Hochtour", der Inselberg. Lauchagrund – wie Parklandschaft mit Promenadenwegen, aber hohe Fichten und Bachrauschen! An Massemühle vorbei, dann langsam aufwärts, am Torstein Blick auf Aschebergstein und geologische Betrachtungen, dann an der Lehne des kleinen Inselberges hin, viel Buchenwald, Sonne, gute Wege. Oben Kaffeeterasse mit Blick nach Norden über Friedrichroda und Finsterbergen, Abstieg über die Backofenlöcher in den Lauchagrund. Abends Sterne.


30.9.27: Die frühe Morgensonne über dem Datenberge wurde bald blass und verschwand, und beim Aufstehen zeigte sich ein trüber Tag. Trotzdem ging es mit Schirmen bewaffnet fort und es wurde eine prächtige Waldwanderung am Datenberg hinauf über die Rotenbergwiese am Apothekerloch vorbei über Cabarz zurück und erst zuletzt kam ein wenig Regen.

Nachmittags über Reinhartbrunn durch die Park-Waldlandschaft nach Friedrichroda. Kleine Stadt, gepflegt für die Fremden. Lange Straßen, Geschäft an Geschäft – glänzende Auslagen – nichts ist mehr ursprüngliches Leben einer kleinen Waldrodung. Schließlich weichen wir doch vor dem Regen und sitzen im Café. Mit der Musik des Geigers gleitet das Leben draußen vorüber: Der Fensterputzer poliert die großen Scheiben des Hutgeschäftes, die eigentlich schon blank sind, eine Schwester mit weißem Häubchen geht in die Drogerie, deren Fenster von einem Bogen voller Steinarabesken mit 14 Köpfen überwölbt ist, die Häuserfronten sind alle neu getüncht, und trotz der Enge der Straße ist über dem Dach noch ein wenig von dem großen Himmel zu sehen, über den langsam dünne Wolkenschleier ziehen. Solveighs Lied.

Er spielt es mit Hingebung. Und das graue Regenlicht ist die rechte Beleuchtung dazu. Sehnsucht nach Licht, der aber jede Wunschhaftigkeit verlorengegangen ist. Aber nun sind wir doch im Thüringer Wald: Wagen mit Langholz, ein hochbepackter Reisigwagen, kleine Handgefährte mit der Kartoffelernte des Landstädters, nun gar eine ganze Herde Hornvieh zieht vorüber, und ihre braunen Köpfe heben uns senken sich im Takte der Musik. Waldarbeiter kommen nach Hause – – der eine verkauft seine Leibeskraft für das Geld, das er braucht, um sie zu erhalten – der andere sitzt im – Café – und schaut dem Leben zu. Dass ich das einmal lernte! Wer hätte das je gedacht! Mit diesem Gleichmut und ohne aufzuheulen bei den weichen Stellen der Musik! Ja sogar mit einem kleinen inneren Jubel, wenn sie an vergangene kleine Freuden anklingt: Tom der Reimer, der Heimweg durch den dunklen Wald mit aufgehelltem Abendhimmel! Zuletzt wieder Sterne. Am Abend im Kino! Die Bräutigame der Babette Bomberling. Und gelacht! Ein gelungener liebenswürdiger Spott!


1. Oktober 27: Wieder Sonne. Spät auf. Auf einem Sonnenfleck im Grase am Datenberge. Dann über Cabarz durch warme Wiesen zurück zum Mittag (Feldenhain in Cabarz). Nachmittag nach der Hexenbank am Übelberg, etwa 300 m Steigung durch Wald und wieder Wald. Oben liegt eine Blöße in der Sonne, da braust der kalte Wind bloß von ferne in den Gipfeln.

Und man liegt im hohen dürren Grase geborgen vor ihm. Der Weg nach dem Aschenbergstein ist ein Laubengang in etwa 600 m Höhe unter niedrigen Buchen über dem Lauchagrund hin, und man sieht in das Vorland hinaus über das zierliche Häusergewirr der rotbedachten Dörfer hin, die sich ins Grün des Waldes zusammenhuschen. – Abends noch einen Gang in den Ort, Autoplätze für den Sonntag bestellen.


Sonntag, den 2. Oktober 27: Abfahrt um 9 Uhr. Erstes Ziel Oberhof. Steifgefroren ½ 11 Uhr ausgestiegen, ein warmes Frühstück. Dann weiter nach Zella-Mehlis. Eine Fahrt, die das Thüringer Land erschloss. Ganz und gar. Höhepunkte: Wasungen als alt-thüringische Siedelung, Salzunger See; Meininger Schloss, Park und Sonntagsspaziergänger, Bad Liebenstein, Schloss und Park Altenstein, Heimfahrt am Abend durch die dunklen Waldgründe, wo nur der Scheinwerfer des Wagens einen engen Lichtkreis schuf. Und dann beim Heimkommen der Jupiter zum Gruß über Tabarz.


Montag, den 3. Oktober 27: Vormittags nach dem Zimmerbergkopf. Nach dem nächtlichen Regen ist die Luft klar, man sieht sogar die Wartburg, wenn der Wolkenschatten sie freigibt.

Nachmittags zeitig fort nach Finsterbergen, aber nicht den kurzen Weg über Friedrichroda, sondern über die Berge. Finsterbergen zieht sich in euinem flachen Tal entlang, das Kurhaus thront wie ein Schloss auf einem Waldkegel über dem Orte, aber das Ganze ist mehr Dorf als Tabarz. Rückweg durch Wald im Dunkeln. Gespräch über Schulpolitisches.


Dienstag, den 4. Oktober 27: Die Luft ist wie Kristall, und der Inselsberg sieht von Cabarz so nahe aus wie ein Nachbarhaus. Kalt ist es, und auf dem Wege über die Villen am Datenberge kann man nur auf einer Bank sitzen, die zwischen Bäumen wie in einer Nische steht und die Sonnenwärme fängt. Auf dem Nonnberg gabs einen weiten Blick, die Leute sind bei der Kartoffelernte, der Hirt versammelt seine Herde, und zum ersten Male hören und sehen wir eine Schalmei.

Am Nachmittag wird zum zweitenmal der Inselberg erstiegen; diesmal durch das Felsental.


Mittwoch, den 5. Oktober: Vormittags Finstre Tanne. Nachmittag Tanzbuche und Rückweg durch den Ungeheuren Grund.


Donnerstag, den 6. Oktober: Rennstieg-Wanderung.

"Wandern heißt, mit sorglos heitern Sinnen

Durch der Tage goldne Freiheit schreiten,

Heißt, der Sehnsucht Schwingen jauchzend breiten

Und ein stilles tiefes Glück gewinnen."


Über der Schutzhütte Wachserasen am Rennsteig:

"Dies alles ist gemacht für arm und reich,

Drum schützt es auch vor Bubenstreich."


Aber Rennstieg-Wandern heißt: Den ganzen Tag von Wald und Einsamkeit verschlungen sein, Blicke in walderfüllte blaue Täler tun, von nebenumhangenen Höhen begleitet; über uralte Baumwurzeln steigen und durch nasse hohe Wiesen Tritte suchen, – bald über die freie Höhe schreiten, bald durch Buchenlauben und unter tiefhängende Fichtenzweige hindurchkriegen, bald wieder hoch auf glattem Wege unter hohen Tannen gehen.

Von Tabarz sind wir aufgestiegen, am Heuberghaus vorüber, – das war die letzte menschliche Siedelung, dann zeigt ein rotes Fähnchen den Einstieg an, uralte Grenzsteine sind bald dicht umwuchert, bald umgestürzt, bald wiederaufgerichtet. Der Weg verdoppelt sich auf Strecken, verschwindet oft beinahe zwischen Buchen und Fichten, und manchmal sind die tief ausgefahrenen Wagenspuren für den Fuß nicht zu benutzen, und man muss sich einen Pfad durch den Wald über roten weichen Nadelboden suchen.


Freitag, den 7.10.: Übernachten in Oberhof (Post). Nebel und Regen haben die Welt verschluckt. So wird die Strecke bis Bad Steben im Eisenbahnwagen an einem Tage überwunden.


1928.


3. I. 28: Im Zuge. Fahrt von Berlin nach Dresden.


Nun seh ich wieder weite Welt sich dehnen

Im dünnen bleichen Winterlicht!

Der Himmel neigt sich wieder zu der Erde –

ist wieder da!

Und Sonne wandert hinter Kiefernwipfeln

Rotglühend mit uns!

Und Fernen haben Frieden!

Von Menschen nur die Spuren ihrer Arbeit

Nicht mehr sie selber

Im Müdgehetzten blassen Stadtgesicht.

Und wenn ein Schornstein in den Himmel schneidet

Und eine Mastenreihe lange Drähte spannt

Hinein ins Land

So ist das schnell vorüber und lässt größre Ruhe

Dem Lande, das nichts von Getümmel weiß!


Dem schrecklichen Berlin entflohen, dem ich mich für zehn Tage verhaftet hatte! Freilich, eine Art Daheimsein beruhigte für zwei Tage, das "zu den Menschen gehen" tat doch wohl und soll nicht wieder verlernt werden, – das Museum mit Riemenschneider und einem Mailänder Mosaik des 4. Jahrhunderts war ein Erlebnis – auch einmal ein Gang Unter den Linden, wo die edle Silberschmiedekunst ihre Produkte in Fülle zeigt. Aber sonst – ich kann es nicht ändern, erweckt mir dieses Berlin einen Widerwillen mit dem Straßenleben, das so sehr auf den Schein gestellt ist. Ach ja! Käte Kollwitz noch! Stark, nachhaltig – aber bestätigend! Sie nimmt die Flitterhülle ab, die das Elend zudeckt. Man kann sich gegen die Wucht ihrer Kunst nur wehren, indem man an das Gegenständliche der Darstellung denkt und sic sagt: Das gibt es nicht mehr! So ist es nicht mehr! Heute nicht mehr! Freilich muss man schnell wegdenken, wenn es fragt: Weißt du das? Bist du in den Wohnhöhlen der Stadt gewesen dort, wo vielleicht noch keine Fürsorge eingedrungen ist? Wo vielleicht gar das Laster das Eindringen einer ordnenden und helfenden Hand wehrt! Woher kämen sonst die vielen unaufgeklärten Verbrechen, deren Spuren die Öffentlichkeit mit zu verfolgen eingeladen wird (Bilder im Polizeipräsidium!), wenn nicht aus den licht- und luft- und freudlosen Höhlen einer Millionenstadt?!


5. I. 28: Heimfahrt von Dresden. Jawohl, mein Freund, du bist sehr "nervös" – wenn du's auch nicht zugeben willst und im Luft-, Licht- und Wasserfanatismus dem Übel tapfer zu Leibe gehst. Du lebst in Büchern und glaubst selber zu denken, was der scharfe Peter Panter dir vordenkt! Trotzdem: Der Herzschlag geht etwas vor, wenns nach Dresden geht, obwohl das alles nicht so nachhaltig wirkt und sehr bald verebbt, weil Euer Le en ein wenig künstlich ist. Aber auch auf der Heimfahrt kommt das Herz nicht wieder in seinen Gleichtakt, denn es wartet ein Morgen, um dessentwillen es so viel gelitten hat. Und dann als größeres Ziel zweierlei: Ruhe und Sicherheit, besonders mit dir, Lotte! Feste Führung wieder von Kopf und Herz – wenn nicht mit dir, dann ohne und sogar gegen dich, – aber am liebsten natürlich mit dir. Die Krise muss nun sich lösen!

Und dann: Arbeiten! Dunkelheiten erhellen, – leere Stellen im Weltbilde ausfüllen, einmal wieder weiterkommen!

Und die Musik? Nicht zuviel davon, sie braucht zuviel Nerven. Und reisen? Ja!!! Und Menschen? Ja!!! O, du mein Schicksal, beschere mir dies im neuen Jahre! Lass mich die gewinnen, die nun gefunden sind, – und lass sie mich festhalten!