Angeboten wird eine Lithographie von Walter Becker

TITEL: ohne Titel [fünf Frauen]

TECHNIK: Lithographie (Kreide und Pinsel) auf leicht strukturiertem Velinpapier; lose in Passepartout

JAHR: undatiert [um 1950-55]

AUFLAGE: unten rechts in Blei nummeriert „15/14“

SIGNATUR: unten rechts in Blei signiert „Walter Becker“, sowie o.l. (auf dem Kopf stehenden, vom Passepartout verdeckt) nochmals in Blei signiert „W. Becker“

GRÖßE: 80,1 x 60,1 cm (Passepartout) bzw. 74,8 × 53,5 cm (Blatt) bzw. (etwa) 60 x 46 cm (Motiv) bzw. 61 × 48,1 cm (Größe des Passepartoutausschnitts)

ZUSTAND: Blatt lose in Passepartout; leichte Druckstellen im Blatt; am oberen Rand mittig kleiner Einriss (Länge etwa 2cm, vom Passepartout verdeckt); in Ecke u.l. klein in Blei nummer. „12“; verso u.r. klein in Blei nummer. „186“ (auf dem Kopf stehend); verso u.l. in Blei nummer. „K 2091“, ebenso nochmals im Passepartout u.r. in Blei nummer.

PROVENIENZ: aus dem Nachlass des Künstlers



---Von 1951 bis 1952 war Walter Becker als Dozent an der Kunstakademie Karlsruhe tätig. 1952 wurde er von dieser Lehranstalt auch zum Professor ernannt – ein Amt das ihm bereits elf Jahr zuvor angeboten, aus welchem er dann aber noch vor dem tatsächlichen Antritt auf politischen Druck hin herausgedrängt wurde. In seiner damaligen Bildsprache erarbeitet er für sich neue künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten mit einem höheren Grad an Abstraktion, ohne jedoch das Gegenständliche gänzlich zu verlassen. „Im Zuge seiner abstrahierenden Experimente hat sich Walter Becker dann der farbigen Lithografie und dem Linolschnitt zugewandt. Da ‚treibt er die Abstraktion nahe an die Gegenstandslosigkeit heran: Gruppenszenen, Großstadtpaare, Motorradfahrer werden zu Figurinen verformt und verwandeln sich in surreale Metaphern‘, konstatiert Rainer Zimmermann.“ [1]

Das vorliegende undatierte Blatt wird in dieser Schaffensphase um 1950-1955 entstanden sein. Deutlich ist hier die von Rainer Zimmermann angesprochene ‚Verformung‘ und ‚Verwandlung‘ ablesbar. Vor einem nicht näher lokalisierten Hintergrund aus Bäumen und Sträuchern lässt Becker fünf mondän sich zeigende Damen auf einem gepflasterten Weg entlang gehen. Die Körper der Frauen heben sich durch ihre Helligkeit deutlich vom Dunkel des Hintergrunds ab, wobei Becker die Darstellung der Körper, abgesehen von den Köpfen und den Füßen, in großzügigen, kantigen Flächen ausführt. An den Körpern finden sich zudem Eigenheiten der Kleidung, die zumeist etwas farbschwacher als der Rest in ein Grau übergehen – man sieht Mantelkonturen, Mantelkrägen, modische Kleider. Die fünf Paar Füße mit ihren Schuhen und die Köpfe der Frauen sind feiner und deutlicher ausgearbeitet als die Körper. Und dezidiert erkennt man an den der Haltung der Füße, der Wahl der Schuhe, ebenso wie an den signifikanten Merkmalen der Gesichter (Mund, Auge, Nase, Haare), was sich bei der Betrachtung der Körper schon in den jeweils unterschiedlichen Kleidern zeigte: die Individualität jeder Frau. In keiner Haltung und in keiner Kleidungswahl gleicht eine der anderen. Doch ist diese Darstellung keinesfalls ein kritikloses Lob auf die Individualität, vielmehr lässt Becker die Frage offen, wie die fünf Frauen zueinander stehen. Kennen sie sich, mögen sie sich vielleicht gar, oder sind es schlichte Zufallsbekanntschaften, die in der urbanen Anonymität sich nur allzu schnell wieder verlaufen.

Becker greift in dieser Lithographie ein zutiefst existenzielles Thema auf, das ihn unabhängig von verschiedenen Darstellungsweisen immer wieder beschäftigte. „Das Thema der menschlichen Beziehungen und damit verbunden dasjenige der Einsamkeit ist für ihn grundlegend. Anschaulich wird es in dem immer wiederkehrenden Motiv der Paare oder Dreiergruppen, das von seinen malerischen Anfängen an bis zu seinen letzten Äußerungen dominant bleibt.“ [2] Obgleich hier eine Fünfergruppe dargestellt ist, kann dieses Werk zweifelsohne für diese Thematik als ein wunderbar ausgeführtes Beispiel aus den 1950er Jahren gelten.

____________________________

[1] Ingrid von der Dollen (2015): Walter Becker 1893-1984 Malerei und Grafik; Tutzing: Edition Joseph Hierling; S. 61.
[2] Ebd.: 125f.

 

 

Zu Walter Becker (01.08.1893 Essen - 24.10.1984 Tutzing):

Maler, Zeichner, Grafiker; Sohn des Schmieds Eduard Becker und dessen Frau Johanna, geb. Eickmeyer; 1908 Tod des Vaters; 1910-13 Abendklasse an der Kunstgewerbeschule Essen; Ausbildung zum Gebrauchsgrafiker; 1914-15 Kriegseinsatz, wobei er den Winter 1914 aufgrund von Tuberkulose im Schwarzwald verbrachtete; 1915 wurde er dann als 'Landsturmmann ohne Waffe' zum Wehrdienst eingezogen und als Wachmann am Alten Durlacher Bahnhof eingesetzt; aufgrund seiner labilen Gesundheit wurde er noch 1915 vom Kriegsdienst befreit; prägende Bekanntschaft mit Karl Albiker; 1915-18 Studium an der Kunstakademie Karlsruhe (bei Walter Conz); nach dem Ersten Weltkrieg wird Becker v.a. als Illustrator bekannt (Illustrationen u.a. zu Jean Paul: Jean Paul Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei (Heidelberg, 1918); Nikolai Gogol: Der Mantel (Heidelberg, 1920); E. T. A. Hoffmann: Die Königsbraut (Potsdam, um 1920)); 1919-22 Entwürfe für die Karlsruher Majolika-Manufaktur; 1922-23 Studium an der Kunstakademie Dresden; Meisterschüler bei Karl Albiker; November 1923 Heirat mit Yvonne von König (Tochter der Malerin Mathilde Tardif und Adoptivtochter Leo von Königs); 1924-36 Wohnsitz in Südfrankreich (Cassis-sur-Mer), dort Bekanntschaft mit u.a. Georges Braque, Jules Pascin, Erika und Klaus Mann, Thomas Mann; 1936 Rückkehr nach Deutschland, dort zunächst in München, dann in Utting am Ammersee in dem Haus Bertolt Brechts ansässig, bevor ein Haus in Bühl (Baden) gebaut wird; 1937 werden 19 Arbeiten bei der Aktion "Entartete Kunst" beschlagnahmt; 1937-38 Reise nach Florenz und Sienna; ab 1938 Wohnsitz in Tutzing, dort Bekanntschaft mit dem Cellisten Ludwig Hoelscher und dessen Frau Marion; 1941 Berufung als Professor an die Kunstakademie Karlsruhe, doch noch vor seinem Antritt wurde sein Atelier versiegelt und er wurde gezwungen von dem Vertrag zurück zu treten; 1951-58 Lehrer an der Kunstakademie Karlsruhe; 1952 Ernennung zum Professor; 1957 Tod der Ehefrau Yvonne; 1958 Pensionierung; 1958 Umzug nach Tutzing; 1968 fortschreitende Einschränkung der Sehkraft; 1974 Umzug in ein Seniorenstift in Dießen am Ammersee; ab 1976 erneuter Höhepunkt der Kreativität

Mitgliedschaften: 1919-20 Karlsruhe, Gruppe Rih; (spätestens) 1928-36 und 1957-67 Deutscher Künstlerbund; 1954-56 Pfälzische Sezession.

Ab 1918 hatte Walter Becker zahlreiche Einzelausstellungen und Beteiligungen an Gruppenausstellungen.

Preise: 1931 1. Kunstpreis der Stadt Hannover für das Portrait von Marcel Sauvage; 1952 1. Preisträger der Internationalen Graphik Gilde Paris;

Werken befinden sich u.a. im Besitz von den folgenden Sammlungen: Museum für aktuelle Kunst – Sammlung Hurrle, Durbach; Kunsthalle in Emden – Sammlung Henri Nannen; Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen; Museum Folkwang, Essen; Städtische Galerie Ettlingen; Staatliche Kunsthalle Karlsruhe; Augustinermuseum, Freiburg; Sprengel Museum Hannover; Kunsthalle Würth, Schwäbisch Hall; Universitätsmuseum, Marburg; Kunsthalle Schweinfurt

LITERATUR (Auswahl): Dollen, Ingrid von der (2015): Walter Becker 1893-1984 Malerei und Grafik; Edition Joseph Hierling; Tutzing --- Jessewitsch, Rolf / Schneider, Gerhard (Hrsg.) (2008): Entdeckte Moderne. Werke aus der Sammlung Gerhard Schneider; Kettler; S. 476 -- Mülfarth, Leo (1987): Kleines Lexikon Karlsruher Maler; Badenia-Verlag; Karlsruhe; S. 23-24 --- Portz, Hubert (2008): Walter Becker. Frühe Werke 1914-1933; Edition Strasser --- Schneider, Erich (Hrsg.) (2009): Expressiver Realismus. Die Sammlung Joseph Hierling [Schweinfurter Museumsschriften 166/2009]; Schweinfurt; S. 34 --- Zimmermann, Rainer (1994): Expressiver Realismus. Malerei der verschollenen Generation; Hirmer; München; S. 350 --- Kunst in Karlsruhe 1900-1950. Ausstellung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe im Badischen Kunstverein 24. Mai - 19. Juli 1981; Müller (Karlsruhe); S. 148 --- Internetseite zum Künstler [walter-becker.com]