"Alles, was Spaß macht, ist entweder verboten, unanständig oder ungesund." Dieser Stoßseufzer eines Genießers bringt es auf den Punkt. Wir leben fürwahr in lustfeindlichen Zeiten. Die Kirchenoberen werden nicht müde, nach dem Unterleib ihrer Schäfchen zu greifen, und Ernährungsexperten aller Art verbieten uns jetzt auch noch den Mund. Diätpäpste verkünden die neuen Ersatzreligionen und versprechen das ewige Leben in jugendlicher Schönheit - sofern man denn ihre Gebote befolgt. Sie missionieren gegen die Todsünden unserer Ernährung ( "zu viel -zu süß - zu fett - zu salzig") und warnen gebetsmühlenhaft vor dem nahenden Herztod durch das weichgekochte Ei, wie weiland die Pfaffen vor Rückenmarksverlust durch Onanieren. Statt Ablaßbriefen für den wohlhabenden Sünder verkaufen die modernen Prediger Vitaminpillen gegen die Angst vor Impotenz und Alter, Formula-Diäten zum Design der Oberschenkel und Rotweinpillen für Banausen. Das Trommelfeuer an Ernährungsge- und -verboten wirkt. In den USA plagen sich bereits Sechsjährige mit den ersten Diäten. Als Erwachsene zählen sie dann artig ihre Kalorien, prüfen täglich mit der Badezimmerwaage die Standhaftigkeit ihres Glaubens, handhaben die Kalorientabelle wie den Katechismus und beten jeden Blödsinn über kalorienarme Butter, vitalisierte Rohkost und die mehrfach ungesättigten Spekulationen der Experten für gesunde Ernährung nach. Wären die Menschen aufgrund all der Ratschläge tatsächlich gesünder geworden, niemand würde etwas sagen. Aber nach 40 Jahren unermüdlicher Gehirnwäsche im Namen der Gesundheit lassen die Beweise für den Nutzen der Entsagung noch immer auf sich warten. Statt dessen wächst die Zahl der diätgeschädigten Dicken und der Eßgestörten. Bittere Ironie: Die einzigen, die es geschafft haben, sich mit dem Verstand gegen den Körper durchzusetzen, sind die Magersüchtigen. Sie kontrollieren jeden Happen und achten ständig aufs Gewicht. Sie kennen die Kalorientabellen auswendig, kauen jeden Bissen zwanzigmal und essen nicht mehr, als sie sich erlauben, egal, ob's Fritte, Pommes mit Mayo oder Mousse au chocolat gibt. Ihr Wille hat gesiegt - aber um welchen Preis. Die Umerziehungsversuche auf dem Gebiet der Ernährung müssen scheitern. Zum einen ist der Appetit mit dem Verstand kaum steuerbar - auch wenn wir als wohlerzogene Deutsche lieber an mangelnde Selbstbeherrschung glauben als an einen Mangel an Genußfähigkeit. Essen ist ein Trieb. Nahrungsaufnahme, die Auswahl der Speisen, der Appetit sind entwicklungsgeschichtlich älter als die Sexualität. Sie sind im Instinkt verankert und dem Verstand, der Ratio, auf Dauer nicht zugänglich und von ihm langfristig auch nicht steuerbar. Das Sexualverhalten des Menschen erscheint dagegen noch vergleichsweise rational und beeinflußbar. Essen und Trinken sind überlebenswichtige Grundbedürfnisse. Dies hat die Biologie so festgelegt - ob es uns paßt oder nicht. Allein der Tatbestand, daß seit Jahrzehnten Ratschläge auf Ratschläge folgen, Theorien auf Theorien, Diäten auf Diäten, zeigt dem unbefangenen Beobachter, daß hier ein grundsätzlicher Denkfehler vorliegen muß.