DVD 
lichtes meer (2015)

ist ein Coming-of-Age-Film von Stefan Butzmühlen aus dem Jahr 2015. Der offizielle deutsche Kinostart war am 4. Februar 2016.


YO HO, AND UP HE RISES

In seinem zweiten Spielfilm Lichtes Meer beleuchtet der junge deutsche Filmemacher Stefan Butzmühlen die Sehnsucht zwischen zwei jungen Männern, die gleichermaßen eine ‚See-nsucht‘ ist nach dem Meer, der Romantik. Es ist ein Film voller Gefühle, die man im deutschen Kino sonst nur selten spürt, und unter der brodelnden Oberfläche handelt der Film auch vom Verschwinden oder der Unmöglichkeit dieser Emotionen. Der Film ruft nach etwas außerhalb dessen, was er sein kann und darf. Die unerwiderte Liebe und der moderne Frachter, auf dem er zu großen Teilen spielt, sind kaum mit den assoziierten Gefühlen in Einklang zu bringen, und so herrscht ein beständiger Zweiklang, der in den besten Momenten ein „sich verlieren“ beherbergt.

Im Zentrum des Films steht der junge Marek, gespielt von einem arg orientierungslosen Martin Sznur. Er träumt vom Meer, er träumt von der Liebe. Marek wird uns in einer Voice-Over-Erzählung durch die Handlung führen. Manchmal vermag diese Erzählstimme eine Brüchigkeit und zusätzliche Sensibilität in die mal atemberaubenden, mal zu offensichtlichen Bilder des Films legen, oft wirkt sie aber wie ein unnötiger Scheinwerfer, der die Ambivalenz des Matrosenflirrens aufklärt. Marek ist Matrose in Ausbildung auf einem Containerschiff. Schon beim Warten auf das Schiff am Ufer lernt er den französischen Seemann Jean (Jules Sagot) kennen. Sie arbeiten auf einem riesigen Containerschiff, das über St. Nazaire nach Montoir-de-Bretagne in Richtung Antillen nach Martinique fährt, und beginnen eine leidenschaftliche Affäre. Dabei scheint es Jean nur um den Sex zu gehen, während Marek, der sich auch selbst finden muss, mehr will.

Butzmühlen gelingt hier eine spannende Annäherung zwischen einem sexuellen Verlangen und der Weite des Meeres. Beide tragen in sich ein Versprechen der Unendlichkeit, beide sind – oder besser waren – ein häufiges Motiv der Kunst- und Filmgeschichte. Man denke an Filmemacher wie Jean Epstein, der zu seiner Liebe zum Atlantik einzig ein Pendant in seinen Nahaufnahmen von liebenden Frauen fand. Der Fokus liegt hier auf der Vergangenheitsform, da Butzmühlen sich der Schwerkraft seines Unterfangens durchaus bewusst ist. Wir haben hier keinen Filmemacher, der wie so viele andere einfach Vorbilder kopiert, sondern einen, der Bilder aus der Filmgeschichte aufgesogen hat und daraus eine eigene Sprache filtert. Diese geht nicht immer in Gänze auf, aber sie trägt dasselbe Versprechen, dieselbe Sehnsucht in sich wie Lichtes Meer. Ein Motiv dieser Engführung findet sich im Unterwasserrauschen auf der Tonebene, durch die alles ein wenig entfernt und doch zärtlich-hypnotisch wirkt. Auf Bildebene bringt der Film Unterwasseraufnahmen in eine strukturelle Nähe mit einer Sexszene. Es ist ein Eintauchen in diese Liebe, in das Meer. Dabei wahrt Lichtes Meer eine notwendige Distanz, die diese Doppelung erst zulässt.

Leider ist der Film nicht immer derart subtil. Vom Austernessen bis zu einem äußerst direkten Kickerspiel lässt der Film bereits vor dem Beginn der Schifffahrt zu wenige Zweifel an den Motivationen seiner Figuren, obwohl er doch sonst größtenteils auf unnötige Psychologisierungen verzichtet. Es ist ein schmaler Grat, aber Lichtes Meer hätte durchaus das Potenzial, alles über solche Bilder zu erzählen, wie jenes von Marek im Halblicht seiner Kajüte. Das liegt auch daran, dass der Filmemacher es wie bereits in seinem Erstling Sleeping Knights versteht, Körper und Körperlichkeiten zu filmen, und sich in ihnen und der schieren Präsenz ihres jugendlichen Appetits zu verlieren. Es erübrigt sich fast zu sagen, dass ihm dies auch mit dem Meer und dem Schiff selbst gelingt, die er ganz ähnlich wie Peter Hutton in At Sea als eigenen Körper betrachtet. Es ist beeindruckend, wie der Film aus seinem melodramatischen Begehren immer wieder in eine Dokumentation über das Leben auf dem Schiff kippt, ohne dabei an Atmosphäre zu verlieren. In der zweifelsohne herausragenden Szene des Films legt sich das rudimentäre Handlungsgerüst endlich schlafen und die Bilder machen Liebe mit dem Meer zu Puccinis Arie aus Madame Butterfly. Dabei spiegelt das Drama von Bild und Musik beständig das Innenleben von Marek. Selbst kann er es nicht kommunizieren, aber der Film mit seinem Mut zur Emotion traut sich, dem jungen Mann eine Stimme zu geben.

Während der Reise liest der junge Mann rauschhafte Passagen aus Pêcheur d’islande von Pierre Loti, und es finden sich auch Spuren des Romans im Voice-Over. Hinzu kommen zahlreiche wirklich großartige Songs, die die rauen Herzen des Seemannlebens zum Schmelzen bringen. Gleichzeitig aber existiert hier eine Alltäglichkeit, die das alles nicht zulässt. Man könnte sagen, dass der Film eine wahre Coming-of-Age-Geschichte ist, weil er beständig die Träume eines jungen Mannes mit den Realitäten konfrontiert. Es gibt hier einen unschuldigen Faschismus der Liebe, eine bezaubernde Gischt, die einen vernichten würde, und einen Schritt in die Einsamkeit, wenn man sich hingibt. Was den Übergang so schwer macht, sind die exotischen und fiebrigen Kulissen des Films, der schließlich das Meer für einige Zeit verlässt und in einem Apichatpong-Urwald samt Glühwürmchen und einer schwitzenden Verlorenheit landet. Hier steckt vielleicht noch ein anderer Film, der nicht so ganz in die Matrosenwelt passen will, weil die aufrichtige Liebe zum Meer damit nur zu einem Aspekt der Exotik und des gespiegelten Innenlebens wird, obwohl der Film doch so selbstbewusst in die Welt der Matrosen hineingeht.

Was bleibt, ist ein verstellter oder eingesperrter Blick aufs Meer aus einem Hotelzimmer. Der nackte und einsame Körper von Marek dreht sich weg vom gleichgültigen Ozean und verschwindet aus dem Bild. Wir verharren auf dem Potenzial dieser ewigen Welt, und wie in Gustave Courbets Gemälde Marine, wenn auch deutlich nüchterner, fühlen wir, dass wir diesen Horizont nie erreichen werden.

Handlung

Marek beginnt ein Praktikum auf einem Containerschiff. Voller Vorfreude verlässt er den Bauernhof der Eltern in Vorpommern und geht in Saint-Nazaire an Bord. Marek will die Freiheit kennenlernen und verliebt sich in den geheimnisvollen Matrosen Jean. Allmählich entwickeln sie eine Liebesbeziehung zueinander, doch lange währt die Harmonie nicht. Während Marek sich einen liebevollen Freund und Zuhörer wünscht, scheint Jean nur auf eine rein körperliche Affäre aus zu sein. Die beiden geraten nun öfter in Streit, bis Marek schließlich in einem Moment von Klarheit die Seefahrt aufgibt. Der Film endet mit einer letzten Einstellung, in der Marek aus seinem Hotelzimmer hinaus aufs Meer blickt und sich letztlich wieder dem Alltag zuwendet.

Hintergrund

Für seinen zweiten Spielfilm nach Sleepless Knights fuhr Butzmühlen als Regisseur ein Jahr zuvor für einige Zeit selbst als Passagier auf einem Containerschiff, um die Tagesabläufe und die Stimmung der Matrosen zu erfassen. Als weitere Inspirationsquellen dienten unter anderem die autobiografischen Aufzeichnungen von Herman Melville, Autor von Moby-Dick, sowie der Roman Pêcheur d’Islande des Schriftstellers und Marineoffiziers Pierre Loti.


Öler, Schweißer und Wischer

Von Billy Budd bis Querelle: die schwulen Matrosen von „Lichtes Meer“ können auf eine illustre Ahnengalerie zurückblicken, um die sie sich jedoch wenig scheren. Anhalt findet der Film anderswo: bei traditionellen Seemannsliedern (und von Fabrizio Tentoni eigens arrangierten Pastiches derselben) oder bei Puccinis Madama Butterfly, den Blick erwartungsvoll aufs Meer gerichtet. Ein eingängiger, eklektischer Soundtrack, der Weite, Ferne und Sehnsucht trianguliert, den Bildern dabei aber irgendwie äußerlich bleibt als mal ironisch distanzierter, mal gemütvoll überblasener Paralleltext, nie ganz sich deckend mit der Wirklichkeit an Deck. An Bord eines Containerschiffs kommen sich der Möchtegernmatrose Marek und der versierte Schiffsmechaniker Jean allmählich näher. Und bleiben sich doch fern, gefangen in der kognitiven Dissonanz zwischen den Songs, die sich aus Sicht der Daheimgebliebenen nach dem ausgezogenen Matrosen sehnen, und jenen, die, schwankenden Schritts, das Lob des offenen Horizonts und der neuer Ufer singen.

Die Geschichte ihrer Begegnung ist doppelt gerahmt – doppelt entfernt – als Erinnerung in Rückblende, die ihrerseits angeregt wird durch einen Briefwechsel. Nähe und Distanz, Intimität und Autonomie schließen einander nicht aus in diesem Film, sondern stehen in einem unauflöslichen Spannungsverhältnis, auch wenn Marek das erst noch am eigenen Leib erlernen muss. Vom pommerschen Bauernhof seiner Mutter, wo er vorübergehend arbeitet, versetzt er sich zurück auf das Containerschiff, auf dem er zuvor angeheuert hatte auf der Suche nach – ja, wonach eigentlich? Mareks Zukunft, soviel steht zu Beginn von Lichtes Meer fest, die liegt in Deutschland – der Studienplatz in Berlin wartet bereits –, aber der Film weiß es besser und wird uns am Ende der langen Rückblende nicht in die rahmende Erzählgegenwart zurückholen, sondern entlässt uns, ohne festen Boden unter den Füßen, in eine Vergangenheit am offenen Fenster, als alles noch Möglichkeit war. Das erste Zusammentreffen mit Jean in einem Hotel, wo Marek der Ankunft seines Frachters harrt, der nie kommen wird. Durch einen Türspalt erspäht er einen Ringkampf, ein Wirbel nackter Oberkörper. Einer davon gehört Jean, der ihn tags darauf informiert, dass die Frachttour, auf die Marek wartet, abgesagt wurde aufgrund eines Motorschadens: die Schifffahrt ist eine kapriziöse Geliebte. Zusammen machen sich die beiden auf nach Saint-Nazaire, um von dort ein anderes Schiff zu nehmen. Zu Fuß, per Anhalter: wer Fernweh hat, dem ist jedes Mittel recht. Am Hafen richtet Jean ein Fernrohr auf Marek, als ob er ihn von ganz weit her zu sich heranholen müsste. Jean ist nicht zum ersten Mal auf großer Fahrt, kein Decksbauer wie der zum Toilettenputzen abkommandierte Marek, sondern in verantwortlicher Position an den Schiffseingeweiden. In seiner Bewegung von Pommern an die französische Atlantikküste und von dort nach Martinique funktioniert „Lichtes Meer“ ein wenig wie ein nautisches Road Movie, nur dass die Route, anstatt uns durch einen sozialen Raum zu führen, den rein logistisch bestimmten Koordinaten des internationalen Handels folgt. Ein Containerschiff ist kein Personenkraftwagen, aber eben auch keine Bounty und keine Pequod – kein Ort, der (homosoziale) Gemeinschaftsbildung oder den Verfolg von Privatobsessionen anregt – sondern eine aus lauter identischen Modulen zusammengesetzte schwimmende Abstraktion, die nur ein Ziel kennt, dem alles andere unterstellt ist: den Warenverkehr. Es ist darum auch nie die Rede davon, dass Mareks und Jeans Liebelei Anstoß erregen könnte unter der restlichen Crew, die durchweg schemenhaft bleibt und nur im Verbund mit dem Schiff, als Teil der Gesamtmaschinerie, in Erscheinung tritt. 

Ein monströses Setting, das man auch in Richtung „Leviathan“ oder „Dead Slow Ahead“ hätte ausdeuten können; dennoch hat es Hand und Fuß, wenn Regisseur Stefan Butzmühlen das Monster mit eigentlich anachronistischer Seemannsromantik anstreicht. Liebe zwischen Containern und Sex, übertönt von Maschinenlärm: eröffnet die totale Abstraktion zuletzt eigene Formen von Freiheit? Zumindest gesellschaftliche Repression, so scheint es, muss hier niemand fürchten. Außer der, die man selbst mitgebracht hat. Wie nebenbei erstellt „Lichtes Meer“ ein Inventar des Containerschiffs – seiner Länge, Breite, maximalen Ladekapazität (2462 TEU) und der sonderbar anzüglichen Nomenklatur seiner Belegschaft, vor allem im Maschinenraum, wo sich “Öler”, “Schweißer” und “Wischer” tummeln. (Ein für die Kühlanlagen an Bord zuständiger Schmierer, so weiß Wikipedia, heißt im Seemannsargot “Eisbär”, aber den hat sich der Film entgehen lassen.) Nie lässt „Lichtes Meer“ vergessen, dass seine Erzählung ein Anhängsel transatlantischer supply chains ist, Schmuggelware gewissermaßen, die sich auf der regulären Handelsroute Nischen sucht; kleine Freiheiten inmitten des gleichförmigen und gegen seine Fiktionalisierung völlig gleichgültigen Schiffsbetriebs. Etwas Improvisatorisches haftet den Liebeshändeln von Marek und Jean deshalb an, sie proben und probieren. Dass Marek Deutscher ist und Jean Franzose, hilft dabei: “Wie sagt man Penis auf französisch?” Die Differenz zwischen den beiden, was sie zugleich entfernt und anzieht, wird nicht nur sprachlich ausgetragen, sondern steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Und wie schon im Fall des schwelgerischen Soundtracks kann man sich auch im Hinblick auf das deutsch-französische Typecasting nie ganz sicher sein, wie ernst es dem Film ist mit seinen gesuchten Klischees. Der Kamerablick ist stets von Begehren durchwirkt, Bild und Ton scheinen teilzuhaben an Mareks Projektionen und Besetzungen. Dazwischen lange Einstellungen in realistischer, ja dokumentarischer Auflösung, aber auch sie können jeden Moment seemannsromantisch überlaufen: Containerstapel schieben sich durch die elektrische Nacht, sentimentalisch unterspült vom „Humming Chorus“ aus „Madama Butterfly“. Vielleicht hat es mit Mareks unübersehbarem Deutschsein zu tun, wenn er auf halber Strecke klare Verhältnisse und somit eine Form von Stabilität fordert, die dem Seemannsdasein – nicht nur als romantischem Ideal, sondern auch und gerade in seiner handfesten Wirklichkeit, als Handels- und Wetterkonjunkturen unterworfene Saisonarbeit – in gerader Linie zuwiderläuft. Jean, der seit Jugendtagen keinen festen Freund mehr hatte, weiß dieser Forderung erst gar nicht zu begegnen. Der Landgang auf Martinique, auf der anderen Seite des Atlantiks, verspricht eine andere Bewegungsart, in einem anderen Element; Zeit für Abdrift und Verirrung. Aber Marek ist eifersüchtig, nervt herum, bis Jean sich nicht mehr anders zu helfen weiß und ihn – genau! – einen Faschisten nennt. Das ist der Tiefpunkt, wenn nicht des Films, so doch ihrer Beziehung. Dann jedoch, wie von magischer Hand, verschiebt sich etwas zwischen den beiden für einen kurzen, glücklichen Moment. Mag sein, dass die Glühwürmchen ihnen heimgeleuchtet haben. Marek schält eine Orange und sieht aus wie in einem Film; Johnny’s gone to Hilo. Bonusmaterial: Booklet; Kurzfilm: "Her Miniatures"; Kinotrailer; Produktinformation



  • Seitenverhältnis ‏ : ‎ 16:9 - 1.77:1
  • Alterseinstufung ‏ : ‎ Freigegeben ab 12 Jahren
  • Produktabmessungen ‏ : ‎ 13.9 x 1.7 x 19.3 cm; 83.16 Gramm
  • Modellnummer ‏ : ‎ 27044338
  • Regisseur ‏ : ‎ Butzmühlen, Stefan
  • Medienformat ‏ : ‎ DVD-Video
  • Laufzeit ‏ : ‎ 1 Stunde und 19 Minuten
  • Erscheinungstermin ‏ : ‎ 4. August 2016
  • Darsteller ‏ : ‎ Sznur, Martin, Sagot, Jules, Melchior, Katharina, Melchior, Niels, Melchior, Lisa
  • Untertitel: ‏ : ‎ Deutsch, Englisch
  • Sprache, ‏ : ‎ Deutsch (Dolby Digital 2.0), Deutsch (Dolby Digital 5.1), Englisch (Dolby Digital 2.0), Englisch (Dolby Digital 5.1), Französisch (Dolby Digital 2.0), Französisch (Dolby Digital 5.1)
  • Studio ‏ : ‎ Salzgeber & Co. Medien GmbH
  • ASIN ‏ : ‎ B01J53CC0S
  • Herkunftsland ‏ : ‎ Deutschland
  • Anzahl Disks ‏ : ‎ 1