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Erstausgabe 1963/ 64
Autor: Rolf Hochhuth * Titel: Der Stellvertreter Schauspiel Reihe: Rowohlt Paperback, Band 20 Verlag:
Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1963/ 64 274 Seiten, Paperback, Frontispiz
Vorwort: Erwin Piscator *
* Biographien siehe unter den
Fotos
Maße: 20,5x 12,5 cm Zustand: Einband etwas bestoßen, Bindung gut, Seiten sauber, Innendeckel ergraut, letzte Seiten und Rückdeckel Eselsohr
Rolf Hochhuth
Rolf
Hochhuth (* 1.
April 1931 in Eschwege; † 13. Mai 2020 in Berli)
war ein deutscher Dramatiker und ein maßgeblicher Anreger
des Dokumentartheaters. Internationalen Erfolg erzielte er mit dem
„christlichen Trauerspiel“ Der Stellvertreter. Als rigoroser „Moralist
und Mahner“ setzte sich Hochhuth wiederholt mit der Zeit des
Nationalsozialismus und aktuellen politischen und sozialen Fragen
auseinander. Mit offenen Briefen versuchte er seit den 1960er Jahren
Einfluss auf die Politik zu nehmen und „fordert[e] deren moralische
Erneuerung.“ Leben und WerkRolf Hochhuth
war Sohn des hessischen Schuhfabrikanten Friedrich Ernst Walter Hochhuth und
dessen Ehefrau Ilse Hochhuth, geb. Holzapfel. Als einschneidendes Erlebnis nahm
der junge Hochhuth den Einzug der US-Truppen in Eschwege am 3. April
1945 wahr, der in seinem späteren Werk Spuren hinterlassen sollte. Hochhuth
ging 1948 nach der mittleren Reife vom Gymnasium ab und absolvierte
eine Buchhändlerlehre. Zwischen 1950
und 1955 war er als Gehilfe in Buchhandlungen und Antiquariaten in
Marburg, Kassel und München tätig. Sein besonderes Interesse als Leser galt
damals den Erzählern und Historikern des 19. und 20. Jahrhunderts (vor
allem Thomas Mann, Heinrich Mann, Robert Musil, Otto Flake, Jacob
Burckhardt, Oswald Spengler und Heinrich von Treitschke). Als Gasthörer
besuchte Hochhuth Vorlesungen in Geschichte, Philosophie und Literatur an den
Universitäten Heidelberg und München und unternahm erste
Schreibversuche. 1955 trat er als Verlagslektor in den Bertelsmann
Lesering ein. Zwei Jahre später heiratete er Marianne Heinemann, eine
ehemalige Klassenkameradin, deren Mutter, Rose Schlösinger, als
Mitverschwörerin der Roten Kapelle 1943 in Berlin enthauptet worden
war. Während
seiner Verlagstätigkeit gab Hochhuth Werkausgaben und
Erzählanthologien heraus. Als 1959 eine von ihm edierte Wilhelm-Busch-Ausgabe
des „Bertelsmann Leserings“ eine Auflage von einer Million Bänden erreichte,
belohnte der Verleger Reinhard Mohn seinen Lektor mit drei Monaten
Sonderurlaub. Hochhuth, der sich zum Protestantismus bekannte, nutzte
die Zeit zu einer Reise nach Rom, wo er Studien für ein erstes Drama betrieb und
Gespräche mit dem österreichischen Bischof Alois Hudal und dem
vatikanischen Diplomaten Bruno Wüstenberg führte. Literarisches Debüt: „Der Stellvertreter“ Im August
1961 nahm der Hamburger Verlag Rütten & Loening, der seit dem Vorjahr
zum Bertelsmann-Konzern gehörte und zu dem Hochhuth als Cheflektor
versetzt worden war, das Drama Der Stellvertreter zum Druck
an. Kurz darauf erreichte den Geschäftsführer Karl Ludwig Leonhardt eine
Anweisung von der Konzernzentrale aus Gütersloh, den Druck des als zu provokant
empfundenen Werks abzubrechen.Das Stück behandelt die Haltung des Heiligen
Stuhls gegenüber dem Holocaust. In dem Drama treten historische
Personen wie der SS-Obersturmführer Kurt Gerstein, der die
internationale Öffentlichkeit 1942 über den Holocaust zu informieren versucht,
neben fiktionalen Figuren auf. Ein Skript des Stellvertreters wurde
an den Rowohlt Verlag weitergeleitet, der es zwei Jahre später
zeitgleich mit der Uraufführung veröffentlichte. Die
West-Berliner Uraufführung des Stellvertreter am 20. Februar
1963, für die der Rowohlt Verlag den als Regisseur des politischen
Theaters bekannt gewordenen Erwin Piscator gewinnen konnte,
löste die bis dahin größte Theaterdebatte der Bundesrepublik Deutschland aus
(„Stellvertreter-Debatte“). Auch international sorgte Hochhuths Erstling für
großes Aufsehen. Das Stück führte in anderen europäischen Ländern zu Tumulten
während und nach Aufführungen. Für eine erfolgreiche Inszenierung am New
Yorker Broadway im Februar 1964 wurde Produzent Herman Shumlin mit
einem Tony Award ausgezeichnet. Während Der
Stellvertreter eine neue Phase des westdeutschen Nachkriegstheaters
einleitete, verbat der Autor sich bis 1966 Inszenierungen seines Stücks
in Ostblock-Staaten aus Sorge vor einer antikatholischen Interpretation,
die negativ auf seine Akzeptanz beim westlichen Publikum zurückwirken konnte.
Nach der DDR-Erstaufführung am 20. Februar 1966 am Theater Greifswald und
in zahlreichen ostdeutschen Städten ähnelten die Reaktionen der ostdeutschen
Kritiker denen in der Bundesrepublik. Doch begrüßten die DDR-Kritiker vor allem
den Schluss, in dem sowjetische Soldaten die letzten Lagerinsassen aus Auschwitz befreiten.
Hochhuths Angriffe auf die Wirtschaft und die Kirche wurden als unsozialistisch
verworfen. Die zentralen
Aussagen des fiktionalen Texts, der die Verantwortung des Individuums für
dessen Taten betonte, blieben aufgrund des von ihm ausgehenden historischen
Verdikts gegen Pius XII. umstritten. Aussagen Ion Mihai
Pacepas, eines ehemaligen Generals des kommunistischen rumänischen Geheimdienstes Securitate,
nach denen der Autor für das Theaterstück auf Materialien des sowjetischen
Geheimdienstes KGB zurückgegriffen sowie im Auftrag von
Geheimdiensten der Ostblockstaaten gearbeitet habe, wies
Hochhuth zurück. Hochhuths
Stück wurde 2002 von dem griechisch-französischen Filmregisseur Constantin
Costa-Gavras mit Ulrich Tukur in der Hauptrolle verfilmt. Von der Ära Erhard bis zur Ära SchmidtSeit 1963
arbeitete Hochhuth als freier Autor. Er siedelte in die Schweiz über, zunächst
nach Riehen im Kanton Basel-Stadt, dann direkt in die
Stadt Basel, um Distanz zu gewinnen, die ihm zur konsequenten
Erfüllung seiner schriftstellerischen Aufgabe erforderlich schien. In Basel
wurde ihm der existentialistische Philosoph Karl Jaspers zum
Freund und Mentor. Das damals entwickelte schriftstellerische
Selbstverständnis blieb auch für Hochhuths folgende Werke maßgeblich: Die
„Moralität des individuellen Handelns selbst unter Bedingungen existentieller
Bedrohung: das ist Hochhuths Thema; sie auszuloten und […] unbeirrbar
einzufordern, ist wesentliche Aufgabe des Schriftstellers.“ Im Mai 1965
äußerte Hochhuth in dem Essay Der Klassenkampf ist nicht zu Ende im Spiegel Kritik
an der gesellschaftlichen Situation in der Bundesrepublik und bekräftigte seine
Auffassung, dass Schriftstellern eine politische Funktion zukomme. Großes
Aufsehen erregte wenige Wochen später eine Replik von Bundeskanzler Ludwig
Erhard. In einer Rede vor dem Wirtschaftstag der CDU/CSU in Düsseldorf am 9.
Juli 1965 sprach der Bundeskanzler Schriftstellern wie Hochhuth das Recht auf
Einmischung in sozialpolitische Themen ab: „Die sprechen von Dingen, von denen sie von
Tuten und Blasen keine Ahnung haben. […] Nein, so haben wir nicht gewettet. Da
hört der Dichter auf, da fängt der ganz kleine Pinscher an.“ – Bundeskanzler Ludwig Erhard,
Düsseldorf, 9. Juli 1965 Dieser
Ausspruch rief heftige Reaktionen von Schriftstellern und der Presse auf den
Plan. Der amerikanische Dramatiker James Baldwin reagierte nach einer
Aufführung seines Stückes Amen Corner im Juli 1965 in Hamburg
ironisch mit dem Ausspruch: „Ich bin stolz darauf, ein Pinscher zu sein.“ 1967 legte
Hochhuth das Theaterstück Soldaten, Nekrolog auf Genf vor,
das Winston Churchills Kampf gegen Hitler behandelt und das abermals
an der Freien Volksbühne Berlin uraufgeführt wurde. Es stützte sich
wesentlich auf Studien des britischen Publizisten David Irving, der den
Bombenkrieg der Alliierten in seinen Schriften als Kriegsverbrechen darstellte
und der später als Holocaustleugner hervortrat. Hochhuth warf in
seinem Stück die Frage nach der Mitverantwortung Churchills für die
Luftangriffe auf deutsche Städte im Zweiten Weltkrieg auf. Auch
deutete er an, dass Churchill die Ermordung des Chefs der polnischen
Exilregierung, Władysław Sikorski, 1943 angeordnet habe.[15] Aufführungen
des Stücks in Großbritannien wurden anfangs untersagt. Einer Inszenierung am
New Yorker Broadway im Mai 1968 war wenig Erfolg beschieden. Gegen den Autor
wurden mehrere Prozesse angestrengt. Im Mai 1970
wurde die Tragödie Guerillas, über einen Staatsstreich von oben
durch einen US-amerikanischen Wirtschaftsboss, in Stuttgart durch Peter
Palitzsch uraufgeführt. 1972 fand im Schauspielhaus Zürich und
zeitgleich in verschiedenen deutschen Städten die Uraufführung der Komödie Die
Hebamme statt. In diesem Stück setzt sich Hochhuth satirisch mit
den sozialen Missständen in einer Kleinstadt auseinander. Der Regisseur Wolfgang
Spier verfilmte den Stoff 1976 mit Inge Meysel als Hebamme. 1974
wurde Hochhuths Komödie Lysistrate und die Nato in Essen, Wien
und Hamburg zugleich uraufgeführt. Von der Filbinger-Affäre bis zur deutschen
Einheit Durch einen
Vorabdruck seiner investigativen Erzählung Eine Liebe in Deutschland in
der Wochenzeitung Die Zeit am 17. Februar 1978 entfachte
Hochhuth die Diskussion um die Vergangenheit des baden-württembergischen
Ministerpräsidenten Hans Filbinger als NS-Richter. In seiner
Erzählung vertrat Hochhuth die Auffassung, Filbinger habe als „Hitlers
Marinerichter“ noch nach Kriegsende „einen deutschen Matrosen mit Nazi-Gesetzen
verfolgt“. Filbinger strengte kurz nach der auszugsweisen Veröffentlichung der
Erzählung eine Unterlassungsklage am Landgericht Stuttgart gegen
den Dramatiker an, der ihn öffentlich als „furchtbaren Juristen“ bezeichnet
hatte. Die Klage wurde abgewiesen. Im Verlauf
der weiteren Auseinandersetzung behauptete Filbinger, er habe in seiner
Eigenschaft als Richter kein einziges Todesurteil gesprochen. Am 15.
Mai 1978 zitierte der Spiegel ihn mit der apodiktischen Einschätzung:
„Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein!“ Erhard Eppler,
damaliger SPD-Fraktionsvorsitzender und Oppositionsführer im baden-württembergischen
Landtag, bescheinigte Filbinger darum ein „pathologisch gutes
Gewissen“. Nachdem im Sommer 1978 Aktenfunde zu Todesurteilen zutage
traten, die Filbinger 1945 als Marinerichter getroffen hatte, gingen
die führenden Gremien von CDU und CSU zu ihm auf Distanz. Filbinger trat im
August zurück und musste alle Ämter niederlegen. Hochhuth griff den Stoff
im folgenden Jahr auch in seinem Stück Juristen auf. Zwischen 1985
und 1986 war Hochhuth „poet in residence“ an der Gesamthochschule Essen.
In der halbfiktiven Erzählung Alan Turing schrieb der Autor
1987 über den Vater des modernen „Computers“, der dazu beigetragen hatte,
Funksprüche der Wehrmacht automatisch und kriegsentscheidend zu
entschlüsseln. Wirken im vereinigten DeutschlandNachdem
Hochhuth sich über die von ihm 1993 gegründete und nach seiner Mutter
benannte Ilse-Holzapfel-Stiftung das Vorkaufsrecht am „Theater am
Schiffbauerdamm“ gesichert hatte, wurde die Stiftung im März 1996 neue
Eigentümerin des Grundstückes. Dieses Vorgehen bezeichnete der damalige
künstlerische Leiter des Berliner Ensembles, Heiner Müller, als
„Intrige“ und „Versuch der feindlichen Übernahme“. Seit 1998 vermietet
Hochhuths Stiftung das Theater am Schiffbauerdamm an das Land Berlin, welches
das Theater wiederum dem Berliner Ensemble zur Verfügung stellt. Zugleich
sicherte der Mietvertrag Hochhuth zu, seine eigenen Stücke am Schiffbauerdamm
aufführen zu dürfen. Neben
geschichtspolitischen Stoffen kreist das späte Werk Hochhuths um die
vielfältigen Facetten des Themenkomplexes soziale Gerechtigkeit (Wessis in
Weimar, Szenen aus einem besetzten Land, 1993; McKinsey kommt,
2004). In Glasgow wurde 2001 Hochhuths historisch realistisches Stück Nachtmusik uraufgeführt,
2002 im Salzburger Landestheater gespielt; 2006 fand die deutsche
Erstaufführung statt. Im Jahr 2005 überraschte der Autor mit einem Gastauftritt
in der Fernsehserie Gute Zeiten, schlechte Zeiten, wenige Tage
bevor sein ausschließlich mit Schauspielern der Serie besetztes Stück Familienbande in Brandenburg
an der Havel Premiere hatte. Im Jahr 2006 verfasste Hochhuth ein als Tragikomödie bezeichnetes
Theaterstück mit dem Titel Heil Hitler, das am 13. Januar 2007 in
der Berliner Akademie der Künste Premiere hatte. Hochhuth hat
neben Dramen auch Gedichte, Novellen und Erzählungen (unter
anderem Die Berliner Antigone) veröffentlicht, die allerdings nicht
die Bekanntheit seiner Dramatik erzielten, sowie zahlreiche Essays zur
Geschichte und Zeitgeschichte. Die Kritik hat Hochhuth wiederholt die mangelnde
Beherrschung formaler Mittel vorgeworfen. MitgliedschaftenHochhuth war
Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland, der Akademie der Künste in
Berlin (seit 1986), der Bayerischen Akademie der Schönen Künste in
München (seit 1989) und der Freien Akademie der Künste Hamburg (seit
2004). Er hatte mehrfach Gastdozentenstellen für Poetik an Universitäten inne
(darunter 1996 an der Goethe-Universität Frankfurt am Main). Archiv, weitere TätigkeitenHochhuths
umfangreiches Archiv befindet sich seit 1997 im Schweizerischen
Literaturarchiv in Bern. Seit den 1980er Jahren setzte sich Hochhuth
für eine angemessene Würdigung des Hitlerattentäters und Widerstandskämpfers
gegen den Nationalsozialismus Georg Elser ein, der im Gegensatz zu
den Verschwörern des 20. Juli 1944 in der offiziellen Gedenkkultur der
Bundesrepublik bis in die 1990er Jahre kaum eine Rolle gespielt hatte. Auf
seine Initiative errichtete das Land Berlin das Denkzeichen Georg Elser.
Bei dessen Übergabe an die Öffentlichkeit am 8. November 2011 fragte Hochhuth
in seiner Festrede, warum die Deutschen ein derart „feindseliges
Nichtverhältnis“ zu Elser hätten. 2012 trat Hochhuth aus der Berliner
Akademie der Künste aus und bezichtigte mehrere ihrer Mitglieder,
Antisemiten zu sein, nachdem über das Gedicht Was gesagt werden muss von Günter
Grass diskutiert worden war. PrivatesDie Ehe mit
seiner ersten Frau Marianne Heinemann, mit der Hochhuth die beiden Söhne Martin (*
1960) und Friedrich (* 1965) hatte, wurde 1972 geschieden. Hochhuth war ab 1975
in zweiter Ehe mit der serbischen ehemaligen Medizinstudentin Dana (Danica)
Pavic, mit der er einen Sohn hatte, und in dritter Ehe mit Ursula Euler
verheiratet. Nachdem sie am 14. Oktober 2004 gestorben war, heiratete er am 28.
Mai 2009 die Berliner Buchhändlerin Johanna Binger. Rolf Hochhuth
starb im Alter von 89 Jahren und wurde auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg beigesetzt. Exemplarische KontroversenDie
„Rigorosität, mit der Hochhuth die ökonomisch Mächtigen einerseits und den
ideologisch begründeten Machtanspruch der Linken andererseits attackiert,
schafft ihm zahlreiche Gegner.“ Kritiker werfen Hochhuth vor, rückläufige
öffentliche Aufmerksamkeit als Dramatiker mit publikumswirksamen
skandalträchtigen Effekten zu kompensieren. Darauf seien vermehrte
Skandal-Meldungen in den Medien und darauf folgende öffentliche Diskussionen
zurückzuführen. „McKinsey kommt“Hochhuth
hatte in McKinsey kommt eine Passage eingebaut, die von
Medienvertretern als mögliches „Verständnis für einen Mordaufruf“ gegen
den Deutsche-Bank-Vorstandsvorsitzenden Josef Ackermann interpretiert
wurde. Darin heißt es: „Die FAZ lehrt A’s [= Ackermanns] rechtlose
Opfer als ‚Umbau‘ zu tarnen! / ‚Tritt‘ A. nur ‚zurück‘ wie Geßler durch –
Tell? / Schleyer, Ponto, Herrhausen warnen.“ In Schillers Wilhelm
Tell wurde der tyrannische Landvogt Gessler durch den Freiheitshelden
Tell getötet. Einer der Vorgänger Ackermanns, Alfred Herrhausen, war einem
Anschlag der Rote Armee Fraktion zum Opfer gefallen, ebenso wie die
in der Passage erwähnten Wirtschaftsvertreter Hanns Martin Schleyer (Arbeitgeberpräsident)
und Jürgen Ponto (Vorstandsvorsitzender der Dresdner Bank). Hochhuth
wies den Vorwurf des Mordaufrufs zurück und erklärte, er habe auf eine
objektive Bedrohung für die deutsche Wirtschaftselite als Folge unter anderem
der aktuellen Reform des Sozialsystems hinweisen wollen. Hochhuth und IrvingIm März 2005
geriet Rolf Hochhuth erneut in die Schlagzeilen, da er in einem Interview mit
der neurechten Wochenzeitung Junge Freiheit den
britischen Publizisten David Irving verteidigt hatte, der mehrfach
gerichtlich als Holocaustleugner verurteilt wurde (München 1993, Wien
2006) und in Deutschland mit einem Einreiseverbot belegt war. Hochhuth sagte:
„Irving ist ein fabelhafter Pionier der Zeitgeschichte, der großartige Bücher
geschrieben hat. Ganz zweifellos ein Historiker von der Größe eines Joachim
Fest. Der Vorwurf, er sei ein Holocaustleugner, ist einfach
idiotisch!“ Gegenüber dem Berliner Tagesspiegel bekräftigte
Hochhuth die Parteinahme einen Tag später. Hier sagte er, dass Irving „sehr
viel seriöser (sei) als viele deutsche Historiker“. Irving, mit dem er eine persönliche
Freundschaft pflege, sei ein „ehrenwerter Mann“. Dabei hatten ihn seine
Interviewpartner jeweils direkt mit den Holocaust leugnenden Aussagen von
Irving konfrontiert. Bereits eine Frage in dem Junge-Freiheit-Interview
hatte gelautet: „Aber Herr Hochhuth, immerhin behauptet Irving, in Auschwitz
hätte es keine Gaskammern gegeben. Er hat flapsig formuliert, in Gaskammern
seien dort weniger Menschen umgekommen als 1969 auf dem Rücksitz Edward
Kennedys – und da saß bekanntlich nur dessen Freundin.“ Darauf antwortete
Hochhuth: „Da hat er seiner nicht ganz unbritischen Neigung zum schwarzen Humor
auf zynische Weise freien Lauf gelassen. Wahrscheinlich ist er wahnsinnig
provoziert worden, ehe er das gesagt hat. Als Historiker ist er ein absolut
seriöser Mann.“ Beobachter wiesen darauf hin, Irving habe seine Bemerkung nicht
nach einer Provokation, sondern vor zahlendem Publikum getätigt, wie es in
einem Video in Irvings Londoner Prozess gezeigt worden sei. Richard Rampton,
der Anwalt der Beklagten, sagte daraufhin: „Spott allein reicht nicht. Sie
müssen auch geschmacklos sein. Sie müssen Dinge sagen wie: Auf dem Rücksitz von
Senator Edward Kennedys Auto in Chappaquidick starben mehr Frauen als in den
Gaskammern von Auschwitz.“ Der
Publizist Ralph Giordano bezeichnete die Interview-Äußerung Hochhuths
als „eine der größten Enttäuschungen der letzten 60 Jahre. Es gibt keinen Akt
des Nachtretens, der den Ermordeten im Deutschland nach 1945 erspart geblieben
wäre.“ Paul Spiegel, der damalige Präsident des Zentralrats der Juden
in Deutschland, sagte: „Wenn Hochhuth den Briten als angeblich seriösen
Wissenschaftler in Schutz nimmt, macht er sich dessen Position zu eigen und
leugnet damit selbst den Holocaust“. Hochhuth entschuldigte sich eine
Woche später für seine Stellungnahme zu Irving. Er habe nicht den Rechten das
Wort reden und die Gefühle der jüdischen Bürger verletzen wollen. Die späten
Äußerungen David Irvings seien ihm nicht bekannt gewesen (dpa, 26. Februar
2005). Dies hielt Paul Spiegel jedoch „für unglaubwürdig“. Jedem, der sich mit
der jüngeren Geschichte befasse, dürfte bekannt sein, welche widerwärtigen
Parolen Irving von sich gegeben hat. Hochhuth kündigte zudem an, der Jungen
Freiheit kein Interview mehr zu geben. Kritisiert wurde, dass er für
die Zeitung bereits zuvor zwei Interviews gegeben und einen eigenen Beitrag
verfasst hatte. Ralph
Giordano hat später seine frühere massive Verurteilung relativiert und Hochhuth
in einem in der Berliner Zeitung veröffentlichten Artikel
seine Solidarität bekundet. Er habe damals von dem Interview nur die
Irving-Passagen gekannt und könne „der Öffentlichkeit […] nur raten, sich der
ganzen Lektüre (= des Interviews) zu unterziehen“. Giordano schrieb
unter anderem: „Rolf Hochhuth hat, um es vorsichtig auszudrücken, in Sachen
Irving vollkommen daneben gehauen – richtig. […] Nachdem ich also Rolf
Hochhuth laut und deutlich gerüffelt hatte, wo er’s verdient hat, versichere
ich ihn von dieser Stelle aus genauso klar, dass er in der langwährenden
Auseinandersetzung um die Naziepoche für mich, den Überlebenden des Holocaust,
ein Bundesgenosse war, ein Bundesgenosse ist und ein Bundesgenosse bleiben
wird.“ Infolge der
Kontroverse um das Hochhuth-Interview lehnte die Deutsche Verlags-Anstalt (DVA)
2005 ab, Hochhuths Autobiografie zu verlegen. Der DVA-Verleger Horbach
begründete dies damit, Hochhuth könne „nicht mehr in einem Verlag seine
Autobiographie oder autobiographische Schriften veröffentlichen, der selber
sehr viele jüdische Autoren im Programm hat.“ Allerdings regte sich öffentlicher
Protest gegen diese Entscheidung. Kritik übten neben Giordano auch Eva
Menasse, Tilman Jens, Joachim Güntner und andere. Hochhuth und OettingerAm 11. April
2007 hielt Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU)
eine heftige Kritik auslösende Trauerrede für seinen Amtsvorgänger Hans
Filbinger. In dieser Rede sagte er unter anderem: „Es gibt kein Urteil von
Hans Filbinger, durch das ein Mensch sein Leben verloren hätte. Und bei den
Urteilen, die ihm angelastet werden, hatte er entweder nicht die
Entscheidungsmacht oder aber nicht die Entscheidungsfreiheit, die ihm viele
unterstellen.“ Die 1978 aufgefundenen Akten zu Todesurteilen widerlegen dagegen
mindestens den ersten Satz. Hochhuth
bezeichnete in seiner am 13. April 2007 in der Süddeutschen Zeitung erschienenen
Reaktion Der Lügner diese Aussage Oettingers als „eine
unverfrorene Erfindung“ und beklagte zur Untermauerung – zunächst irrtümlich –
die „Tragödie des Matrosen Walter Gröger“, den Hans Filbinger angeblich
„persönlich noch in britischer Kriegsgefangenschaft hat ermorden lassen“.
Filbinger, so Hochhuth, sei ein „sadistischer Nazi“ gewesen, da er als Richter
den Matrosen Walter Gröger angeblich nach dem „längst durch die totale
Kapitulation“ beendeten Krieg in einem britischen Kriegsgefangenenlager zum
Tode verurteilt habe und sich für eine Exekution Grögers von den Briten „zwölf
Gewehre“ geliehen habe. Hochhuth
hatte den Fall Gröger mit dem Fall des Flakartilleristen Petzold verwechselt,
den Filbinger nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs am 29. Mai 1945 noch in
britischer Kriegsgefangenschaft wegen „Unbotmäßigkeit, Gehorsamsverweigerung
und Widersetzung“ zu sechs Monaten Gefängnis verurteilte. Der 22-jährige Gröger
wurde indessen auf Antrag des damaligen Marinestabsrichters Filbinger
wegen „charakterlicher Schwächen“ zum Tode verurteilt und weniger als
zwei Monate vor Kriegsende am 15. März 1945 hingerichtet. Filbinger war dabei
anwesend und erteilte als höchster Offizier den Schießbefehl. Die
Online-Version des Artikels Der Lügner von Hochhuth wurde am
13. April 2007, einen Tag nach dem Erscheinen, von der Süddeutschen
Zeitung unter folgendem Verweis wieder gelöscht: „Die
Darstellung des Schriftstellers Rolf Hochhuth in der Süddeutschen Zeitung vom
13. April (‚Der Lügner‘), Filbinger habe Gröger in britischer Gefangenschaft
ermorden lassen, ist dagegen falsch. Die bekannte Aussage Hochhuths aus dem
Jahr 1978, Filbinger habe ‚sogar noch in britischer Gefangenschaft einen
deutschen Matrosen mit Nazi-Gesetzen verfolgt‘, bezieht sich auf den Fall
Petzold. Für eine Stellungnahme war Hochhuth am Freitag nicht zu erreichen.“ Die Fälle
Gröger und Petzold behandeln Günther Gillessen und Wolfram Wette ausführlich
– und mit ganz unterschiedlichen Bewertungen. Weiterhin
behauptete Hochhuth in dem Artikel, das Landgericht Stuttgart habe 1978
Filbinger als „furchtbaren Juristen“ bezeichnet. Das Gericht hatte jedoch
lediglich geurteilt, bei diesem Ausspruch Hochhuths über Filbinger handele es
sich um ein Werturteil (also keine Tatsachenbehauptung), das
vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sei, weshalb
Filbinger keinen Anspruch auf seine Unterlassung habe. Die Meinungsäußerung
bezeichnet Hochhuth daher als Synonym für die „Tatsache, dass er
[Filbinger] ein sadistischer Nazi war“. „Doch die Tatsache, die diese
Tatsachenbehauptung stützt, ist keine“, kommentierte Feuilletonchef Patrick
Bahners in der FAZ. Auszeichnungen·
1963: Berliner Kunstpreis ·
1976: Kunstpreis der Stadt Basel ·
1980: Literaturpreis der Landeshauptstadt München und
des Verbandes bayerischer Verleger ·
1980: Geschwister-Scholl-Preis[ ·
1981: Lessing-Preis der Freien und Hansestadt Hamburg ·
1990: Jacob-Burckhardt-Preis der Basler
Johann-Wolfgang-von-Goethe-Stiftung ·
1991: Elisabeth-Langgässer-Literaturpreis ·
2001: Jacob-Grimm-Preis Deutsche Sprache ·
2002: Cicero-Rednerpreis Literarische Werke·
1963: Der Stellvertreter. (Über die Rolle von
Papst Pius XII im Zweiten Weltkrieg, Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste
vom 3. April bis zum 2. Juli 1963) ·
1963: Die Berliner Antigone. Novelle. ·
1967: Soldaten, Nekrolog auf Genf. (Tragödie;
über den Bombenkrieg gegen Deutschland) ·
1970: Guerillas. (Tragödie; behandelt einen
fiktiven Staatsstreich in den USA) ·
1971: Die Hebamme. (Komödie; behandelt
Vetternwirtschaft und soziale Benachteiligung in einer fiktiven nordhessischen
Kleinstadt) ·
1971: Krieg und Klassenkrieg: Studien ·
1974: Inselkomödie. (Komödie; ursprünglicher
Titel: Lysistrate und die NATO. Paraphrase der Aristophanes-Komödie
vor dem Hintergrund der geplanten Errichtung eines US-Raketenstützpunktes auf
einer ägäischen Insel.) ·
1974: Zwischenspiel in Baden-Baden. ·
1976: Entfernte Verwandte. (Monolog) ·
1976: Tod eines Jägers. ISBN 3-499-25068-3. (Zur
Person Ernest Hemingways und der Literaturszene der 1960er Jahre) ·
1978: Eine Liebe in Deutschland. Lieferbare
Ausgabe: Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 1983, ISBN 3-499-15090-5.
(Verfilmt von Andrzej Wajda) ·
1979: Juristen. („Drei Akte für sieben Spieler“;
Zum gesellschaftlichen und politischen Einfluss von Altnazis in Deutschland;
eine der Hauptpersonen trägt Züge des ehemaligen Ministerpräsidenten von
Baden-Württemberg Hans Filbinger.) ·
1980: Ärztinnen. (Zum Thema Medikamententests und
Praktiken der Pharmaindustrie) ·
1982: Räuber-Rede: drei deutsche Vorwürfe: Schiller,
Lessing, Geschwister Scholl. ·
1982: Spitzen des Eisbergs: Betrachtungen, Dialoge,
Essays, Skizzen. ·
1984: Judith. (Über die chemische
Wiederbewaffnung der US-Armee, die moralische Berechtigung für Tyrannenmord und
die Person Ronald Reagans.) ·
1985: Atlantik-Novelle: Erzählungen ·
1987: Täter und Denker: Profile und Probleme von Cäsar bis
Jünger. ·
1987: War hier Europa? Reden, Gedichte, Essays. ·
1987: Alan Turing. Erzählung. ·
1988: Jede Zeit baut Pyramiden. Erzählungen und
Gedichte. ·
1989: Unbefleckte Empfängnis. (Zum Thema
künstliche Befruchtung) ·
1990: Sommer 14. (Ein breit angelegtes Drama zum
Ausbruch des Ersten Weltkriegs) ·
1991: Menzel: Maler des Lichts. ·
1991: Panik im Mai. (Sammelband; sämtliche
Gedichte und Erzählungen) ·
1991: Von Syrakus aus gesehen, gedacht, erzählt. ·
1992: Tell gegen Hitler: Historische Studien. Insel,
Frankfurt am Main/Leipzig, ISBN 3-458-19119-4 (Insel-Bücherei 1119). ·
1993: Wessis in Weimar. ·
1994: Julia oder der Weg zur Macht. Erzählung. ·
1996: Und Brecht sah das Tragische nicht: Plädoyers,
Polemiken, Profile. ·
1996: Effis Nacht. Monolog. Rowohlt Verlag,
Reinbek bei Hamburg ·
1996: Wellen: Artgenossen, Zeitgenossen, Hausgenossen. ·
2000: Hitlers Dr. Faust. Tragödie. (Behandelt
Freiheit und Verantwortlichkeit des Wissenschaftlers im 20. Jahrhundert am
Beispiel Hermann Oberths.) ·
2000: Das Recht auf Arbeit. Drama. ·
2001: Anekdoten und Balladen. ·
2001: Einsprüche! Zur Geschichte, Politik und Literatur. ·
2001: Die Geburt der Tragödie aus dem Krieg: Frankfurter
Poetik-Vorlesungen. ·
2002: Gasherd und Klistiere oder Die Urgroßmutter der
Diätköchin. Novelle. ·
2003: Nachtmusik. ·
2004: McKinsey kommt. ISBN 3-423-13134-9. ·
2004: Nietzsches Spazierstock. ·
2005: Familienbande. ·
2005: Livia und Julia. ISBN 3-7844-2982-3. ·
2006: Das Rolf Hochhuth Lesebuch. Herausgegeben
von Gert Ueding. dtv, München 2006, ISBN 978-3-423-13432-3. ·
2006: Heil Hitler. (Tragikomödie) ·
2008: Vorbeugehaft. Neue Gedichte. Mit einem
Nachwort von Gert Ueding. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2008, ISBN
978-3-498-02996-8. ·
2012: Was vorhaben muß man, Aphorismen. Mit einem
Nachwort von Uta Ranke-Heinemann. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, ISBN
978-3-498-03003-2. ·
2014: 9 Nonnen fliehen. Mit Essays von Uta
Ranke-Heinemann und Antje Vollmer. Komödie ·
2014: Frauen. BuchVerlag für die Frau,
Leipzig, ISBN 978-3-89798-462-2 ·
2016: Das Grundbuch. 365 Sieben- bis Zwölfzeiler. Rowohlt,
Reinbek bei Hamburg, ISBN 978-3-498-03027-8 ·
2016: Ausstieg aus der NATO: oder Finis Germaniae. zeitgeist
Print & Online, Höhr-Grenzhausen, ISBN 978-3-943007-11-4. Reden und Aufsätze·
Jacob Grimm oder Angst um unsere Sprache. Dankesrede bei der
Entgegennahme des ersten Jacob-Grimm-Preises in Kassel am 3.
November 2001. ·
Johann Georg Elser – 8. November 1939. In: FAZ
Magazin, 10. November 1989. Herausgaben·
Wilhelm Busch, Sämtliche Werke und eine Auswahl der Skizzen
und Gemälde in zwei Bänden. Band 1: Und die Moral von der Geschicht. Band
2 : Was beliebt ist auch erlaubt. Bertelsmann, Gütersloh
1959. Verfilmungen und Tonträger[Verfilmungen ·
Ärztinnen. DDR: DEFA 1984 (Regie: Horst Seemann). ·
Berliner Antigone. Bundesrepublik Deutschland 1968
(Regie: Rainer Wolffhardt). ·
Effis Nacht. Bundesrepublik Deutschland 1998
(Regie: August Everding). ·
Eine Liebe in Deutschland. Bundesrepublik Deutschland,
Frankreich: CCC Filmkunst, Gaumont International, Stand' Art Productions 1983
(Regie: Andrzej Wajda). ·
Élo Antigoné. Ungarn 1968 (Regie: László Nemere). ·
Die Hebamme. Bundesrepublik Deutschland 1976
(Regie: Wolfgang Spier). ·
Der Stellvertreter (Originaltitel: Amen).
Frankreich 2002 (Regie: Constantin Costa-Gavras). Tonträger ·
Hochhuth und Der Stellvertreter: Streitgespräch, Szenen,
Dokumentation. Fontana 1964 (LP 681 320 EL). ·
Rolf Hochhuth: Die Berliner Antigone. Eine
Erzählung gesprochen von Hannes Messemer. Deutsche Grammophon
Gesellschaft, Berlin 2004 (= LP 168 078; auch als Audiokassette bei Rowohlt,
1989). ·
Rolf Hochhuth: Der Stellvertreter. Regie: Erwin
Piscator. Produktion: Hessischer Rundfunk 1963. Der Hörverlag,
München 2003 (2 Audio-CDs). ·
Rolf Hochhuth: Effis Nacht. Monolog gelesen von
Vera Borek. Lesefassung und Regie: Ingrid Rencher. Produktion: Preiser Records,
Wien 2005. Literatur·
Norbert Göttler, Heinz Puknus: Rolf Hochhuth – Störer
im Schweigen. Der Provokateur und seine Aktionsliteratur. Herbert Utz,
München 2011, ISBN 978-3-8316-4080-5. ·
Walter Hinck (Hrsg.): Rolf Hochhuth – Eingriff
in die Zeitgeschichte. Essays zum Werk. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg
1981, ISBN 3-498-02856-1. ·
Reinhard Hoffmeister (Hrsg.): Rolf Hochhuth.
Dokumente zur politischen Wirkung. Mit erlesenen Zwischentexten von
Heinz Puknus und einem Essay von Rolf Hochhuth. Kindler, München 1980, ISBN
3-463-00764-9. ·
Birgit Lahann: Hochhuth – Der Störenfried. J. H.
W. Dietz Nachfolger, Bonn 2016, ISBN 978-3-8012-0470-9. ·
Brigitte Marschall: Rolf Hochhuth. In: Andreas
Kotte (Hrsg.): Theaterlexikon der Schweiz. Band 2,
Chronos, Zürich 2005, ISBN 3-0340-0715-9, S. 851 f. ·
Ilse Nagelschmidt, Sven Neufert, Gert Ueding (Hrsg.): Rolf
Hochhuth: Theater als politische Anstalt. Tagungsband mit einer
Personalbibliographie. Denkena, Weimar 2010, ISBN
978-3-936177-78-7. ·
Gerald Rauscher: Kein Zeichen, kein Wunder. Rolf Hochhuth
über Schöpfer, Schöpfung und Geschöpf. Mit einem Schriftsteller-Gespräch. Peter
Lang, Frankfurt am Main 2000, ISBN 978-3-631-36619-6. ·
Rainer Taëni: Rolf Hochhuth (= Autorenbücher. Band
5). edition text + kritik / C. H. Beck, München 1977, ISBN 3-406-06267-9. ·
Rudolf Wolff (Hrsg.): Rolf Hochhuth. Werk und Wirkung (= Sammlung
Profile, Band 29). Bouvier, Bonn 1987, ISBN 3-416-01839-7. ·
Jeder ist anders albern. Hochhuth im Gespräch mit Irene
Bazinger. In: Berliner Zeitung, 7. Juni 2008.
Erwin Piscator
Erwin
Friedrich Max Piscator (* 17. Dezember 1893 in Ulm, heute
zu Greifenstein gehörig; † 30. März 1966 in Starnberg)
war ein deutscher Theaterintendant, Regisseur und Theaterpädagoge. Piscator war
ein einflussreicher Avantgardist der Weimarer Republik, der das
Theater unter Ausweitung der bühnentechnischen Möglichkeiten zum
‚politischen Tribunal‘ umfunktionierte. Mit Hilfe komplexer Arrangements von
Filmdokumenten, Bildprojektionen, laufenden Bändern und Fahrstühlen
kommentierte er das theatrale Geschehen und erweiterte die Bühne zum epischen
Panorama. Das an
den Piscator-Bühnen der Weimarer Republik entwickelte politische
Theater erzielte breite Resonanz, veranlasste die Zeitgenossen jedoch
angesichts der Abgrenzung des Regisseurs von einer Bühnenästhetik des reinen
Kunstschönen zu sehr widersprüchlichen Einschätzungen. Piscators Inszenierungen
wirkten auch auf die Theatertheorie Bertolt Brechts ein, der mit
seinem epischen Theater Anleihen bei Piscator machte. Nach
langjähriger Emigration in der Sowjetunion, Frankreich und den Vereinigten
Staaten traf Piscator in den 1950er und 1960er Jahren in der Bundesrepublik
erneut den Nerv der Zeit mit Inszenierungen von Gegenwartsstücken zur
NS-Vergangenheit. Damit leitete er eine Phase des Gedächtnis- und Dokumentartheaters ein,
die auf breiter Ebene zu gesellschaftlichen Debatten um Fragen der Geschichtspolitik führte. LebenJugend und Erster Weltkrieg (1893–1918)Piscator
entstammte einer calvinistischen Kaufmannsfamilie aus Mittelhessen.
Seine Eltern Carl Piscator und Antonie Karoline Katharina Piscator (geb.
Laparose), ab 1899 in Marburg ansässig, waren Mitinhaber einer
Textilmanufaktur. Zu seinen Vorfahren zählte Erwin Piscator den Theologen und
Bibelübersetzer Johannes Piscator, der um 1600 seinen Familiennamen Fischer latinisiert hatte. Das Erlebnis
eines Gastspiels des Gießener Stadttheaters in Marburg ließ den
jungen Piscator den Entschluss fassen, anstatt der ihm vorbestimmten
kaufmännischen Laufbahn den Einstieg in das Theaterfach zu suchen. Nach
dem Schulbesuch am Gymnasium Philippinum und an der Städtischen
Oberrealschule in Marburg absolvierte Piscator ab Herbst 1913 bei
der Theaterschule Otto König in München eine Schauspielausbildung.
Nach einem Wechsel der Schauspielschule attestierte Piscators neuer Lehrer Carl
Graumann dem jungen Schauspielschüler eine starke Begabung. Zugleich
belegte Piscator Lehrveranstaltungen in Kunstgeschichte, Philosophie und
Germanistik an der Universität München, unter anderem bei Artur
Kutscher, einem der Begründer der Theaterwissenschaft. In der
Spielzeit 1914/15 volontierte Piscator auch am Königlichen Hof- und
Nationaltheater, einer ästhetisch ganz der Tradition des 19. Jahrhunderts
verbundenen Bühne. Den Ersten
Weltkrieg erlebte Piscator unter anderem in den Stellungskämpfen in Westflandern.
Im Frühjahr 1915 wurde er als „Landsturm-Pflichtiger“ einer Infanterieeinheit
an der Ypern-Front zugeteilt und erlitt nach wenigen Monaten schwere
Verwundungen. Die Kriegserfahrung prägte die pazifistische und sozialistische
Überzeugung Piscators, der damals „auch nicht im geringsten den Atem dieser
‚grossen Zeit‘“ verspürte. Von Piscators antimilitaristischer Haltung
zeugen die verstörenden Gedichte, die er während der Kriegsjahre in Franz
Pfemferts literarischer und politischer Wochenschrift „Die Aktion“
veröffentlichte. Ab Herbst 1917 beteiligte Piscator sich an einem
Fronttheater, das ein Repertoire populärer Unterhaltungsstücke zeigte und
dessen Spielleitung ihm nach einem halben Jahr übertragen wurde. Frühe Theaterarbeit und Volksbühnen-Zeit
(1918–1927)Nach
Kriegsende setzte Piscator seine Studien an der Friedrich-Wilhelms-Universität in
Berlin fort und schloss sich der Berliner Gruppe des Dadaismus um die
Maler und Grafiker George Grosz und John Heartfield an.
Nach der Novemberrevolution trat er in die KPD ein. Ein
erstes eigenes Theaterprojekt in Königsberg, bei dem Piscator lauter
„vergessene alte Übungen des Theaters“ neu belebte, darunter „die Verwandlung
auf offener Szene und der sichtbar gelassene Schnürboden,“ scheiterte nach
wenigen Monaten. In Königsberg lernte Piscator seine erste Frau kennen, die
sechs Jahre jüngere oberschlesische Schauspielerin Hildegard
Jurczyk, die am Neuen Schauspielhaus auftrat. Erwin Piscator und
Hildegard Jurczyk heirateten im Oktober 1919. Nach dem Scheitern seiner ersten
eigenen Bühne in Königsberg ging Piscator erneut nach Berlin und gründete dort
im Herbst 1920 das „Proletarische Theater“. Bei einer
Inszenierung von Alfons Paquets Schauspiel Fahnen an
der Volksbühne Berlin nutzte Piscator im Mai 1924 ausgiebig
Projektionen und Zwischentitel auf Leinwänden und nahm damit – wie schon bei
früheren Inszenierungen – zentrale Stilmittel des „epischen Theaters“ vorweg.
Paquet hatte sein Stück zudem nicht-gattungskonform als „dramatischen Roman“
bezeichnet. In Zusammenhang mit dieser Piscator-Inszenierung
kommentierte Alfred Döblin im Leipziger Tageblatt, der Urheber
des Stücks sei „episch, nicht lyrisch entflammt“ und die von Paquet geprägte
Form des Roman-Dramas könne wieder zum „Mutterboden des Dramas“ werden. In
der wenige Jahre später aufkommenden Debatte um die Urheberschaft am Begriff
und der Methodik des epischen Theaters spielten die Beobachtungen Döblins von
1924 eine wichtige Rolle. Im Anschluss
an die erfolgreiche Fahnen-Produktion wurde Piscator 1924 als
Oberspielleiter fest an die Volksbühne am Bülowplatz verpflichtet.
Die Volksbühne Berlin war eine mitgliederstarke Besucherorganisation, deren
Anspruch darin bestand, der Berliner Arbeiterschaft unter dem Leitgedanken „Die
Kunst dem Volke“ Zugang zum bürgerlichen Bildungsgut zu verschaffen. Die
erklärte Absicht des erst kurze Zeit in sein Amt eingeführten
Volksbühnen-Intendanten und Piscator-Entdeckers Fritz Holl war, „der
jungen Dramatik, die die Bewegungen der Zeit reflektierte,“ den Weg zu bereiten.
Neben seiner neuen Funktion als Oberspielleiter an der Volksbühne setzte
Piscator Satireabende, Sprechchorwerke und politische Revuen im Auftrag der KPD
in Szene, in denen er erstmals den Einsatz filmischer Mittel erprobte. Erhebliches
Aufsehen erregte eine Gastinszenierung, die Piscator 1926 am Preußischen
Staatstheater unter der Intendanz Leopold Jessners ausführte, Friedrich
Schillers Schauspiel Die Räuber. Gegen die seit der Märzrevolution
1848 auf deutschen Bühnen verstärkt gepflegte pathetische Überhöhung von
Schillers Dichtung setzte Piscator eine radikale Überprüfung und Aktualisierung
seiner Vorlage. Vor einer simultanen Etagenbühne wurde in ineinander
verschränkten Sequenzen der bandeninterne Gegenspieler des Grafensohns Karl
Moor, Moritz Spiegelberg, in Trotzki-Maske als ein „Verstandesrevolutionär
bolschewistischer Prägung“ in Szene gesetzt. Der „Schillersche Bösewicht“
Spiegelberg „avancierte zum Helden, der sich nicht von persönlichen Gefühlen
oder Ehrgeiz verführen lässt.“ Obwohl verschiedene
Klassikerinszenierungen der Weimarer Republik wie Erich Ziegels Hamburger Räuber-Inszenierung
von 1921 mit aktualisierenden Elementen wie zeitgenössisch kostümierten und
militärisch organisierten Räubern aufgewartet hatten, übertraf das Echo
auf die rasante Piscator-Produktion vorhergegangene Kontroversen deutlich
sowohl an Schärfe als auch in der Gegensätzlichkeit der Einschätzungen. Während
der österreichische Publizist und Satiriker Karl Kraus Schillers
Dramatik fortan generell ironisch als „Piscator-Dramen“ apostrophieren
wollte, war die Debatte in den deutschen Feuilletons durch Zuspitzungen
und suggestive Begrifflichkeiten wie „Klassikerschlaf“ (Bernhard Diebold) oder
„Klassikertod“ (Herbert Ihering) geprägt. 1927 kam es,
nach einem durch die Inflation bedingten Mitgliederrückgang an der Volksbühne
und auf Grund von Befürchtungen seitens des Volksbühnen-Vorstands, dass
Piscators Wirken die überparteiliche Ausrichtung der Besucherorganisation
gefährde, zum Zerwürfnis. Ausschlag für den Eklat gab eine aktuelle Bezüge
auslotende Inszenierung von Ehm Welks Drama Gewitter über
Gottland, in der der bekannte Schauspieler Heinrich George den Claus
Störtebecker spielte. Der Vorstand warf Piscator vor, das Stück einer
tendenziös-politischen Umdeutung und einer provozierenden Darstellung „sozialer
Revolution“ unterzogen zu haben. Die Piscator-Bühnen (1927–1931)Nach diesem
Eklat eröffnete Piscator 1927 sein eigenes Theater, die Piscator-Bühne, in
einem 1100 Plätze fassenden Theatergebäude am Nollendorfplatz. In seinem
Antrag auf die Bühnenkonzession hatte er als personelle Ausstattung eine Gruppe
von „16 Einzeldarstellern, 1 Dramaturgen, 8 technischen und 5 kaufmännischen
Angestellten“ geltend gemacht. Für die Finanzierung des Unterfangens hatte
Piscator den Berliner Großindustriellen Ludwig Katzenellenbogen gewinnen
können. Piscators
Inszenierungen von zeitgenössischen Stücken und Romanbearbeitungen wie Ernst
Tollers Hoppla, wir leben! (1927) oder Die Abenteuer
des braven Soldaten Schwejk nach Jaroslav Hašek (1928)
beeindruckten das Publikum durch ihren aufwändigen, an konstruktivistischen Prinzipien
geschulten Bühnenapparat. Sie begründeten Piscators Ruf als beispielloser
bühnenästhetischer Innovator und trugen ihm eine Würdigung als ‚einzigem
fähigen Dramatiker außer mir‘ durch Bertolt Brecht ein. Schon
Piscators erste Regiearbeit an seiner eigenen Bühne, Ernst Tollers Hoppla,
wir leben! über einen ehemaligen Revolutionär von 1918, der nach
seiner Entlassung aus achtjähriger Festungshaft an der pragmatisch gewandelten
Haltung ehemaliger Mitstreiter zerbricht, zeigte 1927 Piscators virtuose
Ausgestaltung der Bühnenhandlung durch komplexe Medienarrangements. Zu den
Film-, Ton- und Bühnenbildeffekten der Inszenierung zählten eine vierstöckige
Bühne für die zahlreichen kurzen Szenen in den Büros der Ministerien oder den
verschiedenen Hotelzimmern des dritten Aktes. Filmische Zwischenszenen oder
Illustrationen wurden auf eine Leinwand in der Bühnenmitte projiziert. Der
erste Akt begann mit einem Dokumentarfilm über die weltgeschichtlichen
Ereignisse der Jahre, die die Hauptfigur im Gefängnis verbringen musste. Ein
Titelsong von Walter Mehring in der Vertonung von Edmund Meisel kommentierte
die Stückhandlung ironisch. Der Theaterkritiker Herbert Ihering urteilte:
„Eine phänomenale technische Phantasie hat Wunder geschaffen.“ Die Nutzung
komplexer bühnentechnischer Elemente wie Film- und Bildprojektionen, laufenden
Bändern, Metallkonstruktionen oder Fahrstühlen geschah dabei Piscator zufolge
in dramaturgischer, nicht illusionistischer Absicht. Piscators gewagte
Bearbeitungen und seine bühnentechnischen Mittel sollten politische und
ökonomische Analysen im Sinne des proklamierten Partei ergreifenden,
„politischen Theaters“ stützen. Dem
umfangreichen dramaturgischen Kollektiv der Piscator-Bühne gehörten
zeitweilig Bertolt Brecht, Egon Erwin Kisch, Leo Lania, Moshe
Lifshits, Heinrich Mann, Walter Mehring und Erich Mühsam an.
Als Bühnenbildner wirkten an der Piscator-Bühne George Grosz, John
Heartfield und László Moholy-Nagy, als Filmproduzenten und
-monteure Curt Oertel und Svend Noldan sowie als
Musiker Edmund Meisel und Franz Osborn. Hanns Eisler verfasste
seine erste Bühnenmusik 1928 für Piscator. Viele bekannte Schauspieler traten
an der Piscator-Bühne auf: Sybille Binder, Tilla Durieux, Ernst
Deutsch, Paul Graetz, Alexander Granach, Max Pallenberg, Paul
Wegener, Hans Heinrich von Twardowski und andere. Angesichts
der außerordentlich aufwändigen und kostspieligen Inszenierungen erzwang jedoch
schon 1928 ein Konkursantrag der Berliner Steuerbehörde die vorübergehende
Schließung der Piscator-Bühne. Zwei Wiedereröffnungen in den beiden Folgejahren
führten nicht zu der erhofften dauerhaften Konsolidierung. Im Jahr der Weltwirtschaftskrise 1929
erschien Piscators programmatische Schrift Das politische Theater,
die anschaulich die bedeutenderen Inszenierungen des Theaterleiters Revue
passieren ließ und seine Auffassung vom Theater als maßgeblichem Mittel „in dem
einsetzenden Prozess der geistigen Revolutionierung“ entfaltete. Als erste
von zahlreichen Übersetzungen erschienen 1930 eine Übertragung ins
Spanische (El teatro político), 1931 ins Japanische (Sayoku
Gekij) und 1932 ins Ukrainische (Politytschnyj teatr). Auslandsprojekte, Emigration und Rückkehr
(1931–1962)In Moskau lebte Piscator im Hotel Metropol, in
dem ihn 1935 Goebbels’ Einladung zur Rückkehr erreichte. Nach
Liquiditätsproblemen ging Piscator 1931 in die Sowjetunion und
produzierte dort unter anderem in der arktischen Hafenstadt Murmansk und
an der ukrainischen Schwarzmeerküste bei Odessa seinen
einzigen Spiel- und Tonfilm Der Aufstand der Fischer (1934)
nach einer Novelle von Anna Seghers. Der Film behandelt den
Widerstand streikender Matrosen gegen die unmenschlichen Arbeitsbedingungen auf
den Schiffen des Reeders Bredel. Zu den Schlüsselszenen des Films zählt die
Beerdigung des vom herbeigeeilten Militär getöteten Streikführers Kedennek, die
in ein Fiasko mündet. Die Beisetzung Kedenneks wird zum Fanal, und ein Aufstand
der Küstenfischer der gesamten Region hebt an. Für Aufsehen sorgte Piscator
dadurch, dass er eine bewegte Kamera einsetzte, was von Sergej Eisenstein kritisiert
und abgelehnt wurde. Doch wurde
Piscator von Anfang an von der sowjetischen Geheimpolizei GPU bespitzelt.
Auch denunzierten ihn deutsche Kommunisten, die im Moskauer Exil lebten, als
„politisch unzuverlässig“. Während einer
Theaterkonferenz 1935 in Moskau, die von Piscator als Vorsitzenden eines
internationalen Theaterbundes geleitet wurde, übermittelte ihm der britische
Theaterreformer Edward Gordon Craig im Hotel Metropol Avancen von
Propagandaminister Goebbels, nach Berlin zurückzukehren und dort seine
Arbeit wieder aufzunehmen. 1936 emigrierte der vom Erleben des Stalinismus ernüchterte
Regisseur nach Denunziationen als Trotzkist und einem offenbar
fremdenfeindlich motivierten Übergriff aus der Sowjetunion nach Frankreich. Nach Beginn
des Spanischen Bürgerkriegs rief er 1936 auf Einladung der
demokratisch gewählten republikanischen Regierung in Katalonien zur
Verteidigung der Demokratie und zum Kampf gegen die Putschisten auf. Unter
Verweis auf seine Erfahrungen als Leiter eines Fronttheaters während des Ersten
Weltkriegs forderte er, als Beitrag der Künste zur Verteidigung der
demokratischen Kultur in Katalonien und Spanien „Werke der kleinen Form an die
Front [zu] bringen“ sowie „satirische Gruppen“ spielen zu lassen. Piscator
selbst führte vor Ort jedoch keine eigenen Produktionen aus. Während der
entbehrungsreichen Emigrationsjahre kam es zu einer weiteren wichtigen
Begegnung, die 1937 zu einer zweiten Heirat führte. Piscators erste Ehe mit der
Schauspielerin Hildegard Jurczyk, die seit 1919 bestanden hatte, war um 1930 in
Berlin einvernehmlich aufgelöst worden. In Salzburg hatte Piscator,
aus der Sowjetunion kommend, bei Max Reinhardt die gebildete und
wohlhabende Tänzerin Maria Ley kennengelernt. Ley hatte 1934 an
der Sorbonne eine Dissertation über Victor Hugo verfasst.
„Erst vor kurzer Zeit hatte sie ihren Gatten Franz Deutsch verloren, Sohn eines
der Direktoren der Berliner AEG, und nun wollten sie und Piscator
heiraten. Brecht sollte einer der Trauzeugen sein. Von Anfang 1937, als er zu
ihr in das Haus in Neuilly zog, bis zu seiner Rückkehr nach
Deutschland im Jahr 1951 war sie Piscator bei all seinen Unternehmungen ein
getreuer Partner.“ In Frankreich entwickelte Piscator 1938 eine aufwändige
Bühnenbearbeitung von Lew Nikolajewitsch Tolstois historischem
Roman Krieg und Frieden, die er mit Unterstützung des US-Theaterproduzenten Gilbert
Miller im Londoner West End und am New Yorker Broadway unterzubringen
hoffte. Nach seiner
Emigration in die Vereinigten Staaten einige Monate vor Beginn
des Zweiten Weltkriegs zerschlugen sich diese Pläne. Stattdessen
wurde Piscator zwischen 1940 und 1951 zum Gründer und Leiter einer
Schauspielschule, des Dramatic Workshop an der New School for
Social Research in New York (1949 Ablösung von der New School). Die „New
School“ verschaffte zahlreichen prominenten Flüchtlingen aus Europa während des
Zweiten Weltkriegs eine Beschäftigungsmöglichkeit. 1947/48 war am Dramatic
Workshop mit annähernd tausend Studenten und Studentinnen, von denen etwa ein
Drittel ganztägig Kurse belegte, die Grenze der Auslastung erreicht. Zu den
Mitarbeitern des Workshops gehörten unter anderem Stella Adler, Herbert
Berghof, Lee Strasberg, Kurt Pinthus, Hans José Rehfisch, Carl
Zuckmayer, Hanns Eisler, Erich Leinsdorf und Jascha
Horenstein. Zu Piscators US-Studenten am Workshop zählten Beatrice Arthur, Harry
Belafonte, Marlon Brando, Tony Curtis, Jack Garfein, Judith
Malina, Walter Matthau, Rod Steiger, Elaine Stritch sowie
der Dramatiker Tennessee Williams. Im Anschluss
an umfangreiche Voruntersuchungen des FBI zu einem
Deportationsverfahren gegen Piscator erhielt der Emigrant auf dem
Höhepunkt der McCarthy-Ära 1951 eine Vorladung durch das Komitee
für unamerikanische Aktivitäten. Unter dem Eindruck aggressiver
Presseberichte, die den Dramatic Workshop als Organisation
kommunistischer „fellow travellers“ diffamiert hatten, und der
Vorladung durch das Komitee kehrte Piscator unvermittelt nach Deutschland
zurück. Nach über
zwanzigjähriger Abwesenheit aus Deutschland war er zunächst gezwungen, als
Gastregisseur an zahlreichen Bühnen in der Bundesrepublik und im
westeuropäischen Ausland zu inszenieren. Pläne zur Gründung einer
Theaterakademie im Zusammenwirken mit dem Rektor der Universität Frankfurt Max
Horkheimer verliefen 1953 erfolglos. Einen ersten Schritt zu einem Comeback bildete
1955 die Annahme von Piscators Bühnenfassung von Lew Tolstois Krieg und
Frieden am Schillertheater in West-Berlin, einer
Inszenierung mit einem beispiellosen Publikumserfolg, jedoch mit einem
vernichtenden Presse-Echo. In den
fünfziger Jahren erhielt Piscator mehrere Ehrungen, darunter 1953 die Goethe-Plakette
des Landes Hessen. Anlässlich seines 65. Geburtstags wurde ihm 1958 das Große
Bundesverdienstkreuz verliehen. Intendanz an der Freien Volksbühne (1962–1966)1962 kam
Piscator als Intendant an die Freie Volksbühne in
West-Berlin, die er als Nachfolger von Günter Skopnik bis zu seinem Tod
leitete. 1963 fand deren Umzug vom Theater am Kurfürstendamm, das bis
dahin als Spielstätte genutzt worden war, in das eigene Theater der Freien
Volksbühne statt. Piscators
zentrales Anliegen bei seinen späten Inszenierungen war die Auseinandersetzung
mit dem „allgemeine[n] Vergessen-Wollen“ und der defizitären
deutschen Erinnerungskultur in Anbetracht des Holocaust. Diese
Spielplanausrichtung fand wirksam ihren Niederschlag in seinen Inszenierungen
der Uraufführungen von Rolf Hochhuths „christlichem
Trauerspiel“ Der Stellvertreter (Uraufführung am 20. Februar
1963) und Peter Weiss’ minimalistischem Theaterstück zum
Auschwitz-Prozess Die Ermittlung (Ring-Uraufführung am 19.
Oktober 1965). Mit stark voneinander abweichenden dokumentarischen Ansätzen
warfen beide Theatertexte die politisch-moralische Frage nach Verantwortung,
Schuld und Unrechtsbewusstsein des Individuums in der Diktatur auf und führten
deutschlandweit und international zu weit gefächerten geschichtspolitischen Auseinandersetzungen. Schon
Piscators dritte Regiearbeit an der Freien Volksbühne, Rolf Hochhuths Der
Stellvertreter, wurde zu einem Aufsehen erregenden Bühnenereignis. Der
Theaterkritiker Henning Rischbieter resümierte, Der
Stellvertreter zeige die Fähigkeit des Theaters, „direkte politische
Wirkungen zu zeitigen. Allen (berechtigten) ästhetischen Einwänden entgegen hat
es durch seine Fragestellung und die leidenschaftliche Anklage, die der Autor
durch seine Hauptfigur ausspricht, eine erregte Diskussion ausgelöst, die
Reformbewegung innerhalb der katholischen Kirche beeinflusst und die
Zeitgeschichtsschreibung zur Auseinandersetzung mit einem vorher wenig
beachteten, ja tabuisierten Thema genötigt: Wie hat sich die katholische Kirche
und ihr damaliges Oberhaupt, Papst Pius XII., zum nationalsozialistischen Massenmord
an den europäischen Juden verhalten?“ Zwischen dem
Erstkontakt mit dem Text, der Piscator im Frühjahr 1962 vorlag, und der
Inszenierung verstrich ein ganzes Jahr. Piscators sorgfältig und von langer
Hand vorbereitete Inszenierung führte dazu, dass der befürchtete Skandal –
zumindest in Berlin – ausblieb. International provozierte Der
Stellvertreter dennoch „leidenschaftliche publizistische
Auseinandersetzungen, öffentliche Massendemonstrationen, parlamentarische
Debatten, außenpolitische Verstimmungen und diplomatische
Interventionen.“ Der Regisseur der Berliner Uraufführung hatte den
Stücktext um die Hälfte gekürzt, die Anzahl der Akteure auf die Hälfte
reduziert und die Handlungsstränge des thematisch vielschichtigen Werks ganz
auf Papst Pius XII. und sein Verhalten in Bezug auf den Holocaust konzentriert.
Die Berliner Kommentatoren lobten das Schauspiel als eines der bedeutendsten
und erregendsten Ereignisse des deutschsprachigen Theaters der letzten Jahre. Für das
„Auschwitz-Oratorium“ Die Ermittlung von Peter Weiss
vereinbarte Piscator für den 19. Oktober 1965 mit dem Suhrkamp-Theaterverlag
eine Ring-Uraufführung, an der sich vierzehn west- und ostdeutsche Theater
sowie die Royal Shakespeare Company in London beteiligten. Das Stück
thematisierte den ersten Frankfurter Auschwitzprozess von 1963 bis 1965 mit den
Mitteln des dokumentarischen Theaters. In der West-Berliner Inszenierung, die
im Fokus der bundesweiten Aufmerksamkeit stand und für die der italienische
Komponist Luigi Nono eine Bühnenmusik geschaffen hatte, ließ
Piscator die Zuschauer aus der Perspektive der Überlebenden auf das
Prozessgeschehen und auf die Angeklagten blicken. Im Anschluss an die
Ring-Uraufführung fand das Stück in den Jahren 1965 bis 1967 zunächst Eingang
in die Spielpläne von Theatern in Amsterdam, Moskau, New York, Prag, Stockholm
und Warschau. Mit seiner
letzten Inszenierung konnte Piscator nicht an die Uraufführungs-Erfolge der
vorangegangenen Jahre anknüpfen. Der Aufstand der Offiziere nach
einem Roman von Hans Hellmut Kirst wurde am 2. März 1966
uraufgeführt, doch der Autor hatte sein Material dramaturgisch nicht bewältigt.
Die Schauspieler Ernst Deutsch und Wolfgang Neuss waren
schon vorzeitig aus der Probenarbeit ausgestiegen, und auch die Presse
reagierte vernichtend. Piscator war noch während der Proben erkrankt und fuhr
anschließend zur Erholung in ein Sanatorium am Starnberger See. Nach
einer Notoperation an seiner entzündlich veränderten Gallenblase starb
Piscator am 30. März 1966 in Starnberg. Piscators Ehrengrab befindet
sich auf dem Waldfriedhof Zehlendorf in der Abt. XX-W-688/690. Theatergeschichtliche BedeutungProgrammatik und ImpulseZahlreiche
bühnentechnische Neuerungen gehen auf Piscators Theaterpraxis in der Weimarer
Republik seit 1925 zurück, darunter der ausgiebige Einsatz kommentierender
Bild- und Textprojektionen, die Einspielung von Filmdokumenten als „lebende
Kulisse“ auf Gazeschleier oder Leinwand sowie die Nutzung aufwändiger
Gerüstkonstruktionen (Simultanbühnen in Kombination mit Drehbühne, Laufbändern,
Rolltreppen oder Fahrstuhlbrücken), die Piscator durch seinen
experimentierfreudigen Bühnenarchitekten Traugott Müller umsetzen
ließ. Müllers Maxime: „Seit Jahren arbeite ich an der Abschaffung des
Bühnenbildes.“ Mit der
Entwicklung der politischen Revue übte Piscator maßgeblichen Einfluss
auf das politische Massentheater der Weimarer Republik aus. Mit dem
Organisieren seiner Textvorlagen nach dem Prinzip maximaler Kontraste und
unerwarteter Anordnungen erzielte er scharfe politisch-satirische Effekte und
nahm die Kommentierungsformen des epischen Theaters vorweg. Vom epischen
Theater Brechts grenzte er sich durch seine, den Zuschauer in das szenische
Geschehen integrierende Regieauffassung ab. Bei Piscator sollten die
Erschütterung und die Aktivierung der Zuschauer miteinander einhergehen: Aus Mangel an Phantasie erleben die meisten Menschen nicht einmal
ihr eigenes Leben, geschweige denn ihre Welt. Sonst müsste die Lektüre eines
einzigen Zeitungsblattes genügen, um die Menschheit in Aufruhr zu bringen. Es
sind also stärkere Mittel nötig. Eins davon ist das Theater. Um
sein immersives, den Zuschauer zu aktiver Teilnahme am Bühnengeschehen
herausforderndes Theaterkonzept auch baulich realisieren zu können,
entwarf Piscator 1927 gemeinsam mit Walter Gropius, dem Gründer der
avantgardistischen Kunsthochschule Bauhaus, das Projekt eines „Totaltheaters“,
das der Aufhebung der räumlichen Trennung zwischen Schauspielern und Zuschauern
und der Ablösung der Tiefen- und Guckkastenbühne galt. Angesichts
der erfolglosen Suche nach einem potenten finanziellen Förderer für das
monumentale Totaltheater-Projekt blieb die angestrebte unmittelbare Identität
von Bühne und Publikum eine unvollendete Theatervision Piscators. Durch seine
Tätigkeit als Regisseur an eigens für den Dramatic Workshop gegründeten kleinen
New Yorker Repertoirebühnen (Studio Theatre, President Theatre,
Rooftop Theatre) und als Theaterpädagoge im US-Exil beeinflusste Piscator
später den „Aufstieg und die Anerkennung des ‚Off-Broadway‘“ und das amerikanische
Experimentaltheater (wie zum Beispiel das Living Theatre), gegründet von
seiner Studentin und Assistentin Judith Malina, die noch The
Piscator Notebook über die Arbeit in dieser Zeit herausgab. Piscator
richtete sich gegen tradierte Vorstellungen vom hermetischen und
unveränderlichen Kunstwerk an sich. In seinen Inszenierungen wurde die
normative autonome Bühnenästhetik, die die Inszenierungspraxis deutscher Bühnen
noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts geprägt hatte, überwunden. Piscators Theaterkonzeption
versuchte man in den größeren Bezugsrahmen einer anti-idealistischen Materialästhetik einzuordnen.
Der Theater- und Literaturwissenschaftler Werner Mittenzwei beschrieb
deren Anhänger als Wegbereiter eines tiefgreifenden Funktionswechsels der Kunst
in Abgrenzung von einer autonomen Ästhetik des reinen Kunstschönen. Die
„Materialästheten“ der späten Weimarer Republik verstanden ältere künstlerische
Stoffe als wandelbares und an aktuelle Herausforderungen anzupassendes
Material. Sie arbeiteten konventionelle Vorlagen um in der Absicht, auf eine
grundlegende Umgestaltung gesellschaftlicher Strukturen hinzuwirken, oder
erarbeiteten sie neu. Sie strebten neue Rezeptionsformen an und wollten die
Betrachter aktivieren und als Mitproduzenten aufwerten. Dem gesellschaftlichen
Aussagewert des Kunstwerks sollte Vorrang vor dessen rein ästhetischem
Erlebniswert gebühren. Die
Programmatik der Materialästhetik schlug sich bei Piscator unter anderem auch
in der Praxis der szenischen Bearbeitung von Romanen (von Jaroslav Hašek, Theodore
Dreiser, Theodor Plievier, Robert Penn Warren und anderen) und
historischen Stoffen nieder. Piscators inhaltlich mehrfach überarbeitete
Bühnenfassung von Lew Tolstois historischem Roman Krieg und Frieden wurde
seit 1955 in mehrere Sprachen übertragen und in 16 Ländern aufgeführt. In
der Bundesrepublik erlebte Piscators interventionistisches Theater eine
späte zweite Blüte. Mit Inszenierungen von Uraufführungsstoffen, die durch ein
Engagement zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit (Hochhuth, Weiss) und die
Kritik an einer atomaren Aufrüstung (Heinar Kipphardts In der Sache J.
Robert Oppenheimer, 1964) geprägt waren, wurde er zu einem Initiator und
Impulsgeber für das Gedächtnis- und Dokumentartheater. Einflüsse und MitstreiterDie Zeit der
Weimarer Republik war eine der schöpferischsten und experimentierfreudigsten
Epochen der deutschen Geschichte. Piscator bewegte sich in einem von der Suche
nach neuen Theateransätzen, der Verschmelzung verschiedener Kunst- und
Wahrnehmungsformen (Synästhesie) und lebhaften künstlerisch-politischen
Debatten geprägten Umfeld. Punktuelle Übereinstimmungen Piscators im Hinblick
auf Einzelaspekte wie die politische Wirkungsabsicht, die ausgiebige Nutzung
der Bühnenmaschinerie oder das Zielpublikum bestanden mit den Theateransätzen
verschiedener deutschsprachiger Kollegen. Der
österreichische Theaterunternehmer Max Reinhardt, der das Große
Schauspielhaus in Berlin mit 5000 Plätzen bespielte und als Antipode Piscators
galt, beeindruckte ein Massenpublikum durch ähnliche großräumige Arrangements
vor einem Rundhorizont und durch die ausgiebige Nutzung der Bühnenmaschinerie,
durch das Spiel auf einer Arenabühne und einer riesigen Drehbühne. Der
vormalige Bühnenexpressionist Leopold Jessner galt ebenfalls als
Vertreter eines, wenngleich moderateren „politischen Theaters“ der Weimarer
Republik. Als Leiter des Preußischen Staatstheaters trat Jessner mit
Inszenierungen wie Schillers Wilhelm Tell hervor, in denen er
eine reduktionistische Stufenbühne zum Hintergrund eines leidenschaftlichen
symbolischen Bekenntnisses zur jungen Republik machte. Kleinere Bühnen
wie Karlheinz Martins „Tribüne“ wollten im Gefolge des Expressionismus –
ähnlich den ersten Bühnen des frühen Piscator – einem proletarischen Publikum
neue Kultursphären erschließen. Vielfach
wurden Übereinstimmungen Piscators mit russischen Theater- und Filmregisseuren
im Hinblick auf die Nutzung von Film auf der Bühne und der fotografischen
Montage bei Eisenstein, der Segment-Globus-Bühne bei Meyerhold oder
der Konfrontation von Darsteller und Marionette bei Majakowski (sowie
bei dem Briten Edward Gordon Craig) ausgemacht. Eine Vor-Ort-Begegnung mit den
Arbeiten der sowjetischen Theateravantgarde im Zusammenhang mit einer ersten
Reise Piscators in die Sowjetunion fand hingegen erst im September 1930
statt. Die in den Arbeiten von Kollegen angelegten Ideen fanden sich,
häufig in verdichteter Form, bei Piscator wieder, indem er diese entweder
zeitgleich selbst entwickelt hatte oder aber als Anregung von außen in seine Theaterkonzeption
integrierte und umfunktionierte. Besser
nachweisbar als die mittelbaren Einflüsse anderer avantgardistischer
Theaterpraktiker seiner Zeit auf Piscator sind die unmittelbaren Beiträge
zahlreicher Mitarbeiter zu seinen Inszenierungen. Ganz im Sinne von Piscators
Verständnis des Inszenierens als kollektivem Arbeitsprozess stellten die
Produktionen der Piscator-Bühne das Ergebnis einer politisch-ästhetisch
motivierten Gemeinschaftsanstrengung unter Leitung des Regisseurs als primus
inter pares dar. Schon an die Stelle des Dramaturgen trat an der
Piscator-Bühne ein größeres „dramaturgisches Kollektiv“: „Ein ganzes Team von
Schriftstellern sollte das literarische Programm betreuen und die einzelnen
Texte der Stücke prüfen.“ Dem
von Felix Gasbarra und Leo Lania geleiteten Kollektiv gehörten als
Mitarbeiter Walter Mehring, Bertolt Brecht, Erich Mühsam, Moshe Lifshits, Franz
Jung und Alfred Wolfenstein an. Alfred Döblin, Kurt
Tucholsky, Johannes R. Becher und der Filmkritiker Béla Balázs wurden
von Fall zu Fall hinzugezogen. Über den Kreis der dramaturgischen Experten
hinaus wirkten wechselnde Bühnenbildner, Kostümgestalter, Choreographen,
Komponisten und Schauspieler an den Erfolgen der Piscator-Bühne mit. Im
Extremfall war es möglich, dass sich eine einzelne Person in wechselnden
Funktionen als Autor, Dramaturg, Vorleser und Hauptdarsteller verausgabte (so
geschehen im Fall von Theodor Plievier bei Des Kaisers Kulis 1930
am Lessingtheater). Die Fruchtbarkeit der gemeinschaftlichen Produktionsweise
zeigte sich noch in Piscators späten Arbeiten, in denen die enge Kooperation
mit Autoren wie Rolf Hochhuth oder Peter Weiss, Bühnenbildern
wie Hans-Ulrich Schmückle oder Komponisten wie Boris Blacher und Luigi
Nono vereinzelt ähnlich intensive Formen annahm wie in den zwanziger
Jahren. Kulturpolitische Aktivitäten und
Reminiszenzen[ Als
Theaterschaffender, für den ästhetische Form und politischer Anspruch
prinzipiell zusammenfielen, unternahm Piscator zeitlebens auch zahlreiche
Initiativen im Bereich der Kulturförderung und der Theaterpädagogik (Mitglied
der Schriftstellervereinigung „Gruppe 1925“, Mitbegründer des „Volksverbandes
für Filmkunst“, Einrichtung des „Studios“ an der Piscator-Bühne, Konzeption
eines „Deutschen Staatstheaters“ in Engels etc.). Er war Mitinitiator
und Präsident der 1956 in Hamburg gegründeten Deutschen Akademie der
Darstellenden Künste, Präsident des Berliner Landesverbandes des Deutschen
Bühnenvereins, Mitglied der Abteilung Darstellende Kunst der Akademie der
Künste Berlin (West), korrespondierendes Mitglied der Deutschen Akademie der
Künste Berlin (Ost) sowie seit 1959 Mitglied des P.E.N.-Zentrums der
Bundesrepublik. Auf
Anregung seiner zweiten Ehefrau Maria Ley wird in New York seit 1986
jährlich der „Erwin Piscator Award“ an prominente Theater- und Filmschaffende
sowie weitere Künstler vergeben (bislang unter anderem an Giorgio Strehler, Robert
Wilson und Peter Zadek). Ausrichter ist die Non-Profit-Organisation „Elysium
– Between Two Continents“. Neben dem deutsch-amerikanischen Schauspielpreis
erinnern Stätten in mehreren Ländern an Piscators Bedeutung für das europäische
Theater, darunter die 1969 als „Erwin-Piscator-Haus“ eröffnete Stadthalle
Marburg, das 1972 gegründete Teatro Erwin Piscator in der süditalienischen
Stadt Catania, eine 1980 eingeweihte Skulptur des schottischen
Bildhauers Eduardo Paolozzi nördlich des Londoner
Stadtzentrums sowie mehrere Gedenktafeln unter anderem in Berlin.
Anlässlich des 100. Geburtstags wurde 1993 eine Landesstraße in Piscators
Geburtsort Ulm (Greifenstein) nach dem Regisseur benannt. Im 50.
Todesjahr wurde dem Regisseur daselbst ein Denkmal gesetzt. Piscators
Leben, seine Theaterarbeit und sein in der Emigration entstandener Spielfilm
sind Gegenstand verschiedener filmischer Dokumentationen, szenischer
Textcollagen, künstlerischer Installationen sowie einer musikalischen Arbeit.
Die 17-minütige Komposition Gustav Metzger as Erwin Piscator,
Gera, January 1915 des in Hamburg ansässigen Soloprojekts „Black To
Comm“ (Album Oocyte Oil & Stolen Androgens, 2020) enthält eine
Rezitation aus Jaroslav Hašeks Roman Der brave Soldat Schwejk, auf
die eine Passage aus dem ersten Kapitel von Piscators Hauptwerk Das
Politische Theater folgt, in der der Theaterregisseur seine
Einberufung zum Kriegsdienst schildert. Umfangreiche
Dokumente zu Leben und Wirken Piscators bewahren das Archiv der Akademie
der Künste in Berlin (seit 1966/1971) sowie die Southern Illinois
University Carbondale (seit 1971) auf. Der Verbleib des größten Teils der
Originale der umfangreichen Piscator-Tagebücher der 1950er und 1960er Jahre
ist, bis auf wenige Exemplare, die das Archiv der Akademie der Künste verwahrt,
bislang ungeklärt. Inszenierungen·
1924: Alfons Paquet, Fahnen (Volksbühne
Berlin, 26. Mai 1924) ·
1924: Revue Roter Rummel (Berliner Säle, 22.
November 1924) ·
1925: Trotz alledem! Historische Revue (Großes
Schauspielhaus Berlin, 12. Juli 1925) ·
1926: Alfons Paquet, Sturmflut (Volksbühne, 20.
Februar 1926) ·
1926: Paul Zech, Das trunkene Schiff (Volksbühne
Berlin, 21. Mai 1926) ·
1926: Friedrich Schiller, Die Räuber (Preußisches
Staatstheater Berlin, 11. September 1926) ·
1927: Ehm Welk, Gewitter über Gottland (Volksbühne,
23. März 1927) ·
1927: Ernst Toller, Hoppla, wir leben! (Piscator-Bühne Berlin,
3. September 1927) ·
1927: Alexei Nikolajewitsch Tolstoi und Pawel
Schtschegolew, Rasputin, die Romanows, der Krieg und das Volk, das
gegen sie aufstand (Piscator-Bühne, 12. November 1927) ·
1928: Max Brod und Hans Reimann, Die
Abenteuer des braven Soldaten Schwejk (Piscator-Bühne, 23. Januar
1928) ·
1928: Leo Lania, Konjunktur (Piscator-Bühne
im Lessingtheater (Berlin), 8. April 1928) ·
1929: Walter Mehring, Der Kaufmann von Berlin (Zweite
Piscator-Bühne, 6. September 1929) ·
1952: Gotthold Ephraim Lessing, Nathan der Weise (Schauspielhaus
Marburg, 14. Mai 1952) ·
1954: Arthur Miller, Hexenjagd (Nationaltheater
Mannheim, 20. September 1954) ·
1955: Lew Tolstoi, Krieg und Frieden (Schillertheater Berlin,
20. März 1955) ·
1957: Friedrich Schiller, Die Räuber (Nationaltheater
Mannheim, 13. Januar 1957) ·
1962: Bertolt Brecht, Flüchtlingsgespräche (Münchner
Kammerspiele, Uraufführung, 15. Februar 1962) ·
1962: Gerhart Hauptmann, Atriden-Tetralogie (Theater
am Kurfürstendamm, 7. Oktober 1962, kürzende Bearbeitung von Erwin Piscator) ·
1963: Rolf Hochhuth, Der Stellvertreter (Theater
am Kurfürstendamm, 20. Februar 1963) ·
1963: Romain Rolland Robespierre (Freie
Volksbühne Berlin, 1. Mai 1963, Bühnenbearbeitung von Erwin Piscator und Felix
Gasbarra) ·
1964: Heinar Kipphardt, In der Sache J. Robert
Oppenheimer (Freie Volksbühne Berlin, 11. Oktober 1964) ·
1965: Peter Weiss, Die Ermittlung (Freie
Volksbühne Berlin, 19. Oktober 1965) Film, Fernsehen, HörspielSpiel-
und Fernsehfilme ·
Der Aufstand der Fischer nach Anna Seghers (UdSSR: Meschrabpom 1934). ·
Im Räderwerk nach Jean-Paul Sartre (HR, 1956) Hörspiele ·
Heimkehr von Ilse Langner (NWDR, 1953) ·
Gas von Georg Kaiser (HR, 1958) ·
Göttinger Kantate von Günther Weisenborn (SDR,
1958) ·
Der Stellvertreter von Rolf Hochhuth (HR, 1963) Fernsehdokumentationen
über Piscator ·
Ein Mann namens Pis. Drehbuch & Regie: Rosa von Praunheim.
1991. ·
Porträt des berühmten Theaterregisseurs Erwin Piscator. Drehbuch: Ulf
Kalkreuth. ORB, Potsdam 1993. ·
Der Revolutionär – Erwin Piscator auf der Weltbühne. Regie: Barbara
Frankenstein, Rainer K. G. Ott. SFB, Berlin 1988. ·
Weltbühne Berlin – die zwanziger Jahre. Drehbuch: Irmgard v.z.
Mühlen. Chronos, Berlin 1991 (kurze Originalaufnahme von Piscator 1927). LiteraturSchriften·
Erwin Piscator: Briefe. Band 1: Berlin – Moskau 1909–1936.
Hrsg. von Peter Diezel. B&S Siebenhaar, Berlin 2005, ISBN
3-936962-14-6. ·
Erwin Piscator: Briefe.
Band 2: Paris, New York 1936–1951. Hrsg. von Peter Diezel. B&S Siebenhaar,
Berlin 2009. o
Band 2.1: Paris 1936–1938/39. ISBN
978-3-936962-57-4. o
Band 2.2: New York 1939–1945. ISBN
978-3-936962-58-1. o
Band 2.3: New York 1945–1951. ISBN
978-3-936962-70-3. ·
Erwin Piscator: Briefe. Band 3 Hrsg. von Peter
Diezel. B&S Siebenhaar, Berlin 2011. o
Band 3.1: Bundesrepublik Deutschland, 1951–1954. ISBN
978-3-936962-83-3. o
Band 3.2: Bundesrepublik Deutschland, 1955–1959. ISBN
978-3-936962-84-0. o
Band 3.3: Bundesrepublik Deutschland, 1960–1966. ISBN
978-3-936962-85-7. ·
Erwin Piscator: Das Politische Theater. Neubearbeitet
von Felix Gasbarra, mit einem Vorwort von Wolfgang Drews. Rowohlt, Reinbek
1963, DNB 453784836. (Originalausgabe:
Adalbert Schultz, Berlin 1929, DNB 575381558) ·
Erwin Piscator: Theater, Film, Politik. Ausgewählte
Schriften. Hrsg. von Ludwig Hoffmann. Henschel, Berlin 1980, DNB 800345460. ·
Erwin Piscator: Zeittheater. Das politische Theater und
weitere Schriften. 1915–1966. Ausgewählt und bearbeitet von Manfred
Brauneck und Peter Stertz. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1986, ISBN
3-499-55429-1. ·
Krieg und Frieden. Nach dem Roman von Leo Tolstoi für die Bühne
nacherzählt und bearbeitet von Alfred Neumann, Erwin Piscator und Guntram
Prüfer. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1955, DNB 453564526. Sekundärliteratur·
Ullrich Amlung (Hrsg.): „Leben – ist immer ein Anfang!“
Erwin Piscator 1893–1966. Der Regisseur des politischen Theaters. Jonas,
Marburg 1993, ISBN 3-89445-162-9. ·
Knut Boeser, Renata Vatková (Hrsg.): Erwin Piscator.
Eine Arbeitsbiographie in 2 Bänden (= Reihe Deutsche Vergangenheit,
Band 11). Frölich und Kaufmann / Edition Hentrich, Berlin 1986. o
Band 1: Berlin 1916–1931. ISBN 3-88725-215-2 o
Band 2: Moskau-Paris-New
York-Berlin 1931–1966. ISBN 3-88725-229-2. ·
Franz-Josef Deiters: „'das Theater [...] in den Dienst der
revolutionären Bewegung gestellt'. Erwin Piscators Modell eines Agitations- und
Propagandatheaters“. In: Franz-Josef Deiters: Verweltlichung der Bühne?
Zur Mediologie des Theaters der Moderne. Berlin: Erich Schmidt Verlag,
2019. ISBN 978-3-503-18813-0, S. 103–131. ·
Heinrich Goertz: Erwin Piscator in Selbstzeugnissen und
Bilddokumenten. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1974, ISBN 978-3-499-50221-7 (früher: ISBN
3-499-50221-6) ·
Hermann Haarmann: Erwin Piscator und die Schicksale der
Berliner Dramaturgie. Nachträge zu einem Kapitel deutscher Theatergeschichte.
Wilhelm Fink, München 1991, ISBN 3-7705-2685-6. ·
Peter Jung: Erwin Piscator. Das politische Theater. Ein
Kommentar. Nora, Berlin 2007, ISBN 978-3-86557-105-2. ·
Judith Malina: The
Piscator Notebook. Routledge Chapman & Hall, London 2012, ISBN
978-0-415-60073-6. ·
Klaus Wannemacher: Erwin Piscators Theater gegen das
Schweigen: politisches Theater zwischen den Fronten des Kalten Kriegs
(1951–1966) (= Theatron, Band 42), Niemeyer, Tübingen
2004, ISBN 978-3-484-66042-7 (Dissertation Universität Heidelberg
2002, VIII, 287 Seiten, Illustrationen; unter dem Titel Piscator und
die unbewältigte Vergangenheit). ·
Klaus Wannemacher: Der Amnesie des Publikums begegnen.
Nachkriegstheater als Inkubator des „Aufarbeitungs“-Diskurses. In:
Stephan A. Glienke, Volker Paulmann und Joachim Perels (Hrsg.): Erfolgsgeschichte
Bundesrepublik? Die Nachkriegsgesellschaft im langen Schatten des Nationalsozialismus. Wallstein,
Göttingen 2008, ISBN 978-3-8353-0249-5, S. 263–291. ·
Carl Wege: Piscator, Erwin
Friedrich Max. In: Neue Deutsche Biographie (NDB).
Band 20, Duncker & Humblot, Berlin 2001, ISBN 3-428-00201-6,
S. 478–480 (Digitalisat). ·
John Willett: Erwin Piscator. Die Eröffnung des
politischen Zeitalters auf dem Theater. Suhrkamp, Frankfurt am Main
1982, ISBN 3-518-10924-3. ·
Thea Kirfel-Lenk: Erwin Piscator im Exil in den USA. Henschelverlag,
Berlin, 1984 ·
Thea Kirfel-Lenk: „Ändere die Welt: Sie braucht es.“ Erwin
Piscator und sein internationales Theaterkollektiv. In: Berliner
Begegnungen. Ausländische Künstler in Berlin 1918 bis 1933. Dietz Verlag
Berlin, 1987, S. 312–324
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